Börsenblatt Young Excellence Award 2021

Moritz Reissing: Mann mit Plan B

17. Juni 2021
Christina Busse

Moritz Reissing (31) ist Pressechef der Verlagsgruppe Beltz – und hat einen ungewöhnlichen Lebenslauf. Er ist für den Börsenblatt Young Excellence Award nominiert.

„Im Lektorat habe ich mindestens ebenso viel gelernt wie im Studium“, sagt Moritz Reissing. Seinen Weg in die Verlagswelt hat der heute 31-Jährige erst durch einen mutigen Kurswechsel gefunden und kürzlich hat er erneut den Anker gesetzt: Mitte Dezember ist Reissing in der Verlagsgruppe Beltz als Pressechef an Bord gegangen. Als „vielfältig und spannend“ beschreibt er seine Tätigkeit am neuen Einsatzort: „Es vergeht kein Tag mit der gleichen Zielgruppe, das macht es sehr reizvoll“, führt er aus. Die Arbeit mit Menschen einerseits und eine messbare Wirkung andererseits ergibt für den bekennenden „Fan von Kennzahlen und Matrizen“ eine höchst befriedigende Kombination – und ist ein Beweis dafür, dass sich auch nach „Plan B“ alles in die richtige Richtung entwickeln kann.

Aufgewachsen ist der Spross einer Buchhändlerin und eines Pastors in Stuttgart. Nach dem Abi macht er ein Freiwilliges Soziales Jahr im Lebenszentrum Ebhausen, einer Einrichtung für suchtkranke Männer. „Das war wie Art Lebensschule für mich: Ich habe Schicksale kennengelernt, die nahe gehen, und festgestellt, dass Äußerlichkeiten extrem täuschen können, dass man genauer hingucken muss“, erzählt der gebürtige Schwabe, der weitere Erfahrung in der Kirchengemeindearbeit und in der Alterspsychiatrie sammelte.

Hörsaal und Verlag im Doppelpack

In Reutlingen studiert er anschließend Theologie. „Als Pastorensohn hatte ich von Anfang an vor, nicht selbst Pastor zu werden“, schmunzelt er, „aber aufgrund meiner Herkunft wollte ich tiefer in das Thema einsteigen.“ Im Vordergrund steht für ihn das intellektuelle Interesse. Sein Ziel ist eine akademische Laufbahn, so dass er nach dem Bachelor-Abschluss an die renommierte theologische Fakultät der Uni Heidelberg wechselt. Doch dort legt man ihm Steine in den Weg: Seine bisherigen Studienleistungen werden nicht voll anerkannt. „Statt noch einmal ganz von vorn anzufangen, habe ich mich nach einer Alternative umgeschaut und die Verlage für mich entdeckt“, erläutert Reissing, der sich zum Reinschnuppern einen Praktikumsplatz bei Vandenhoeck & Ruprecht sicherte. Als ihm dort ein Volontariat angeboten wird, steht eine tiefgreifende Entscheidung an: Er hängt das Studium an den Nagel und konzentriert sich ganz auf die Arbeit im Göttinger Verlagshaus.

„Ich hatte Glück, dass der Platz frei wurde“, sagt er im Rückblick. Nach einem Jahr wechselt er 2015 erfolgreich als Redakteur und Lektor in Festanstellung über. Ein Eldorado für den damals 25-Jährigen. Denn das im Jahr 1735 gleichzeitig mit der Uni Göttingen gegründete Unternehmen ist unter anderem auf wissenschaftliche Literatur für die Fächer Theologie und Religion spezialisiert. „In diesem Job hatte ich die aktuelle Forschung direkt vor der Nase und unmittelbar mit den Profis zu tun, war ganz nah dran an Autoren und Inhalten. Hinzu kommt der extreme Qualitätsanspruch des Verlags - ich habe dabei immens viel über Theologie gelernt“, zeigt sich Reissing heute noch begeistert über die Möglichkeiten, die sich ihm boten. Die ihn aber auch forderten: „Der damalige Lektoratsleiter Jörg Persch, von dem ich viel gelernt habe und dem ich viel verdanke, legte mir schon im Volontariat ein Studium nahe, am besten medienorientiert. Ein Master ist wichtig für die Stelle im Wissenschaftslektorat“, erklärt er. Da er schon früher mit einer journalistischen Karriere geliebäugelt hatte – die Philosophie wäre eine weitere Alternative gewesen –, nimmt er die Herausforderung gerne an und schreibt sich an der FH Kiel im Studiengang „Journalismus und Medienwirtschaft“ ein. Was dann kommt, beschreibt Reissing als „drei recht intensive Jahre“, und das ist wohl eher als Understatement zu verstehen, denn neben der 40 Stunden-Woche im Verlag absolviert er regelmäßig ganze Wochenenden in Kiel in einem insgesamt zeitlich sehr straff organisierten Curriculum.

