Börsenblatt Young Excellence Award 2024

Carl Philipp Roth: Verlagsgründer am Puls der Zeit

25. Juni 2024
Christina Busse

Als Verleger pustet Carl Philipp Roth jungen Autor*innen den nötigen Rückenwind unter die Flügel. Im Fokus seines Re:sonar Verlags steht Zeitgenossenschaft. Carl Philipp Roth ist beim #yeaward24 nominert. 

Carl Philipp Roth vor Bücherwand

Carl Philipp Roth 

Junge Stimmen

Das Debüt vor dem Debüt: Carl Phillip Roth hat sich der Starthilfe für junge Autor*innen verschrieben. Er hebt Nachwuchstalente aufs Podest und macht sie sichtbar. Von hier aus können sie ihre Schwingen ausbreiten und ihre ersten Werke in die literarische Öffentlichkeit hinaustragen. Roth sorgt für den nötigen Rückenwind.

„Es geht mir darum, aktuelle Schreibweisen zu fördern, Talente zu entdecken und ein junges Publikum durch relevante Themen für Literatur zu begeistern – auch jene, die sich damit bisher nur wenig beschäftigt haben“, sagt Carl Philipp Roth. Im Jahr 2020, während der Pandemie, hat er den Re:sonar Verlag ins Leben gerufen. 36 Titel sind hier seither erschienen.

Es geht mir darum, Talente zu entdecken und ein junges Publikum für Literatur zu begeistern.

Re:sonar verleiht Flügel

„Ich kämpfe um Aufmerksamkeit für den Verlag. Dabei geht es nicht um mich, sondern um die Autor*innen und ihre Texte“, betont Roth, der sich als Verleger dem genauen Hinhören hinsichtlich Tendenzen und Entwicklungen in der zeitgenössischen Literatur verpflichtet fühlt. „Es geht um die Frage, wie sich die Herausforderungen der Umgebung schreibend bewältigen lassen und welche Sehnsüchte die Autor*innen heute antreiben. Wir möchten ihren Positionen, Themen und Perspektiven Gehör verschaffen“, erläutert der 27-Jährige, der Germanistik, Religionswissenschaft und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft in Hannover studiert hat.

Der Gedanke, Geschichten ans Licht holen zu wollen, habe ihn schon seit Längerem beschäftigt, berichtet Roth, der neben dem Studium im kulturwissenschaftlich ausgerichteten Werhahn Verlag in den Bereichen Vertrieb und Presse gejobbt hat. „Dort habe ich viel mitgekriegt, auch zu Programmentscheidungen, Lektorat, dem Umgang mit Autor*innen…. Vor allem wurden ganz andere Fähigkeiten gebraucht, als an der Uni gelehrt wurden und es hat mich gereizt, sie mir anzueignen. Daraus ist schließlich der Wunsch entstanden, einen eigenen Verlag zu gründen“, rekapituliert Roth. Hinzu kam das in der Corona-Zeit wachsende allgemeine Interesse am Lesen, vorangetrieben durch Social Media.

Er selbst habe den Weg zur Literatur erst spät gefunden, erzählt der Hannoveraner, der in der Nähe der niedersächsischen Landeshauptstadt aufgewachsen ist. „On the Road“ von Jack Kerouac habe ihn in seiner Jugend auf die Spur gebracht, die er bis heute verfolgt – als „schwer begeisterter Vielleser“, der es inzwischen besonders liebt, sich in lange Romane des 19. Jahrhunderts von Stendhal, Zola und Co. zu vertiefen.

Es geht um die Frage, welche Sehnsüchte die Autor*innen heute antreiben.

Sprungbrett in den Literaturbetrieb

Im eigenen Verlag setzt er einen ganz anderen Schwerpunkt. „Ich hatte überlegt, was mir in der Verlagslandschaft fehlt: Texte von Menschen in meinem Alter zu Themen, die Gleichaltrige beschäftigen. Zeitgenössische Literatur junger Autor*innen“, bringt Roth die programmatische Ausrichtung auf den Punkt.

Mit geringem Startkapital – „ich hatte das von der Studienstiftung erhaltene 'Büchergeld' dafür auf die hohe Kante gelegt“, verrät Roth – und innerhalb der eigenen vier Wänden in Hannover-Linden stürzte er sich ins Abenteuer der Verlagsgründung, brachte sich über Youtube-Tutorials selbst die nötigen Layout-, Bildbearbeitungs- und Satzkenntnisse bei, baute sich eine Homepage, hielt die Bälle für Akquise, Programmarbeit, Lektorat und Werbung via Instagram in der Luft. Seine Motivation: Jungen Autor*innen die Möglichkeit verschaffen, erste Erfahrungen im Literaturbetrieb zu sammeln und sich zu vernetzen – „bevor ein großer Debütroman erscheint“, hebt Roth hervor. Denn die bei Re:sonar vorliegenden, fadengehefteten Softcover, die er bei Sowa in Polen herstellen lässt, haben nur 48 bis 130 Seiten Umfang und kosten ab zehn Euro. Für Roth eine Frage der Teilhabe, denn so seien sie auch für junge Leser*innen bezahlbar.

