Börsenblatt Young Excellence Award 2021

Magda Birkmann: Sie bringt die Literatur auf Twitter

4. Juni 2021
Isabella Caldart

Magda Birkmann ist nicht nur Buchhändlerin im beliebten Ocelot in Berlin-Mitte, auch digital hat sie sich einen Namen als Expertin für abseitige und unbekannte Literatur gemacht. Sie ist für den Börsenblatt Young Excellence Award nominiert.

Wer an Austausch über Literatur auf Social Media denkt, denkt automatisch an Instagram, wo es eine große deutschsprachige Bookstagram-Szene gibt. Dass es aber auch ganz andere Möglichkeiten gibt, um online Literatur zu vermitteln, beweist Magda Birkmann. Wenn sie nicht gerade als Buchhändlerin im Ocelot Buchtipps gibt, dann tut sie das auf Twitter und mit ihrem Newsletter „Magda liest“.

„Eine Palette an toten Sprachen“

Dabei hatte sich lange Zeit gar nicht abgezeichnet, dass Birkmann in der Buchbranche landen würde. Die Nürnbergerin, die während der Schulzeit schon Latein und Altgriechisch lernte (und sich als Tolkien-Fan sogar an Elbisch versuchte!), entschied sich bewusst für ein sprachwissenschaftliches Studium der Indogermanistik und Computerlinguistik, zunächst in Erlangen, später in Köln. Indogermanistik – welche Sprachen beinhaltet das überhaupt? „Eine Palette an toten Sprachen“, sagt Birkmann mit einem Lachen. „Altirisch, Altpersisch, Mittelwalisisch, klassisches Armenisch, Altpreußisch…“ Aber: „Im Laufe meines Masters habe ich gemerkt, dass ich nicht in der Academia bleiben wollte.“ Also entschloss sie sich gegen eine Dissertation und ging auf Jobsuche.

Zum Leben gehören glückliche Fügungen, wie Magda Birkmanns Werdegang beweist. Während ihrer Zeit in Köln beschlossen sie und ihr Partner, nach Berlin zu ziehen, also bewarb sie sich nur auf Stellen in der Hauptstadt. „Am gleichen Tag, an dem ich die Zusage für eine Wohnung bekam, bekam ich auch einen Anruf von Suhrkamp.“ Ein Anruf, der ein achtzehnmonatiges Volontariat im Online-Bereich des Verlags bedeutete, wo sie unter anderem für die Pflege der Website, Social Media und Blogger Relations mit zuständig war. Nach Ende des Volos aber war klar, dass Birkmann keine Zukunft bei Suhrkamp haben würde, weil es schlicht und ergreifend keine freie Stelle gab. Dann sah sie die Ausschreibung im Ocelot. Eigentlich wurde eine gelernte Buchhändlerin gesucht, „aber ich hatte nichts zu verlieren“. Und viel zu gewinnen: Im März 2018 fing Birkmann als Quereinsteigerin in der Berliner Buchhandlung an.

Buchhändlerin – manchmal ein magischer Job

Als Kind hatte sie zwar auch davon geträumt, als Buchhändlerin zu arbeiten, erzählt Birkmann rückblickend. „Aber das war auf einer ähnlichen Ebene wie die Vorstellung, Lokomotivführerin zu werden.“ Während die Lokomotive im Bahnhof stehenbleiben muss, ist sie nach drei Jahren Ocelot immer noch begeistert von ihrer Arbeit im Buchhandel. Natürlich ist nicht alles immer eitel Sonnenschein, gegen die Romantisierung ihres Jobs wehrt sie sich mit Nachdruck. „Ja, ich lese den ganzen Tag, wenn ich nicht arbeite, aber alles, was ich lese, auch Verlagsvorschauen oder Leseexemplare für die Arbeit, mache ich unbezahlt in meiner Freizeit.“ Und auch der Alltag im Laden besteht oft aus Bücherstapel geraderücken, Staub wischen oder buchhalterischem Kram. „Es ist am Ende ein Einzelhandelsjob.“ Trotzdem – missen möchte sie den Job auf keinen Fall.

Das Ocelot hat den großen Vorteil, dass es sich, so Magda Birkmann, um keine gewöhnliche Kiezbuchhandlung handelt. Vor allem dank Social Media, aber auch durch die vielen Aktionen wie zum Indiebookday oder Black History Month und durch den Fokus auf vielfältige Literatur aus kleinen Verlagen, ist Ocelot bundesweit, ja, sogar international bekannt. Das macht die Arbeit besonders spannend. „Oft stehen Kund*innen andächtig an der Kasse und erzählen uns voller Freude, dass sie dem Ocelot schon lange auf Instagram folgen und jetzt zum ersten Mal hier sind.“ Außerdem kommen Verlagsmenschen und Autor*innen zum Arbeiten vorbei oder um Interviews zu führen, wodurch Birkmann viele Akteur*innen der Berliner Literaturszene kennengelernt hat. Und darüber hinaus: „Mein größten Fangirl-Moment war, als der Autor Tommy Orange plötzlich im Laden stand!“ Ihre Augen leuchten, während sie das erzählt. Es gibt sie also doch, die magischen Momente als Buchhändler*in.

