Ob (Hör)buchverlag, Literaturfestival, Leseförderung, Branchenverband oder Buchhandlung: Lennart Schaefer ist 23 Jahre jung und hat schon aus zahlreichen Bereichen der Buchbranche Erfahrungen gesammelt. Mit seinem Einstieg in die Verlagsgruppe Oetinger als Junior Veranstaltungs- und Projektmanager im Sommer 2020 schließt sich für Schaefer ein Kreis. Kaum zu glauben, dass das, was er heute mit großer Leidenschaft und Energie verfolgt, ursprünglich als Trostpreis gedacht war.
„Bei einem Gewinnspiel zur Oetinger-Fantasy-Reihe ‘Oksa Pollock‘ hatte ich einen Tag im Hörbuch-Studio gewonnen“, erzählt Schaefer, „und zufällig hat mich der Regisseur als Stimme entdeckt: Ich sollte in einer neuen *Bullerbü‘-Aufnahme den Lasse sprechen.“ Eine Riesenchance für den damals 14-Jährigen, doch eine Hausstauballergie machte ihm einen Strich durch die Rechnung; einen Lasse mit verstopfter Nase wollte natürlich niemand haben. „Das war ein herber Rückschlag, aber stattdessen wurde mir ein Schülerpraktikum bei Oetinger media angeboten“, berichtet Schaefer, für den sich der Trostpreis als Hauptgewinn herausstellte - das Praktikum legte den Grundstein für die spätere Berufswahl. „Wenn mich jemand fragt, wie man in die Buchbranche kommt, empfehle ich immer, sich eine hartnäckige Allergie zuzulegen“, sagt Schaefer.
Nach dem ersten Schritt öffneten sich weitere Türen, auch weil er privat großes Engagement an den Tag legte. Von 2012 bis 2016 führt er einen eigenen Blog mit Rezensionen und Interviews, zwischenzeitlich vermittelt er über eine selbst erstellte Website Bücher an Kinder aus geflüchteten Familien. Über seine Lieblingsbuchhandlung bis heute, die Buchhandlung von Gellhorn, „ergaunert“ er sich seit er 14 Jahre alt ist Fachbesuchertickets für die Buchmesse in Frankfurt und überredet seine Klassenlehrerinnen, die drei Tage schulfrei zu bekommen.
Parallel dazu reiht sich ein Praktikum ans nächste: Hörcompany, Ueberreuter Verlag, Seiteneinsteiger e.V., Carlsen Verlag, Harbour Front Literaturfestival – sogar in den Ferien ist er tage- oder wochenweise hier zu finden. „Ich bin da so von einem Praktikum ins nächste gestolpert – immer hat sich eine neue Tür geöffnet“, erklärt Schaefer. Mit dem Leseclub Reading Teens der Hamburger Buchhandlung Christiansen ist er in der Jugendjury des Jugendliteraturpreises. „Daneben hatte ich aber auch schon immer viele verschiedene Interessen, habe auch in den medizinischen Bereich hineingeschnuppert. Aber die Buchbranche hat mich gepackt, zumal es mir geholfen hat, mit diesem Ziel vor Augen, die Schulzeit zu durchstehen.“
Mit dem Rad durch Europa
Nachdem er 2016 das Abitur in der Tasche hat und dazu einen Ausbildungsvertrag bei der Bastei Lübbe AG in Köln, verlässt er seine Komfortzone und macht sich alleine per Rad auf den Weg quer durch Europa, ohne überhaupt zu wissen, wie man ein Rad flickt, dafür mit mittelmäßigem Orientierungssinn – das Geld hat er sich unter anderem als Aushilfe bei der Buchhandlung Heymann verdient. In drei Monaten lernt er so elf Länder und auch sich selbst besser kennen. „Das war eine 5.000km-Therapie: Wenn man so allein durch die Gegend fährt, wird man richtig auf sich selbst zurückgeworfen und kann gar nicht mehr machen, als die Natur aufzusaugen und ganz viel über alles nachzudenken. Und ich habe gelernt bei all dem Mist, der einem da passiert, mehr für Anekdoten zu leben.“
Im Sommer 2017 startet er seine Ausbildung zum Medienkaufmann Digital und Print bei Bastei Lübbe in Köln und entdeckt die Bereiche Vertrieb und Marketing für sich. Darüber hinaus ruft er zusammen mit Lea Kaib den Literaturpodcast LitCast ins Leben und hält Vorträge zum Beispiel auf der Jugend-Konferenz Tincon oder auf der Leipziger Buchmesse: „Ich kann gut reden, bin aber jedes Mal aufgeregt, wie ein Schulkind vorm ersten Referat. Mir wird zum Glück oft gesagt, dass man mir die Aufregung nicht ansieht – da bin ich ganz froh, dass es so und nicht andersherum ist.“
Nahtlos wird er im Anschluss als Junior Marketing Manager für Belletristik und Sachbuch übernommen. Doch es zieht ihn wieder zurück in den Norden, so dass er im Juni 2020 in der Verlagsgruppe Oetinger als Junior Veranstaltungs- und Projektmanager anheuert. Schaefer geht dort nicht nur mitten in Corona-Pandemie an Bord, sondern auch in einer Umbruchphase des erfolgreichen Kinder- und Jugendbuchverlags, der im Sommer 2020 im Rahmen eines umfassenden Neustrukturierungsprozesses von der Hamburger Peripherie mitten ins quirlige Großstadttreiben nach Hamburg-Altona zog.
