Bitte sehr. – Noch mal zu Ihrem Differenzvorschlag „veröffentlichte versus öffentliche Meinung“: Haben Sie über Anekdotisches hinaus dafür gute empirische Belege?
HW: Ja. Man kann ganz einfach die Ergebnisse von Umfrageforschung mit den Inhaltsanalysen medialer Berichterstattung kontrastieren. Und nehmen Sie die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine: Da geht die Meinung der Bevölkerung in etwa 50 zu 50 auseinander. Aber Sie müssen lange suchen, bis Sie einen Bericht oder einen Kommentar finden, der nicht auf die Aufforderung zu Waffenlieferungen hinausläuft. Das ist schädlich, und zwar deswegen, weil diese Diskrepanz in der Bevölkerung die verschwörungstheoretischen Ideen antriggert. Das Medienvertrauen sinkt, weil sich in der Erfahrung des Unterrepäsentiertseins, des nicht-Vorkommens der eigenen Meinung der Eindruck verfestigt, da würde etwas gesteuert. Eigentlich müsste es im medialen Betrieb eine viel größere Aufmerksamkeit dafür geben, dass man diesen falschen Annahmen nicht Vorschub leistet. Wir haben dieses Buch also auch geschrieben, um die Medien vor sich selbst zu schützen.
Sie wollen zeigen, dass Mehrheitsmeinung von den Medien „gemacht“ wird. Müsste demzufolge ein Umfrageergebnis etwa zur Einstellung gegenüber Waffenlieferungen nicht viel näher dran sein an dem medialen Meinungsbild?
RDP: Das ist ein Missverständnis. Wir meinen in diesem Zusammenhang mit Mehrheitsmeinung nicht die der Bevölkerung, sondern das, was die Medien als Mehrheitsmeinung ausgeben; oder was sie als Mehrheitsmeinung imaginieren dadurch, dass sie sich so einig sind.
HW: In der veröffentlichten Meinung gibt es eine Suggestion von Mehrheitsmeinung, die von relevanten Teilen der Bevölkerung nicht geteilt wird.
Also wäre der Schaden, den Medien anrichten, nicht der, dass sie die Meinung in der Bevölkerung manipulativ prägen, sondern der, dass sie sich selbst schädigen, weil sie Verschwörungstheoretiker auf den Plan rufen, die denken könnten, es sei eben doch alles ferngesteuert.
RDP: Genau. Wir haben versucht, diesem Muster, dass die Medienproduktion von einer wachsenden Zahl von Menschen gleichsam verschwörungstheoretisch erklärt wird – nämlich dass es sich um einen Staat handelt, der seinen Medien vorgibt, was sie zu schreiben haben –; diesem Muster entgegenzutreten und zu sagen: Ihr beobachtet Phänomene, die wir auch beobachten, aber wir können sie durch medieninterne Mechanismen erklären, und ihr liegt mit euren Vorstellungen, dass es sich dabei um gelenkte Aktionen handelt, falsch.
Sie beide als prominente Medienakteure sind sowohl Teilnehmer als auch Betroffene des Betriebs. Kann man derart involviert einen Essay hinbekommen, der sich vornimmt, möglichst genau und sachlich die Welt zu beschreiben?
RDP: Das Wichtigste ist, dass Betroffene keine Geschichten, in die sie selbst involviert sind, erzählen. Das heißt, wir nehmen uns als Personen vollkommen raus. Auf der anderen Seite: Wenn wir keine Personen wären, die stark in den Medien stehen, hätten wir nicht die Möglichkeit, die Dinge, um die es uns hier geht, wirksam und wahrnehmbar zum Thema zu machen. Vieles von dem, was wir beobachten, stützt sich ja bereits auf zentnerschwere Medienforschung. Nur ist es interessant zu sehen, dass viele Medienwissenschaftler, die zum Teil in ähnliche Richtung wie wir Kritik an der Medienentwicklung äußern, in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt sind und in den Medien fast überhaupt nicht rezipiert werden.
