Kolumne

Der unnötige Tanz ums Protokoll

26. Juli 2021
Veronika Weiss

Fühlen Sie sich degradiert bei dem Satz: „Schreiben Sie heute bitte das Protokoll?“ Davon sollten Sie wegkommen, denn es ist eine Äußerlichkeit, meint Veronika Weiss. Sie sieht viele Vorteile darin, mitzuschreiben. Welche das sind, schildert sie in ihrer Kolumne.

Veronika Weiss

Sie erinnern sich bestimmt, wie es ist, ums Protokollschreiben gebeten zu werden. Der erste Impuls ist meist innere Abwehr, der zweite die mehr oder weniger widerstrebende Zusage. Haben Sie sich insgeheim degradiert gefühlt? Oft genug ist es ja so, dass der neueste Team-Zugang protokollieren soll. Dass das gut ist, bezweifle ich. Um den teils kontroversen Gesprächen folgen und ein korrektes Protokoll verfassen zu können, ist eine gute Betriebskenntnis notwendig. Nicht jede Problematik erschließt sich jemandem, der oder die erst wenige Wochen in der Firma ist.

Wer schreibt, der bleibt

Sie als Protokollierende*n hingegen haben dadurch unzählige Vorteile: Sie haben einen direkten Anreiz, gut aufzupassen, denn die Qualität der Mitschrift wird wahrgenommen. Durch gutes Verständnis und entsprechend klares Formulieren können Sie Eindruck schinden. Gerade zu Beginn der Betriebszugehörigkeit lernen Sie durchs Protokollieren die Namen der Anwesenden plus richtige Schreibweise, interne Abkürzungen, wer im Haus welche Rolle einnimmt und so fort. Bei Unsicherheiten und Lücken sind Sie gezwungen, nachzufragen, und das ist nicht nur Ihnen nützlich. Wenn etwas nicht abschließend besprochen ist, haken Sie nach: „Wie darf ich das notieren?“ oder (etwas suggestiver) „Ich halte also fest, dass …?“ So können Sie eine Sitzung aktiv effizienter gestalten.

Wenn Sie später die Mitschrift noch einmal durchgehen (oder digitalisieren, wenn Sie gerne per Hand mitschreiben), memorieren Sie gleich ein zweites Mal. Wetten, dass Sie sich im nächsten Meeting genauer erinnern als die meisten anderen?

Protokoll or it didn’t happen

Was nicht schriftlich festgehalten wird, das fällt schnell unter den Tisch. Was hingegen einmal aufgezeichnet ist, bleibt auch da. Jederzeit kann man Beschlüsse nachsehen und sich auf Aussagen und Ergebnisse aus Protokollen berufen. Das wirkt dem Stille-Post-Prinzip entgegen. Und: Eine Niederschrift kann durch Nuancen in Formulierungen eine Gewichtung setzen. Hier zeigt sich mal wieder die Macht der Sprache – und damit auch des oder der Protokollierenden.

Warum also zuerst immer die Praktikant*innen und Volontär*innen damit beauftragen? In Vereinen ist die Position des oder der Schriftführenden sogar im Vorstand verankert. Wer die Agenda herumschickt – also die Themen der Sitzung bestimmt –, schreibt nicht selten auch mit. Wenn dem Protokoll der Ruf eines notwendigen Übels anheftet, das auf die rangniedrigste Person im Team abgewälzt werden muss, tut man dem wertvollen Schriftstück unrecht.

Spaß haben beim Mitschreiben!

Ist es nicht toll, dass Sie als Protokollführende*r während des Meetings als einzige*r produktiv sein können? Egal, wie sehr sich das Meeting in die Länge zieht, Sie können die Zeit nutzen, um auszuformulieren oder ergänzende Notizen zu machen. Oder Sie halten Ihre Neuronen durch kreative Kritzeleien bei Laune, ohne dass es groß auffällt.

Journaling ist ohnehin ein Trend. Hübsch Gedanken zu Papier bringen, ein paar Bulletpoints setzen, bunt unterstreichen, Ort und Uhrzeit dazu, To-dos notieren – ein Journal ist sozusagen die kleine verspielte Schwester des Protokolls. Vielleicht sollten wir letzteres umbenennen. Dann würde auch keine Mühsal mehr mitschwingen, sondern intrinsische Motivation, außerdem Achtsamkeit und Wertschätzung. Das wär doch was. 

Unsere Kolumnistin

Veronika Weiss (36) ist in Wien aufgewachsen und hat dort Germanistik und Musikwissenschaften studiert. Nach Praktikum und Elternzeitvertretung arbeitet sie in Hamburg als Lektorin in der Verlagsgruppe HarperCollins (Cora Verlag) und nebenbei frei als Texterin. Im Börsenblatt schreibt Weiss unter anderem über Trends in der Arbeitskultur, Berufseinstieg und Work-life-Balance.