Steckenpferd: vergessene Autorinnen

Aber nicht nur auf der Arbeit, auch privat dreht sich bei Magda Birkmann alles um Literatur. Seit 2014 ist sie auf Twitter aktiv und hat sich im Laufe der Jahre eine große Literatur-Bubble aufgebaut – mehr als 4.000 Menschen folgen ihrem Account @Magdarine. „Ich habe mir den Ruf arbeitet als Twitter-Buchhändlerin mit vielen Buchempfehlungen“, sagt sie mit Stolz. Ihre Buchempfehlungen sind übrigens meistens von Frauen oder queeren Autor*innen. „Wenn ich es mir frei aussuchen kann, lese ich am liebsten englischsprachige Autorinnen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.“ Sie liebt es, unbekanntere, vergessene Schriftstellerinnen aufzustöbern und ihren Follower*innen zu empfehlen. „Ich lese viele Blogs, die sich speziell mit diesem Thema beschäftigen. Außerdem wühle ich mich durch Antiquariate, bin auf der Suche nach Schätzen in offenen Bücherschränken, und so sehr ich das Label ‚Frauenliteratur‘ ablehne, gab es unter dieser Vermarktung früher auch bei deutschen Verlagen tolle Reihen, die ich heute entdecke.“

Durch die Vernetzung auf Twitter kam zudem eine Kooperation mit dem Online-Feuilleton 54books zustande. Seit dem Sommer 2020 sprechen sie und Redakteur Simon Sahner einmal im Monat sonntags, unterstützt durch das Goethe-Institut Schweden, live auf Instagram über aktuelle Neuerscheinungen. „Bei vielen hat sich unser Videotalk schon zu einer festen Tradition etabliert, sie schauen uns statt dem ‚Tatort‘!“

Twitter ist knapp und unmittelbar, Instagram Live an ein Medium gebunden und thematisch eingegrenzt. Deswegen schreibt Magda Birkmann seit Februar zusätzlich einen Substack-Newsletter, der sie sich ihrer „Mission: Wiederentdeckung“ widmet und den inzwischen rund 800 Menschen empfangen. „Ich bin ein Listenmensch, habe Excel-Tabellen mit meinen Leseprojekten. Es wäre schade, das nur für mich zu behalten, weil das andere auch interessieren könnte.“ Also verschickt sie alle zwei Wochen „Magda liest. Und liest. Und liest.“ Stoff für ihren Newsletter hat sie noch für viele Jahre, versichert sie.

Ein einziges Hobby

Bleibt noch eine letzte Frage: Wie viel liest Magda Birkmann wohl pro Jahr? Auf die Frage antwortet sie eher verhalten. „Ich lese von Jahr zu Jahr mehr, inzwischen bin ich bei über 150 Büchern. Aber ich sage immer dazu: Lesen ist kein Wettbewerb.“ Sie selbst habe dafür keine Ahnung von anderen Themen wie etwa Kunst oder aktuelle Podcasts. „Ich habe keine anderen Hobbys als lesen, Literatur ist das Einzige, was mich interessiert. Es gibt so viele Bücher, die ich noch entdecken will.“ Was ein Glück, dass Magda Birkmann keine anderen Hobbys hat – und dass sie über Twitter und den Newsletter ihre Entdeckungen mit der Welt teilt!

Auf ein Wort

Bären: „Eines der besten Bücher, die ich letztes Jahr gelesen habe, handelt von einer Frau, die versucht, Sex mit einem Bären zu haben (Marian Engels ‚Bear‘), zu meinen diesjährigen Highlights gehört ein Buch, in dem ein Bär einer Frau ins Gesicht beißt (‚An das Wilde glauben‘ von Nastassja Martin). Ich weiß nicht, ob man nach zwei Büchern schon von einem Trend sprechen kann, aber ich bin sehr gespannt, welches unerwartete Bärenlieblingsbuch mir 2022 womöglich bringen wird.“

Task Master: „Zwei Dinge haben mir in den Corona-Lockdowns die Laune gerettet: meine Twitter-Bubble und die britische Game Show ‚Task Master. Ich kenne keine Reality-TV-Sendung, die mich mehr aufheitert, deshalb habe ich im Laufe des letzten Jahres zehn Staffeln davon geguckt und sie auch allen meinen Freund*innen mit Liebeskummer und anderen emotionalen Tiefpunkten empfohlen.“

Tea Time: „Ich hasse Kaffee, bin aber große Teetrinkerin. Da ich bekannt dafür bin, sehr gute Tee-Partys zu schmeißen, kann ich es kaum erwarten, dass diese Pandemie endlich vorbei ist und ich meine neu gewonnenen Twitterfreund*innen mit Scones, Gurkensandwiches und einer Kanne Earl Grey bewirten kann.“

Zur Person

Magda Birkmann, geboren 1989, ist in Nürnberg aufgewachsen und lebt seit 2016 in Berlin. Nach einem sprachwissenschaftlichen Studium absolvierte sie ihr Volontariat in der Marketing-Abteilung des Suhrkamp Verlags, bevor sie im März 2018 in der Buchhandlung Ocelot anfing. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich digital mit Literaturvermittlung, vor allem auf Twitter (@Magdarine) und mit ihrem Newsletter „Magda liest“.

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