Bevor die ersten Journalistinnen und Journalisten eine Zeile Ihres Buchs gelesen haben können, wird bereits diskutiert: Sind die beiden Autoren nun selbst zu den Querdenkern konvertiert? Schreiben die als Verletzte und Rächer ihrer selbst? Und Sie beide sind Wochen vor Erscheinen Ihres Buches schwer mit der Beteuerung des Gegenteils beschäftigt. Ist das nicht langweilig?
RDP: Man muss das alles deswegen machen, weil wir ja den Mechanismus benennen, dass wir uns in unserer Gesellschaft immer schwerer damit tun, sachlich kontroverse Debatten zu führen. Wir haben ein ganzes Kapitel, das sich nur darum dreht, wie diese Debatten hochgradig moralisiert und personalisiert werden. Anstatt sich mit einer Kritik subtil auseinanderzusetzen, stellt man mal als erstes Menschen in eine bestimmte Ecke und versucht sie mit irgendeinem moralischen Gewaltargument als indiskutabel darzustellen. Das haben wir beschrieben und geben es von Anfang an bekannt. Und nun schauen wir doch mal: Wer wird diesen Mechanismus tatsächlich bedienen, und wer ist in der Lage, sich über ihn hinwegzusetzen? Das finden wir nicht langweilig, sondern ein spannendes sozialpsychologisches Experiment.
Niklas Luhmann hat mal gesagt, damals auf Uwe Barschel gemünzt nach dessen berühmter Ehrenwort-Pressekonferenz: „Jede Beteuerung regeneriert nur den Verdacht.“
HW: Aber man kommt da ja nicht raus, außer man liest das Buch. Was jetzt in den ersten Vorab-Reaktionen insinuiert wird – bis hin zu „endgültig in der Schwurblerecke angekommen“ –, kann man nur widerlegen, indem man sagt: Dann lest doch jetzt diese 280 Seiten, und danach reden wir noch einmal drüber. Die Herausforderung für diejenigen, die auch Gegenstand des Buches sind, lautet: Können die sich damit in einer Haltung konstruktiver Kritik auseinandersetzen? Oder wird es als „quod erat demonstrandum“ laufen, wie jetzt das Vor-Bashing befürchten lässt?
Warum gehen Sie als Intellektuelle so ins Risiko? Das gibt doch Stress ohne Ende, den Sie sich hätten sparen können, weil er so vorhersehbar ist.
HW: Meine bewusst pathetische Antwort darauf: Ich halte es für meine staatsbürgerliche Verantwortung, diese Debatte anzustoßen. Das war schon immer meine Haltung, als Bürger meinen großen Handlungsspielraum zu nutzen, wenn ich sehe, hier passiert etwas, was ich politisch fragwürdig finde. Das ist mein zentrales Motiv auch für dieses Buch. Und wenn man dann demontiert wird – ja was denn!? Ich bin ein freier Mensch.
RDP: Das kann ich alles unterschreiben. Wir leben in einem freiheitlich-liberalen Land. Wir möchten, dass das so bleibt. Wenn etwas aus unserer Sicht nicht gut läuft für unsere Demokratie, dann bemängeln wir das. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Öffentlichkeit in der Lage sein wird, angemessen darüber zu diskutieren. Ich will nicht glauben, dass eine solche Diskussion in Deutschland nicht möglich ist. Insofern lasse ich mir meinen staatsbürgerlichen Optimismus.
Glauben Sie ernsthaft an einen ruhigen, für die Kraft des besseren Arguments sensiblen Diskurs über Ihr Buch, bei dem alle einander zuhören?
RDP: Ich glaube zwar nicht an den Habermas’schen Idealdiskurs. Ich glaube aber, dass – nachdem sich die ersten an uns verausgabt haben – es durchaus eine angemessene Diskussion geben wird. Aufgrund des Medieninteresses an unserem Buch, das wir bisher kennen, wissen wir auch, dass es die geben wird.