Der erste von ihm veröffentlichte Titel: Elona Beqirajs 2019 erschienener Lyrikband „und wir kamen jeden sommer“, damals noch von ihm als Imprint im Werhahn Verlag herausgebracht, heute neubearbeitet und in achter Auflage bei Re:sonar ein Bestseller. Dabei hat er die Erfahrung gemacht, dass erfolgreiches Marketing nicht unbedingt auf finanziell großem Fuß stehen muss: Eine Leserin habe ein TikTok-Video zu den Gedichten der im Jahr 1997 in Niedersachsen geborenen Tochter albanischer Eltern gepostet. „Es ist irre, auf welche Art und Weise so etwas wirken kann: Es ist viral gegangen, hat mehrere 10.000 Leute erreicht und für eine Bestellwelle gesorgt“, berichtet Roth. Teile aus dem Band wurden 2022 im Rahmen der Kunstbiennale Manifesta 14 in Prishtina ausgestellt.

Was mir in der Verlagslandschaft fehlt: Texte von Menschen in meinem Alter zu Themen, die Gleichaltrige beschäftigen.

Das Ich und die Welt. Schreiben zwischen Bewältigung und Sehnsucht

Aus dem Meer an Manuskripten die Schätze zu heben ist seit fünf Jahren die Kür seiner verlegerischen Tätigkeit. „Das Entdecken neuer Stimmen bis hin zur Beratung zu Stipendien oder zu Exposés für Debütromane machen mir Spaß“, erzählt er unaufgeregt. Doch man hört deutlich heraus, wie sehr es ihm eine Herzensangelegenheit ist, „seine“ Autor*innen auf ihrem Werdegang weiter zu begleiten. So zum Beispiel Linda Herrmann, die er unter den für seine Literaturzeitschrift eingesandten Beiträgen entdeckte und deren Titel „In Arbeit: Erzählungen einer ungelernten Pflegekraft“ im März bei Re:sonar erschienen ist. Oder Selene Mariani, die mit „Miniaturen in Blau“ 2021 im Re:sonar Verlag ihren ersten Band mit Erzählungen vorlegte und deren Debütroman „Ellis“ 2022 im Wallstein Verlag veröffentlicht wurde. „Mehrere Autor*innen haben den Sprung zu größeren Verlagen oder Agenturen geschafft. Das ist für mich ein großer Grund zur Freude“, fühlt sich Roth in seiner Arbeit bestätigt.

Auch wenn er den Re:sonar Verlag als „One-Man-Show“ bezeichnet, ist er doch ein ausgesprochener Teamplayer, sei es bei der Herausgabe der Literaturzeitung ECHO&NARZISS im Re:sonar Verlag oder bei Veranstaltungen wie dem von ihm mit organisierten, gleichnamigen Literaturfestival, das im Mai 2023 erstmals stattgefunden hat. Er stellt fest, dass dabei eigenes Engagement extrem wichtig sei: „Wenn man etwas anschiebt, ist die Bereitschaft zur Förderung da“, so seine Erfahrung. Das Kulturbüro der Stadt Hannover habe ihm „enorm geholfen“, Veranstaltungen auf die Beine zu stellen.

Mehrere Autor*innen haben den Sprung zu größeren Verlagen oder Agenturen geschafft. Das ist für mich ein großer Grund zur Freude.

Festival der Literatur: Gemeinsam statt einsam

An der Anthologie „Und so blieb man eben für immer. Gastarbeiter:innen und ihre Kinder“, die Ende 2023 von Jerhona Kicaj und Carl Philipp Roth herausgebracht wurde, wirkten sieben Autor*innen und zwei Fotograf:innen aus verschiedenen Städten mit, die ihre jeweils eigenen (digitalen) Netzwerke einbrachten. Neben der Präsentation von jungen Stimmen steht immer auch die Vernetzung eben jener im Vordergrund. „Unter den Autor*innen ist eine Gemeinschaft entstanden, die sich gegenseitig unterstützt“, freut sich Roth, der selbst einige seiner Autor*innen erst nach Erscheinen des Buches auf Lesungen kennengelernt hat, weil der Kontakt während der Pandemie rein virtuell stattgefunden hatte.