Mit Schaefer als Neuzugang stellt sich die mit zwei Köpfen besetzte Veranstaltungsabteilung erstmals selbstständig auf, vorher war der Bereich im Marketing angedockt. Zusammen mit Kollegin Helga Blümlein verantwortet Lennart Schaefer unter anderem den Aufbau der Event-Plattform HeldenstückeLIVE, auf der Oetinger und weitere Veranstalter*innen ihre Angebote für Lesungen und andere Formate einstellen. „Ich bin in der Produktform großer Verfechter des gedruckten Buches, aber zu schauen, was drumherum im Digitalen geht, finde ich wahnsinnig spannend“, sagt Schaefer, der den innovativen Charakter der digitalen Plattform ebenso sehr schätzt wie das agile Teamwork zusammen mit der Berliner Agentur Literaturtest.
Zweite „Baustelle“ für Schaefer ist das Oetinger Kulturdeck: Ein Theatersaal mit 50 Sitzplätzen, der direkt in den neuen Verlagssitz integriert ist. Der Tatsache, dass die Pandemie die Aufnahme des Veranstaltungsbetriebs ausbremste, kann Schaefer auch Positives abgewinnen: „Das gibt einem Zeit, Konzepte zu entwickeln für analoge, digitale und hybride Veranstaltungen, denn wir haben Top-Technik integriert. Das Oetinger Kulturdeck soll ein Ort für Begegnungen mit Menschen und Themen werden“. Für den Veranstaltungs-Fan Schaefer ein Traum: „An Veranstaltungen liebe ich das Unerwartete, dass nichts zu 100% planbar ist und die vielen Menschen, mit denen man zu tun hat: Autor*innen, Mitarbeiter*innen aus dem Verlag oder der Branche und natürlich den Leser*innen.“
Unterwegs in allen Formaten und im Ehrenamt
Zeitgleich nutzt Schaefer die Möglichkeit trotz Corona, weitere kreative Ideen umzusetzen, wie die Video-Reihe „Gut gelaunt durch den Lockdown“ auf YouTube, in der er Interviews mit Köpfen der Buchbranche führt. „Ich mag die Begegnungen in unserer gut vernetzten Branche“, betont der Hamburger, dem auch Kontakte über die „Buch-Bubble“ hinaus wichtig sind. So spielt er in Hamburg Theater, für das er nun auch ein Stück selbst geschrieben hat, das in diesem Dezember uraufgeführt werden soll.
Seit 2018 ist Schaefer Mitglied des Nachwuchsparlaments des Börsenvereins und vertritt seit 2019 als gewählter Sprecher die Interessen der Nachwuchskräfte in der Buchbranche, ist Ansprechpartner für Fragen, Wünsche und Kritik rund um Ausbildung und Berufsstart. Vor Corona war er regelmäßig in ganz Deutschland unterwegs und hat die Idee des Nachwuchsparlaments vorgestellt. Zu Beginn seiner Amtszeit hat er zusammen mit der damaligen Co-Nachwuchssprecherin Cleo Ciba, die ihn zu vor für das Nachwuchsparlament begeistern konnte, und Elena Appel (Referentin der Berufsbildung) mehrere Taskforces gegründet: „Uns war es wichtig, die vielen wichtigen Themen über das ganze Jahr zu spielen. Im Börsenverein werden wir ernst genommen, fühlen uns gesehen und gehört. Als es beispielsweise um den Azubi-Brandbrief ging, haben wir gemeinsam darüber gesprochen, wie wir darauf am besten reagieren können. Eine Teilnahme am Nachwuchsparlament kann ich genauso empfehlen, wie Mitglied bei den Jungen Verlags- und Medienmenschen zu werden.“ (Aktualisierung: Das Amt des Nachwuchssprechers hat Lennart Schaefer turnusgemäß bei der letzten Tagung des Nachwuchsparlaments im Juli 2021 abgegeben)
Einen genauen Plan für seine Zukunft hat er nicht: „Im besten Fall bin ich in zehn Jahren irgendwo, womit ich nie gerechnet hätte – erfolgsloser Schauspieler oder erfolgreicher Politiker, irgendwelche Kompromisse muss man ja machen. Ich finde so viele Dinge interessant, dass ich sie gar nicht in die paar Jahre Leben, die man so hat, quetschen kann.“ Sein einziges festes Ziel: „Ich möchte in diesem Jahr gerne mein Buch fertig schreiben.“