Börsenblatt Young Excellence Award 2023

Alexandra Koch: mit Ernst und Witz für Inklusion

28. Juni 2023
Veronika Weiss

Seit zehn Jahren bloggt Alexandra Koch zum Thema Inklusion und erreicht damit ein großes Publikum. Sie arbeitet für mehr Offenheit und vielfältigere Perspektiven – auch in der Buchbranche. Dafür ist sie beim #yeaward23 nominiert.

Porträtfoto von Alexandra Koch mit offenem Haar - der Kopf ist an eine Wand mit Graffiti gelehnt

Alexandra Koch

Leseratte mit Mission

Seit Sommer 2013 gibt es den Buchblog The Read Pack (https://www.readpack.de/) schon, und damit ist Bloggerin Alexandra Koch in der Szene ein alter Hase. Oder eher eine alte Leseratte – denn Read Pack spielt auf das Ratpack an, und der Blog-Untertitel lautet „… aus dem Leben einer Leseratte“. Stolze 4.800 Follower:innen zählt die dazugehörige Instagramseite @readpackblog, und das zeigt, dass das zentrale Thema von ReadPack nur vermeintlich ein Nischenthema ist und erst recht keines bleiben sollte: Inklusion.

Alexandra Koch nutzt einen Rollstuhl und beschäftigt sich aus dieser höchsteigenen Perspektive heraus intensiv mit Diversität: Sie schreibt – oft wirklich witzig, erfrischend, mit viel Selbstironie – über Dinge, die ihr passieren, die nerven, die sich ändern müssen. Und natürlich über Bücher. Was diese angeht, ist ihr Anliegen ganz klar: Es gebe leider hauptsächlich zweierlei Arten von Geschichten: „pity or hero“. Das heißt, entweder soll man Betroffene bedauern oder aber sie werden als Motivation für Nicht-Behinderte dargestellt, nach dem Motto: „Wenn der im Rollstuhl das schafft, dann …“, erklärt Koch. „Klar, es gibt viele strukturelle Probleme, man muss das Leben mit einer Behinderung nicht ausschließlich toll darstellen – aber es hat eben auch nicht alles Leid, jedes Problem mit der Behinderung zu tun.“ Da wünscht sie sich mehr Vielfalt beim Erzählen

Ein Standbein in der IT – ein Herz in der Literatur

Belletristik muss, um Koch zu faszinieren, „diese eine besondere Idee, diesen außergewöhnlichen Protagonisten oder eine Atmosphäre, die mich mitreißt“, haben, wie sie auf ihrer Webseite schreibt. Ihr liebstes Beispiel für inklusives Erzählen ist das Kinderbuch „Antonia war schon mal da“. „Das hat eigentlich nichts mit Inklusion zu tun – aber ein kleiner Igel im Rollstuhl kommt immer mit“, und das habe in ihr „eine absurde Freude ausgelöst“.

Kochs Zugang beim Bloggen ist genau beobachtend, dabei aber nicht analytisch-theoretisch; sie kommt gar nicht aus der Literatur, ist im Hauptberuf IT-Projektleiterin. Mit dem Zweitberuf ist sie aber mittendrin in der Buchbranche und engagiert sich vielseitig. Auf https://sensitivity-reading.de/ist sie für die Themen „Darstellung von Behinderung, Leben mit Rollstuhl, Glasknochen, Kleinwüchsigkeit“ gelistet, wobei sie zu letzterem ergänzt: „Ich bin kleinwüchsig, aber ich habe ein anderes Erleben als ein Fußgänger, der kleinwüchsig ist.“ Wichtig ist ihr, zu betonen, dass sie zwar ehrenamtlich für die Plattform arbeitet und sich auch in der Öffentlichkeitsarbeit engagiert, aber diese nicht mitgegründet hat; diese wichtige Arbeit hätten Elif Kırömeroğlu und Victoria Linnea geleistet.

Feindbild Sensitivity Reading?