Das ECHO&NARZISS-Festival, kuratiert zusammen mit Julia Thomas (veröffentliche 2020 bei Re:sonar mit „Stillleben“ ihr erstes Buch), wurde von der Stiftung Niedersachsen, der VGH-Stiftung und der Landeshauptstadt Hannover gefördert. Das dreitägige Festival unter dem Thema „Das Ich und die Welt. Schreiben zwischen Bewältigung und Sehnsucht.“ versammelte unterschiedliche Perspektiven, individuelle Inhalte und eine Vielfalt an literarischen Formen – „ein Literaturfestival als polyphones Echo“. Das Programm bot mit Kurzlesungen von 15 Autor:innen, Panel-Diskussionen, einer Schreibwerkstatt und einem Storytelling-Workshop ein kurzweiliges Kaleidoskop, bei dem es viel Neues zu entdecken gab.

Unter den Autor*innen ist eine Gemeinschaft entstanden, die sich gegenseitig unterstützt.

Frei sein

Mit der Zeitschrift ECHO&NARZISS, die Roth seit 2021gemeinsam mit Jehona Kicaj herausgibt, möchte er neben den Büchern ein schnelleres Medium anbieten, das sein Ohr am Puls der Zeit hat. Über die Verlags-Website wird zu Texteinreichungen aufgerufen. „Ein Open Call über Instagram würde zu viel Resonanz nach sich ziehen. Das Interesse an Partizipation ist groß“, weiß Roth, dem allein für Buchprojekte im Schnitt zwei Manuskripte pro Woche auf den Desktop flattern. „Wir machen aktuell nur noch ein neues Buch im Halbjahr, dafür kommt bei weitem genug rein. Besonders viel Arbeit macht Lyrik, denn mit einem Mal Lesen ist es da nicht getan. Aber gesichtet wird alles“, betont Roth. Seit der dritten Ausgabe erscheint ECHO&NARZISS im Zeitungsdruck. „So konnten wir die Auflagenstärke und die Reichweite deutlich heben und den Preis auf ein symbolisches Niveau senken. Wem nützt Literatur von jungen Menschen, wenn sie für junge Menschen unbezahlbar bleibt?“, erläutert Roth. Das in einer Auflage von 1.000 Exemplaren gedruckte Magazin kommt in Buchhandlungen zur Auslage und wird den Buchbestellungen beigelegt.

Bis Sommer 2025 hat Roth eine Promotionsstelle an der Uni Hannover in halbem Stellenumfang inne, neben der Arbeit an seiner Dissertation über die autobiographischen Texte von Elias Canetti, Thomas Bernhard und Maxim Biller bleibt so noch Zeit für die Verlagsarbeit, „die Spaß macht und deshalb gut und gerne in der Freizeit stattfinden kann“, erklärt Roth. Aktuell erarbeitet er eine Neuausgabe des Bestsellers „und wir kamen jeden sommer“, erstmals wagt er sich damit an ein Hardcover heran. „Ich habe Lust, mich an etwas Neues heranzutrauen“, sagt Roth. Den Verlag habe er neben dem Studium aufgebaut, ohne das Ziel, davon leben zu wollen. Wichtiger als die Tatsache, dass sich der Verlag heute finanziell trägt, ist ihm die Freiheit, darüber entscheiden zu können, was er publizieren will.

Ich habe Lust, mich an etwas Neues heranzutrauen.

Zukunftsmusik

Wo er sich in Zukunft sieht? „Ich sehne mich danach, in die Verlagsbranche zu gehen. Dort habe ich meine Leidenschaft gefunden“, sagt Roth, der doch selbst schon einen Verlag gegründet hat und damit nicht nur anderen ein Sprungbrett bietet, sondern auch längst selbst erfolgreich in die Branche angekommen ist.

Kurzvita: Carl Philipp Roth

1996

geboren

2015 Abitur in Neustadt am Rübenberge
2015-2021

Studium der Germanistik, Religionswissenschaft und Neueren Deutschen Literaturwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover (M.A.)

2017-2022

Mitarbeit in Vertrieb und Pressearbeit im Werhahn Verlag, Hannover

2020

Gründung des Re:sonar Verlags

seit 2021

Mitherausgeber der Literaturzeitschrift ECHO&NARZISS

2023

Mitveranstalter des Festivals für junge und vielfältige Sprachkunst ECHO&NARZISS in Hannover

2022 Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Literaturwissenschaft an der Leibniz Universität Hannover
   

 

Über den Börsenblatt Young Excellence Award

Der Börsenblatt Young Excellence Award wird jährlich von den Unternehmen der Börsenvereinsgruppe vergeben. Im Juni stellt die Börsenblatt-Redaktion alle Nominierten und ihre Arbeit mit persönlichen Online-Porträts vor – ein Kennenlernen mit den Kandidatinnen und Kandidaten gibt es zudem im Live-Format auf dem Instagram-Kanal des Börsenblatts. Die future!publish unterstützt den #yeaward24 als Partner.

Die Entscheidung, wer den #yeaward23 erhält, fällt im Zeitraum vom 01.07. bis 14.07.2024 bei der öffentlichen Publikumswahl auf www.boersenblatt.net

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