Bildungsbericht zeigt Handlungsbedarf

"Wir müssen noch ehrgeiziger sein"

18. Juni 2024
Redaktion Börsenblatt

Der nationale Bildungsbericht erscheint alle zwei Jahre und beschreibt die Gesamtentwicklung des deutschen Bildungswesens. In diesem Jahr widmet er sich schwerpunktmäßig der beruflichen Bildung.

Bildung in Deutschland 2024

Seit 2006 erscheint der Bildungsbericht alle zwei Jahre. Daran beteiligt sind das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V., das Deutsche Jugendinstitut, das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, das Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen an der Georg-August-Universität sowie das Statistische Bundesamt und die Statistischen Ämter der Länder.

Statement von Bettina Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung

„Der Bildungsbericht zeigt, dass unser Bildungssystem vor großen Herausforderungen steht. Wir brauchen dringend eine bildungspolitische Trendwende. Hier setzen wir auf verschiedenen Ebenen und Altersstufen an: Von den Kitas bis zu den Ausbildungsbetrieben – wir brauchen einen Perspektivwechsel und Bildungsinstitutionen, die Vielfalt als Chance begreifen", sagt die Bildungsministerin und kündigt an, man werde sich mit aller Kraft für mehr Chancengerechtigkeit einsetzen. Beispielsweise mit dem Startchancen-Programm zum kommenden Schuljahr, das in der Geschichte der Bundesrepublik das "größte und langfristigste Bildungsprogramm" sei. Der Bildungsbericht zeige ebenso, dass ein starkes Berufsbildungssystem gebraucht werde, das junge Menschen konsequent fördere und an die moderne Arbeitswelt angepasst sei. Die Exzellenzinitiative Berufliche Bildung solle dazu mit gezielten Maßnahmen beitragen.

Statement von Christine Streichert-Clivot, Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK)

Auch Christine Streichert-Clivot, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Ministerin für Bildung und Kultur des Saarlandes äußerte sich zu den Ergebnissen des Berichts. „Wir müssen noch ehrgeiziger sein, um das Versprechen des sozialen Aufstiegs für Jugendliche zu erneuern. Immer noch hängen die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen stark vom sozialen Hintergrund ab. Die kommende Generation erwartet zurecht, dass wir diese Ungerechtigkeit angehen." Auch sie verweist an dieser Stelle auf das Startchancenprogramm. Es solle die Schulen dabei unterstützen, eine moderne und attraktive Lernumgebung zu schaffen, passgenaue pädagogische Angebote zu ermöglichen und die multiprofessionelle Unterstützung auszubauen. 

Im Hinblick auf die steigende Zahl der jungen Erwachsenen ohne formale Qualifikation weist Streichert-Clivot auf den Pakt für Berufliche Schulen hin, der den Einstieg in die Berufswelt erleichtern und die Arbeitsmarktperspektiven verbessern soll.

Und "weil starke Schüler:innen starke Lehrkräfte brauchen", seien auf der Transformations-Kultusministerkonferenz, deren Ergebnisse Streichert-Clivot als "historisch" bezeichnet, neue Wege ins Lehramt geebnet worden, beispielsweise für "Ein-Fach-Lehrkräfte", sowie für "Absolventinnen und Absolventen sogenannter Quereinstiegs-Masterstudiengänge und dualer Studiengänge.“