Koch weist darauf hin, wie kontrovers Sensitivity Reading besprochen werde, leider, wie sie sagt. Sie erklärt: „Es ist ein Angebot – wir zensieren nichts und haben nicht das Bedürfnis, irgendwem was wegzunehmen. Wir möchten Perspektiven und Wissen einbringen, die einen Text bereichern und Figuren authentischer und damit möglichst besser machen. Am liebsten wäre es uns, wenn man das Sensitivity Reading gar nicht bräuchte, wenn die ganze Branche so divers wäre, dass überall, im Lektorat und allen Entscheidungskreisen, Menschen wären, die verschiedenste Blickwinkel einbringen. Wir brauchen mehr Menschen in der Branche, die zum Beispiel BIPoC sind, Behinderungen haben, queer, jüdisch oder trans sind. Sensitivity Reading ist nur eine Art Vehikel, um da zu ergänzen, wo diese eigenen Perspektiven bislang fehlen.“

Ich kann meinen Mund manchmal nicht halten, auch in unpassenden Situationen nicht. Aber das macht mich aus. Ich nehme mich nicht immer so ernst, denn das Leben ist ernst genug.

Projekt Sichtweisen

Kochs Engagement für Vielfalt geht noch weiter: Sie hat am Projekt „Sichtweisen“ intensiv mitgearbeitet, bei dem elf Schreibende, großteils Own Voices, Lehrkräften Kurzgeschichten an die Hand geben, in denen es ums Anderssein, Liebe, Freundschaft und Erwachsenwerden geht, mit denen der Unterricht inklusiver gestaltet werden kann und die Gespräche über Diversität initiieren können. Und Alexandra Koch ist Jurymitglied beim „Vielfalter“, einem neu gegründeten Kinderbuchpreis, der erstmals im September 2023 verliehen wird. Dieser will Werke würdigen, die „vielfältigen Figuren eine Stimme geben und sich mit Tiefgang Themen widmen, die die facettenreiche Diversität unserer Gesellschaft widerspiegeln“, so das offizielle Statement.

Vom Finden einer Stimme

Es war nicht immer so, dass Koch sich mutig offen gezeigt hat. In den ersten Jahren des Bloggens hatte sie „kleine Unsicherheiten, wollte nicht auf den Rollstuhl reduziert werden“. Sie habe eher im Verborgenen agiert, wollte sich einfach gerne über Bücher austauschen. „Ich hab im echten Leben wenig Freunde, die lesen – ganz tolle Freunde, aber sie lesen nicht, und die Kommunikation über Literatur war mir wichtig …“ Doch die ihr so wichtige Inklusion konnte sie einfach nicht auf Dauer ausklammern: „Bei bestimmten Titeln habe ich mich geärgert über die Darstellung von Menschen mit Behinderung.“ Ohne den Kontext, ohne ihre Betroffenen-Perspektive offenzulegen, „hätte niemand verstanden – warum regt sie sich denn so auf?“

Als sie dann online sichtbar war, habe sie festgestellt, „dass mir das auch Spaß macht, einen Raum einzunehmen und eine Stimme zu finden.“ Sie vermittelt ihre Botschaft mit eindrücklicher Kraft, steht zu ihrem Mitteilungsbedürfnis und bereichert damit ganz klar die Bücherwelt. So war sie auch schon im Radio zu hören oder schreibt Gastbeiträge, z.B. für den „Fluter“. „Ich kann meinen Mund manchmal nicht halten, auch in unpassenden Situationen nicht. Aber das macht mich aus. Ich nehme mich nicht immer so ernst, denn das Leben ist ernst genug. Ernste Themen kann man tatsächlich gut verpacken, wenn man mit einem Augenzwinkern darüber spricht.“

Kurzvita: Alexandra Koch

1988 geboren
2009 BWL-Diplom
seit 2009 IT- Projektleiterin
September 2013 Gründung ReadPack-Blog
seit 2018 Sensitivity Reading
2021/2022 Projekt Sichtweisen
seit 2023 Jurymitglied beim Vielfalter

 

Über den Börsenblatt Young Excellence Award

Der Börsenblatt Young Excellence Award wird jährlich von den Unternehmen der Börsenvereinsgruppe vergeben. Im Juni stellt die Börsenblatt-Redaktion alle Nominierten und ihre Arbeit mit persönlichen Online-Porträts vor – ein Kennenlernen mit den Kandidatinnen und Kandidaten gibt es zudem im Live-Format auf dem Instagram-Kanal des Börsenblatts. Die future!publish unterstützt den #yeaward23 als Partner.

Die Entscheidung, wer den #yeaward23 erhält, fällt im Zeitraum vom 30.06. bis 16.07.2023 bei der öffentlichen Publikumswahl auf www.boersenblatt.net

Alle Informationen zum Wettbewerb unter: www.young-excellence-award.de