Interview mit Ed Nawotka, Publishers Weekly

Weshalb die Ukraine russische Bücher verbannen will

16. März 2022
Michael Roesler-Graichen

Die Forderung ukrainischer Literaturinstitutionen, weltweit russische Bücher und Verlage zu boykottieren, stieß hierzulande auf Unverständnis. Ed Nawotka, Redakteur von "Publishers Weekly" und Kenner des ukrainischen Buchmarkts, über die Hintergründe.

Warum hat Russland den ukrainischen Buchmarkt mit billigen Taschenbüchern, die oft großrussische Propaganda enthalten, überflutet?
Die Veröffentlichung und Förderung von Propagandaliteratur ist offenbar für russische Verlage und ihre Partner in der Ukraine über einen langen Zeitraum ein einträgliches Geschäft gewesen. Bis zur Unabhängigkeit der Ukraine und noch lange danach haben die russischen Verlage den ukrainischen Buchmarkt unter sich aufgeteilt, bevor die ukrainischen Verleger ihre eigenen Verlagshäuser und ihre eigene Infrastruktur aufbauen konnten. Die Russen behielten so viel Marktanteil wie möglich – was aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll erschien. Sie konnten zugleich überschüssige Lagerbestände aus dem heimischen Markt in der Ukraine, dem Zweitmarkt, loswerden. Und es ermöglichte es ihnen, den ukrainischen Markt zu untergraben.

Wie ist der Propagandafaktor in den aus Russland importierten Büchern zu bewerten?
Ethisch, moralisch und geistig betrachtet, war dies hässlich, vulgär und vollkommen verwerflich. Viele Verlage, darunter in besonderem Maße der große Publikumsverlag AST/Eksmo, wurden vom russischen Staat unterstützt. Sie dienten damit Putins Absicht, in der Ukraine Desinformation zu streuen. Es handelte sich um eine Soft-Power-Attacke, die bei einem gewissen Teil der Bevölkerung wirkte. Die Russen verdienten damit Geld, und die Ukrainer hinderten sie nicht daran, bis zu dem Augenblick, in dem sie eingriffen.

Warum hat die Ukraine russische Bücher zensiert und später aus dem Markt verbannt?
Nachdem die Ukraine ihre eigene Verlagsindustrie aufgebaut hatte – unter anderem mit staatlicher Unterstützung – war es sinnvoll, die russischen Wettbewerber unter die Lupe zu nehmen, erst recht, nachdem Russland die Krim annektierte und den Krieg im Donbass begann.

Ist es akzeptabel, russische Bücher zu boykottieren, wie dies unter anderen das Ukrainische Buchinstitut gefordert hat?
Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass der Krieg für die Ukraine bereits seit 2014 andauert. Aus ihrer Sicht erscheint es daher vollkommen gerechtfertigt, russischen Büchern den Marktzugang in Form eines weichen wirtschaftlichen und psychologischen Kampfes zu verwehren. Ich bin nicht in der Position zu sagen, ob das richtig ist oder nicht. Ob es sich lohnt oder wirksam ist? Sehr wahrscheinlich nicht, da die radikalsten prorussischen Ideen nun über die sozialen Medien verbreitet werden. Am Ende läuft es nicht auf eine moralische, sondern eine ökonomische Frage hinaus: Funktioniert Protektionismus oder nicht?

Unter den boykottierten Verlagen ist auch der schön erwähnte Eksmo Verlag. Wie steht er dazu?
CEO Evgeny Kapyev, dessen Verlag beschuldigt wird, bis zu 25 Prozent der propagandistischen Bücher zu veröffentlichen, behauptet, dass die gesamte Liste der Bücher in der Ukraine gestohlen und raubkopiert wurde, und das Urheberrecht seines Unternehmens widerrechtlich angeeignet wurde. Er verteidigt den Ruf seines Unternehmens und erklärt auf Facebook: "Wir wurden aufgrund von Konflikten mit unserem früheren ukrainischen Partner gesperrt, der beschlossen hat, unsere Marken zu stehlen und unsere Titel raubzukopieren. Wir veröffentlichen mehr als 10.000 Titel pro Jahr und haben nur wenige politische Titel. Unter ihnen haben wir sowohl Pro-Putin-Titel als auch Titel der Opposition. Vor einigen Monaten haben wir zum Beispiel das Buch der Tochter von Nemzow veröffentlicht."

 

Zur Person:
Ed Nawotka ist Redakteur des US-Branchenmagazins „Publishers Weekly“. 2013 hat er in Lviv (Ukraine) auf dem Lviv Book Forum einen Vortrag über digitales Publizieren gehalten. Seitdem hat er sich intensiv mit ukrainischer Literatur auseinandergesetzt, Kenntnisse über den ukrainischen Buchmarkt gesammelt und bestehende Kontakte weitergepflegt.

Zur Person

Ed Nawotka ist Redakteur des US-Branchenmagazins „Publishers Weekly“. 2013 hat er in Lviv (Ukraine) auf dem Lviv Book Forum einen Vortrag über digitales Publizieren gehalten. Seitdem hat er sich intensiv mit ukrainischer Literatur auseinandergesetzt, Kenntnisse über den ukrainischen Buchmarkt gesammelt und bestehende Kontakte weitergepflegt.