Einige Ergebnisse im Überblick

  • Die Ausgaben für Bildung sind in den letzten 10 Jahren um 46 Prozent gestiegen, der Anteil am Bruttoinlandsprodukt hat sich seitdem jedoch nur geringfügig erhöht. Die Ausgaben je Schüler:in oder Studierenden liegen in Deutschland deutlich über dem OECD-Durchschnitt.
  • Die Anzahl an Menschen, die Bildungseinrichtungen besuchen, war 2022 um 7% höher als noch 2012. Die Anzahl der Einschulungen beispielsweise hat mit etwa 831.000 Kindern zum Schuljahr 2023/24 einen neuen Höchstwert seit 20 Jahren erreicht. Höhere Geburtenzahlen und ein zuwanderungsbedingtes Bevölkerungswachstum haben insbesondere zu Anstiegen in den Bereichen der frühen Bildung und der Hochschulbildung geführt.
  • Der Anteil an jungen Erwachsenen, die weder in einem formalen Bildungsgang eingebunden noch beschäftigt sind, war 2022 in Deutschland mit 9% wesentlich geringer als der OECD- und der EU-weite Durchschnitt (15% und 14%)
  • Über verschiedene Altersgruppen hinweg betrachtet zeigt sich für 2022 ein langfristiger Trend zur Höherqualifizierung. 30% der erwachsenen Bevölkerung verfügte 2022 über einen höheren beruflichen oder akademischen Abschluss. Der Anteil der Frauen mit hohem Bildungsabschluss lag bei den 30-35 jährigen erstmals knapp über dem der Männer (40% und 38%).
  • In Deutschland geborene oder bis zum 9. Lebensjahr zugewanderte 20-25-jährige mit Einwanderungsgeschichte besuchen anteilig genauso häufig Bildungseinrichtungen wie junge Erwachsene ohne Einwanderungsgeschichte. Ein Zeichen gelingender Integration, gerade unter Berücksichtigung der ukrainischen Geflüchteten. 218.000 ukrainische Kinder und Jugendliche befanden sich im Dezember 2023 im deutschen Schulsystem.
  • Die soziale Herkunft, die finanzielle Situation der Eltern sowie insbesondere ihre formale Qualifikation sind weiterhin bestimmende Faktoren für die Bildung der Kinder und Jugendlichen. Besonders Kinder von Alleinerziehenden oder Eltern mit Einwanderungsgeschichte sind von diesen Risikofaktoren überproportional häufig betroffen.
  • Besonders wichtig für das spätere Bildungsniveau der Kinder ist, ob ihnen regelmäßig vorgelesen wird. Dies kommt bei formal geringer qualifizierten Eltern seltener vor und gestaltet sich organisatorisch bei Alleinerziehenden wie auch bei Patchworkfamilien oft schwierig.
  • Im Jahr 2023 gab es in Deutschland einen neuen Höchststand an Kitas mit einem Anstieg von 24% seit 2006. Auch die Erwerbstätigenquoten bei Müttern im 1. Lebensjahr des jüngsten Kindes sowie mit einem jüngsten Kind zwischen 3 und 6 Jahren sind weiter angestiegen. Weiterhin ist jedoch vor allem für Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Problem: Beispielsweise beträgt die Teilzeitquote bei alleinerziehenden Müttern 58%, bei alleinerziehenden Vätern nur 15%.
  • Die Anzahl der in Kindertagesstätten betreuten Kinder sowie der in Kindertagesstätten Beschäftigten sind kaum angestiegen. Der Altersdurchschnitt der Kita-Beschäftigten liegt in Deutschland unter dem Durchschnitt in vergleichbaren Einrichtungen anderer OECD-Staaten. Der Anteil an Beschäftigten unter 30 und über 50 ist fast identisch.
  • 25% der Kita-Kinder im Alter von 3 Jahren bis zum Schuleintritt wachsen mit einer nichtdeutschen Familiensprache auf. Umso wichtiger ist es für die Kitas, sich auf diese mehrsprachig aufwachsenden Kinder einzustellen.
  • Die Anzahl der an allgemeinbildenden Schulen beschäftigten Lehrkräfte ist mit 793.000 im Jahr 2022 um etwa 91.000 seit 2002 gestiegen. Etwa die Hälfte von ihnen ist in Vollzeit tätig. Bis 2035 fehlen laut Prognosen weitere 24.000 Lehrkräfte bundesweit.
  • Die Anzahl der Studienanfänger ist von 2020 bis 2023 um etwa 11% gesunken. Die Kultusministerkonferenz prognostiziert jedoch einen Wiederanstieg. Stark gestiegen sind wiederum die Zahlen der neu eingeschriebenen Studierenden aus der Ukraine. Insgesamt ist Deutschland hinter den USA und Großbritannien auf Platz drei der beliebtesten Zielländer für internationale Studierende. Diese machen inzwischen 22% aller in Deutschland erlangten Masterabschlüsse und Promotionen aus, in MINT-Fächern sogar 26%.
  • Inzwischen hat jeder vierte Studierende vor dem Studium außerdem einen Berufsabschluss erworben, an privaten Hochschulen sogar jeder zweite.
  • Da insbesondere die berufliche Bildung vom allgemeinen Arbeitsmarkt abhängig ist, wirken sich gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen dort unmittelbar aus. Das Angebot an Ausbildungsstellen hat sich im Vergleich zum Pandemiejahr 2020 2023 bereits merklich erholt, bleibt jedoch weiterhin hinter den Zahlen von 2019 zurück. Dasselbe ist zu erkennen bei den Zahlen der Neuzugänge in das duale Ausbildungssystem.

Den Bericht sowie weiterführende Materialien und Informationen gibt es im Internet unter www.bildungsbericht.de