Börsenblatt Young Excellence Award 2023

Anahita Redisiu – besonnene Kämpferin für Freiheit und Vielfalt

12. Juni 2023
Veronika Weiss

Mit Forough Book verlegt und verkauft Anahita Redisiu zusammen mit ihren Eltern Bücher, die im Iran zensiert und verboten sind. Ihr Organisationstalent und ihre flotte Schreibe spielt sie aber auch in anderen Bereichen aus.

Anahita Redisiu im Buchladen Forough Book

Anahita Redisiu im Buchladen Forough Book

Forough Book - ein Familienprojekt

Ungefähr 25 Titel bringt Forough Book im Jahr heraus. Wichtiger als wirtschaftliche Interessen ist der Verlegerfamilie dabei, den mutigen Stimmen Gehör zu verschaffen, die unter höchster Gefahr gegen das Regime aufbegehren. Damit macht sich auch die Verleger-Familie selbst höchst angreifbar. Trotz ihrer wegweisenden Arbeit ist die Buchhandlung Forough in der deutschsprachigen Buchwelt fast unsichtbar, hat Anahita Redisiu das Gefühl, „nur eine kleine iranische Buchhandlung irgendwo in Köln“.

Sie erhofft sich für die Zukunft, mehr dazuzugehören, weiter in die Mitte zu rücken. Außerdem gehört es zu ihren ganz persönlichen Zielen, die Sichtbarkeit für Minderheiten in Deutschland zu verbessern und die anhaltenden Konflikte im Iran sowie die Unterdrückung von Frauen dort in den Fokus zu rücken. Für diese Mission begibt sich Anahita Redisiu genau wie ihre Familie vor allem durch das Büchermachen dauerhaft in Gefahr. Reisen in den Iran können sie aus Sicherheitsgründen nicht unternehmen; Anahita war noch nie dort.

Allrounderin mit vielen Stärken

Im Verlag und in der Buchhandlung verantwortet Anahita Redisiu viele Bereiche „im Hintergrund“, wie sie meint: Vertrieb und Marketing, Webseite und Social Media, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, das Promoten der Autoren und Autorinnen, außerdem leitet sie den Bereich der bilingualen Publikationen. Während unseres Zoom-Gesprächs hat sie Dienst in der Buchhandlung, hinter ihr sind das Schaufenster und die Straße zu sehen, ab und zu wirft jemand einen Blick in die Auslage. Gar nicht so hintergründig also … Aber Anahita Redisiu zeichnet eben auch Bescheidenheit aus.

Sie hat ein Gespür für die Talente anderer, nicht unbedingt für ihre eigenen, sagt sie. Ihre Stärken zu erkennen und zu nutzen, dazu „gibt mir meine Mutter oft einen Schubs“: Ihre Mutter war es auch, die die achtjährige Tochter dazu brachte, ein Tagebuch zu führen. Anahita schrieb nieder, was sie beschäftigte, blieb dabei und verarbeitete viele Erlebnisse in Schriftform. Unter anderem die jugendliche Verliebtheit in einen Jungen aus ihrer Schule. Jene Zeilen amüsieren sie heute besonders, denn den besagten Jungen traf sie zwanzig Jahre später wieder, er stürzte sie erneut ins Gefühlschaos, sie wurden ein Paar – und gründeten schließlich eine Familie.

Richtig abschalten tue ich eigentlich nie, ich bin gern gut beschäftigt, ich brauche das.

Mama-Blog, Journalismus, Kinderbuch

Nach der Geburt ihres Sohnes wächst Redisius Interesse für Kinderbücher. Sie hat nie aufgehört zu schreiben, war unter anderem für die Deutsche Welle und den "Kölner Stadtanzeiger" tätig und gründet jetzt den Blog „Mamm un Panz“. Hier – auf der Webseite und auf Instagram – empfiehlt sie Kinderbücher. Ein Beispiel: „Papa“ von Hélène Delforge und Quentin Gréban hat es ihr als wunderschönes, faszinierendes Kinderbuch angetan.

