„Der Anfang war stürmisch“, bringt Christiane Lawall ihre erste Zeit in Berlin auf den Punkt. Fast in Lichtgeschwindigkeit hatte sie es im Ueberreuter Verlag von der Volontärin über die Assistentin und Junior-Lektorin bis zur Lektorin gebracht. So angekommen im Annette Betz Verlag, dem Bilderbuchimprint bei Ueberreuter, sammelte sie schließlich fünf Jahre lang Erfahrung, bevor sie dort 2018 zur Programmleiterin aufstieg.
Sicher war und ist es auch ihre langgehegte Liebe zum Lesen, die die heute 35-Jährige auf ihrem Werdegang derart beflügelt. Ihr Schlüsselerlebnis, das die Leidenschaft zur Literatur weiter anfachte, kann so schön nur das wahre Leben schreiben: Als sie nach dem Abitur mit einem Studium der Buchwissenschaften liebäugelt, organisiert ihr Vater kurzentschlossen einen gemeinsamen Ausflug auf die Frankfurter Buchmesse. Dort trifft sie Rafik Schami, dessen (Hör-)Bücher sie schon als Kind verschlungen hat. „Dieses Treffen im Jahr 2005 – ein Foto davon habe ich heute noch – hat mich dazu animiert, ein Lesejournal zu führen“, erzählt Lawall. „Lesen war für mich immer gleichbedeutend damit, fremde Welten zu erkunden, andere Leute und andere Perspektiven zu entdecken.“ Sie selbst verlässt im selben Jahr ihren kleinen Heimatort Windesheim in der Nähe von Bad Kreuznach und geht nach Mainz, um Buchwissenschaft, Germanistik und Betriebswirtschaftslehre zu studieren.
„Eine Alternative wäre Pädagogik gewesen. Ich habe als Jugendliche viele Ferienfreizeiten betreut und mich während des Gottesdienstes um die Kinder gekümmert“, sagt Lawall. Aufgrund ihres sozialen Engagements wird sie während ihres Studiums vom Evangelischen Studienwerk Villigst als Stipendiatin unterstützt. An der Uni Mainz habe sie „alles, was da war, wie ein Schwamm“ aufgesogen. „Mich hat alles interessiert, ich blicke gern über den Tellerrand“, betont sie. Zu einem Schwerpunkt wird Historisches, alte deutsche Schrift und Archivarbeit – schließlich fühlt sie sich schon von Kindesbeinen an in Bibliotheken zuhause, in der kleinen Gemeindebücherei in Windesheim genauso wie in der Dresdner Stadtbibliothek, von der sie „total begeistert“ ist, und in der Bibliothek im Ostseebad Zingst, die traditionell rund um den Jahreswechsel aufgesucht wird, bis hin zur weiträumigen Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin.
Einstieg in die Verlagswelt
Neben Praktika in Archiven, wie dem Bertelsmann Unternehmensarchiv in Gütersloh, wo sie an der Aufarbeitung des Luchterhand-Archivs mitwirkt, und im Museum Casa di Goethe in Rom – die Liebe zu Italien hatte sie zuvor für ein Semester an die Universitá degli Studi di Udine geführt – sammelt sie Erfahrungen im Verlagswesen. „Mein erstes Verlagspraktikum hatte ich im Jahr 2006 in einem juristischen Fachverlag in Heidelberg“, erzählt Lawall, „noch mit auf Schreibmaschine getippten Manuskripten, die nach Pfeifentabak rochen“.
Nach dem Magisterabschluss im Jahr 2011 bleibt sie ihrer Uni als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Buchwissenschaft erhalten. „Doch das Büchermachen reizte, mich, ich hatte Blut geleckt und wollte in die Praxis“, steht bald für sie fest. 2012 ergreift sie die Chance, für ein Volontariat in den Ueberreuter Verlag nach Berlin zu gehen. Dort ist sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Schon nach drei Monaten kann sie als Schwangerschaftsvertretung auf eine feste Stelle als Lektoratsassistentin wechseln und wiederum nach kurzer Zeit in Elternzeitvertretung als Lektorin für das Imprint Annette Betz tätig werden. Hier vertieft sie fast fünf Jahre lang ihre Kenntnisse und wird 2018 Programmleiterin für das Bilderbuch.