Nase fürs Marketing

Schon kurz bevor er seinen Master of Arts in der Tasche hat, geht er bei Vandenhoeck & Ruprecht in den Bereich „Marketing/Unternehmenskommunikation“, wo er unter anderem das Social Media-Team leitet und sich in seiner Freizeit in Online-Marketing weiterbildet. „Digitale Innovationen haben mich schon früher interessiert. Als Spielwiese hatte ich seit 2011 ein eigenes Blog, auf dem ich kirchlich-ethisch-moralisch orientierte Themen im Wochenrückblick glossig kommentierte“, berichtet Reissing, der sich in seiner bedachten Art selbst einen „Drang nach außen“, also in Kontakt mit den Menschen, bestätigt.

2019 wird ihm zunächst die Leitung der Werbeabteilung angeboten. In dieser Funktion kann er einbringen, was er sich privat und im Studium angeeignet hat. Er legt einen starken Fokus auf digitales Marketing, baut digitale Kommunikationskanäle auf und setzt im E-Commerce neue Akzente, die den Webshop-Umsatz steigern. Anschließung kommt auch die Presseleitung hinzu. Hier steuert er nicht nur die gesamte Unternehmenskommunikation, ist Pressesprecher für die Verlagsgruppe mit Vandenhoeck & Ruprecht, V&R unipress, Böhlau Verlag und Verlag Antike, sondern kann nun im gesamten Kommunikationssprektrum Kampagnen entwickeln, PR und online-Marketing verknüpfen und die digitale Kommunikation ganzheitlich entwickeln.

Mitten in Corona-Zeiten bricht Reissing dann zu neuen Ufern auf: Im Dezember 2020 startet er als neuer Presseleiter in der Verlagsgruppe Beltz. „Jetzt bin ich dort, wo ich seit Studienabschluss 2017 hinwollte: Endlich kann ich reine PR machen und dabei nicht nur die traditionelle Pressearbeit verantworten, sondern gleichzeitig die Sozialen Medien weiterentwickeln – und das Ganze in einem Publikumsverlag“, erläutert er seine Motivation. Die Arbeit im auf Kinder- und Jugendbuch, Bildung und Erziehung, Weiterbildung, Pädagogik und Psychologie spezialisierten Haus bringt eine Orientierung an völlig neuen Kundenkreisen mit sich. „Wir arbeiten mit 14 Zielgruppen, von Jugendlichen über junge Eltern bis zu Coaches, Lehrer*innen und Psychotherapeut*innen. Nah dran zu sein am Publikum ist ein ständiger Prozess“, weiß Reissing. Er sieht sich selbst dabei nicht ausschließlich der klassischen Pressearbeit, sondern auch der gesamten Produkt-PR verpflichtet. „Ich setzte mir bewusst die Business-Brille auf – es geht ums Verkaufen“, beschreibt er sich und seine Tätigkeit. Gerade über die aktuell in der jeweiligen Zielgruppe angesagten Social Media-Kanäle biete sich die unmittelbare Möglichkeit authentisch zu kommunizieren und Aufmerksamkeit zu schaffen.

Außerdem reizt es ihn, Umsatzerfolge konkreten Marketingaktionen in den Sozialen Medien oder im Webshop zuordnen zu können. Wenn er erklärt, was dabei für ihn zählt, kommt die Diktion des Theologen durch: „Das oberste Gebot: Dinge sollen messbar sein“, betont er. Froh ist er darüber, dass sein sechsköpfiges Team ihn zum Start trotz Pandemie immerhin persönlich willkommen heißen konnte und auch eine Hausführung drin war – wenn auch nur mit Maske bis jeweils an die Türschwelle. Nun hofft Reissing, der jetzt gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin in Darmstadt zuhause ist, dass er bald viele weitere Kolleg*innen von Angesicht zu Angesicht kennenlernen kann. Vielleicht ist ja sogar jemand dabei, der zukünftig den seit dem Umzug noch fehlenden Partner auf dem Tennisplatz ersetzt.

Auf ein Wort:

Fan von Matrix, Kennzahlen & Co: „Mich fasziniert vor allem, dass ich nach meinem Mathe-Abi überhaupt eine Faszination für Zahlen aufbringen kann. Man lernt eine Menge über seine Zielgruppen, wenn man sich bestimmte Metriken genau ansieht. Das hat es mir irgendwie angetan.“

Alte Sprachen: „Mir hat es auf jeden Fall an ein paar Stellen geholfen, Latein, Altgriechisch und Althebräisch gelernt zu haben. Wer Monty Pythons „Das Leben des Brian“ gesehen hat, weiß, wovon ich spreche. Im Theologie-Lektorat kam es mir sicher auch zugute.“

Umzug während der Pandemie: „Ich habe drei Pandemieumzüge hinter mir und kann es wirklich niemandem empfehlen. Möbel schleppen und Kontaktbeschränkungen vertragen sich einfach nicht. Immerhin kann man sich für ein paar Tage den Sport sparen.“

Zur Person:

Moritz Reissing, Jahrgang 1989, ist in Stuttgart aufgewachsen. Er hat Theologie in Reutlingen und Heidelberg studiert. Im Jahr 2014 stieg er als Volontär im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen ein. Nach Stationen in Lektorat und Marketing verantwortete er dort ab 2019 zunächst den Bereich Werbung, später auch die Presse. Berufsbegleitend absolvierte er den Master-Studiengang „Journalismus und Medienwirtschaft“ in Kiel. Seit Dezember 2020 ist er neuer Pressechef für die Verlagsgruppe Beltz in Weinheim.

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