2020 verfasst Anahita Redisiu ihr erstes eigenes Kinderbuch „Pinguin Pi“ in mehreren Fassungen, sogar bi- und trilingual auf Persisch, Deutsch und Englisch. Die Inspiration für ihre eigenen Geschichten kommt beim abendlichen Geschichtenerzählen. Da entstehen kleine Ideen und große Gedankenwelten, und wenn Redisiu sieht, wovon ihr kleiner Sohn mehr hören möchte, was ihn alles interessiert und woran er hängenbleibt, gibt ihr das Input fürs Schreiben. Ihre Kinderbücher drehen sich um Vielfalt und Andersartigkeit, tragen ihren Anteil zur Kulturvermittlung bei. Mit ihren Geschichten möchte sie die Kleinen unterhalten und vor allem ernsten Themen etwas von ihrer bedrückenden Schwere nehmen.

Revolution und Stadtführungen

Auch für ihren eigenen Berufsweg wünscht sich Anahita Redisiu mehr Leichtigkeit: Sie erzählt, dass die Mission von Forough Book gewissermaßen der Kampf ihrer Eltern war, „den ich gern mitgekämpft habe“. Ein bisschen nimmt sie ihren Eltern diesen starken Fokus auf Konflikte, Revolution und Gefahr aber auch übel. So sehr sie den Verlag und die Buchhandlung nach wie vor als persönliche Dreh- und Angelpunkte für ihr Leben und ihre Entwicklung sieht, so ist als Berufung für sie das Schreiben dazugekommen. Damit kann sie ihre Arbeit ihrer friedlicheren Lebensrealität annähern und für ihren Sohn ein sicheres Umfeld schaffen.

Dennoch: Anahita Redisiu, die sich auch in der International Alliance of Independent Publishers (800 Mitglieder in 55 Ländern) als Koordinatorin engagiert, leugnet ihren Hintergrund nicht und wird immer für Vielfalt und Freiheit einstehen. Die interkulturelle Kompetenz ist eine ihrer großen Stärken (obwohl sie es nicht so ausdrückt). Sie empfindet es nicht als fremd, wenn Menschen unterschiedliche Hintergründe mitbringen, sondern als absolut positiv und bereichernd. So bietet es sich an, dass sie, ganz offensichtlich Allrounderin, auch als Führerin für Kulturwanderungen in Köln arbeitet.

Macht sie denn jemals Feierabend? Wie lässt sich die Passion für ihre beruflichen Tätigkeiten mit dem Muttersein vereinen? Redisiu gibt zu: „Unsere Gesellschaft macht es jungen Müttern nicht leicht.“ Sie habe leider kein Patentrezept für Frauen in derselben Situation. Ihre eigenen Lebensbereiche würden sich aber „relativ reibungslos ineinanderfügen“, sagt sie, da sie beispielsweise erst schreibt, wenn ihr Sohn schon schläft. Anahita Redisiu ist aber der Meinung, wie viel man arbeiten wolle und könne, sei auch eine Frage der Persönlichkeitsstruktur: „Richtig abschalten tue ich eigentlich nie, ich bin gern gut beschäftigt, ich brauche das.“

Kurzvita: Anahita Redisiu

1984 geboren
2009

Gründungsmitglied des deutsch-iranischen Freundschaftsverein Mehr e. V.

2005-2011

Studium: Ethnologie der Alt-Amerikanistik

seit 2010

Kulturwanderungen für Kölner Kulturklüngel

seit 2011

Mitarbeit im Forough Verlag

2012 ff.

Freie Mitarbeit: Deutsche Welle und Kölner Stadtanzeiger

seit 2012

Mitglied beim Verein International Alliance of Independent Publishers

seit 2014

Mitglied und teils Städtegruppenleitung bei Junge Verlagsmenschen e. V.

seit 2020 Autorin

 

Über den Börsenblatt Young Excellence Award

Der Börsenblatt Young Excellence Award wird jährlich von den Unternehmen der Börsenvereinsgruppe vergeben. Im Juni stellt die Börsenblatt-Redaktion alle Nominierten und ihre Arbeit mit persönlichen Online-Porträts vor – ein Kennenlernen mit den Kandidatinnen und Kandidaten gibt es zudem im Live-Format auf dem Instagram-Kanal des Börsenblatts. Die future!publish unterstützt den #yeaward23 als Partner.

Die Entscheidung, wer den #yeaward23 erhält, fällt im Zeitraum vom 30.06. bis 16.07.2023 bei der öffentlichen Publikumswahl auf www.boersenblatt.net

Alle Informationen zum Wettbewerb unter: www.young-excellence-award.de 

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