Zwischen Bilderbuch und Kreuzberg
„Ich finde das Zusammenspiel der Bild- und Textebenen wahnsinnig toll“, sagt Lawall, der man dabei anmerkt, wie sehr sie für ihr Metier brennt. „Ich mag diese kurzen Texte sehr. Sie sind eine Kunstform, die auf wenigen Seiten eine Geschichte erzählen, Spannung aufbauen und Emotionen wecken. Die Illustration macht etwas ganz eigenes daraus“, erläutert Lawall, der es wichtig ist, dass der kindlichen Phantasie dabei viel Freiraum bleibt.
Ihr Team bringt pro Jahr bis zu 40 Bilderbücher heraus, bei der Arbeit sind ihr die Gespräche, der Austausch von Ideen und Entscheidungen auf kurzem Weg wichtig. „Seit einem Jahr ist es ein bisschen einsam geworden. Mein Küchentisch ist mein Homeoffice und der Austausch ist aufwendiger zu organisieren. Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass Gespräche über Videocall zwar kein Ersatz, aber zukünftig hoffentlich eine wunderbare und vor allem umweltfreundliche Ergänzung zur Kommunikation innerhalb des Verlags und nach außen sein können“, führt die im Stadtteil Kreuzberg lebende Hauptstädterin aus. Was sie extrem vermisst – neben den üppigen Kuchenbüffets, die anlässlich von Geburtstagen im Verlag aufgetischt werden – sind die Treffen auf den Buchmessen, die für sie normalerweise zu den Highlights des Jahres gehören, allen voran die Internationale Kinderbuchmesse in Bologna. „Die Messen fehlen wirklich sehr, das ist ein hartes Brot“, bedauert sie. Stattdessen tummelt sie sich digital auf internationalem Parkett und „man telefoniert in der ganzen Welt herum, von Australien bis Israel. Dadurch kommen als neue Dimension die verschiedenen Zeitzonen hinzu, die man beachten muss.“
Lawall ist sich sicher, dass sich Corona auch auf die Nachfrage nach Bilderbüchern und deren Inhalte auswirkt. „Die Zahlen zeigen, dass emotionale Themen mehr gefragt sind, Titel wie „Die Prinzessin von Bestimm“ und „Ich hab da so ein Gefühl“. Im neuen Buch „Ein Geschenk für den König“ geht es darum, mit einer Umarmung ein echtes Geschenk zu machen“, gibt sie Beispiele.
Nah dran an der Zielgruppe ist Lawall nicht nur, wenn sie Kindergruppen durch den Verlag führt. Seit 2011 betreut sie die Jungen und Mädchen, die zum Finale des vom Börsenverein veranstalteten Vorlesewettbewerbs nach Berlin reisen. „Es ist toll zu sehen, wie groß die Bandbreite ihrer Interessen ist“, stellt sie fest. Der Austausch mit unterschiedlichsten Menschen bedeutet ihr ein Höchstmaß an Inspiration. Sei es als Vortragende in Buchhandlungen, als Mitorganisatorin des Illustrationspreises Buntspecht, dessen Jury mit Michael Sowa, Britta Teckentrup und Jana Kühn hochkrarätig besetzt ist, als ehrenamtlich Engagierte im Evangelischen Studienwerkes Villigst oder als „Stimme aus der Branche“, wenn sie Studierenden der Buchwissenschaften ihre Erfahrungen weitergibt – immer getreu der Devise der begeisterten Hobbyköchin: „Nicht nur das eigene Süppchen köcheln“.