Interview mit Hunter Bliss

„Steinpapier wird Papier aus Holzfasern bald ablösen“

14. April 2021
Kai-Uwe Vogt

Papier und Verpackungen für die kein Baum gefällt wird – günstiger, reißfest und mit einem grüneren Fußabdruck. Warum er an die Zukunft von Steinpapier glaubt, erklärt Hunter Bliss im Interview mit dem Börsenblatt.

In Steinpapier ist kein Holz enthalten. So viel hat sich herumgesprochen. Aber welche Eigenschaften hat Steinpapier genau?
Steinpapier ist schwerer - etwa um 20 Prozent und vor allem hat es diese hochwertige Haptik: Es fühlt sich sehr glatt und weich an, wie ein sehr, sehr hochwertiges Papier aus Holzfasern. Es gibt aber auch große Unterschiede: es ist reißfest und wasserfest. Im Gegensatz zu anderen Papieren, auch zu Bambuspapier und Recyclingpapier ist reinweiß durch eine einfachere Struktur, aber auch etwas durchsichtiger. Wenn man bisher zum Beispiel auf 100 g Papier gedruckt hat, braucht man jetzt 120 Gramm. Beim Drucken wird wegen der Tonwertzunahme deutlich weniger Farbe verbraucht, alle Linien sind schärfer, die Sättigung ist schier unglaublich! Tja, und Steinpapier muss in gelbe Tonne.

In die gelbe Tonne? Warum denn das?
Steinpapier wird aus Marmorbruch und Kunststoff hergestellt, genauer aus 80 Prozent Kalkstein und 20 Prozent HDPE (Hart-Polyethylen). Es müssen keine Bäume gefällt werden. Calciumkarbonat macht acht Prozent der Erdkruste aus und ist damit 16 Million mal so häufig wie Bäume. Jedes Land könnte also bei der Produktion unabhängig sein. Wichtig ist zu wissen: Der Wasser- und Energieverbrauch bei der Produktion von Steinpapier ist deutlich geringer im Vergleich zu Papier aus Holzfasern. Das macht das Thema auch für die Modeindustrie und den Verpackungsbereich sehr interessant.

Plastik verbraucht Erdöl, Holz aber wächst nach. Zieht Steinpapier das Thema Nachhaltigkeit nicht automatisch den Kürzeren?
Nein! Leider gibt es hier einige Missverständnisse. Jetzt muss ich doch ein paar Zahlen auspacken. Nehmen wir mal Polyethylen: Rund vier Prozent des globalen Erdölverbrauchs haben etwas mit Plastik zu tun, und nur ein halber Prozent mit HDPE. Steinpapier als Verpackungsmaterial wäre viel ressourcenschonender als die Verwendung von normalem Plastik oder Papier –  genau genommen könnten wir den weltweiten Plastikverbrauch durch den Einsatz von Steinpapier um 80 Prozent verringern. Steinpapier wurde in Asien erfunden – letztlich als eine Folge der Ölkrise. Leider wurde die Innovation nicht nachhaltig vorangetrieben, aber das ist ein anderes Thema. Bei der Papierproduktion spielen insgesamt viele andere Faktoren auch eine Rolle: Die Produktion von einer Tonne Steinnpapier verbraucht rund 700 Kilowattstunden Strom - normales Papier bis zu 6.000 Kilowattstunden! Papierhersteller haben ja nicht umsonst eigene Kraftwerke. Der Wasserverbrauch für eine Din A4-Seite Papier beträgt 10 Liter und leider ist es ja auch nicht so, dass alle Holzwirtschaften nachhaltig und umweltfreundlich betrieben werden ...

Aber …
Ich weiß, ich weiß: Plastik gilt heute als der große Feind. Aber Plastik ist ein ganz wichtiger Werkstoff und sehr innovativ! Karl Ziegler hat am Max Planck Institut vor 60 Jahren den Nobelpreis in Chemie für die Erfindung von HDPE bekommen. Es wurde direkt in Plastikbeutel umgesetzt, um uns von Papier zu schützen! Kurz: Einwegverpackungen aus Holzfasern sind also Quatsch! Einen Punkt lasse ich stehen: Wenn es irgendwo ein Problem mit dem Plastik gibt, dann ist es Entsorgung des Materials. Steinpapier steht in dieser Hinsicht aber viel näher an Kreislaufwirtschaft.

Nachhaltigkeit ist ein großes Thema für Sie?
Das stand sogar am Anfang meiner Beschäftigung mit Steinpapier. Ich habe mich sehr intensiv mit dem Aspekt der Nachhaltigkeit beschäftigt, und beschäftige mich immer noch. Mein erster Forschungsbericht auf unserer Webseite beschreibt, wie viel Ressourcen im europäischen grafischen Bereich durch den Einsatz von Steinpapier eingespart werden könnten. Aber Umweltschutz allein reicht nicht. Letztlich muss die Qualität des Papiers mindestens so gut oder besser sein als Papier aus Holzfasern – und es muss auch wirtschaftlich nachhaltig werden. Aktuell sind Taschenbücher etwa gleich teuer im Vergleich zu Recyclingpapier, wegen der Farben bei Kinderbüchern sind wir hier noch teurer. Es braucht jetzt mutige kleine Verlage, die den ersten Schritt gehen. Große Verlagshäuser sind oft langsamer, was solche Innovationen angeht. Noch sind die Möglichkeiten von Steinpapier in der Buchproduktion limitiert - in naher Zukunft wird es viel mehr Sorten Steinpapier geben – z.B. mit größeren Steinpartikeln, um es leichter zu machen.

Wie stehen denn die europäischen Druckereien zum Thema Steinpapier? Hat schon jemand an ihre Tür geklopft?
Ja, es hat schon einige Gespräche gegeben. Für die großen Druckereien ist das Thema noch nicht interessant – sie haben hier ja erstmal das Papiergeschäft zu verteidigen. Die Branche steht unter hohem Kostendruck und widmet sich lieber ihren Preiskämpfen statt wirklichen Innovationen. Alle haben die gleichen Maschinen, böse gesagt: Die Druckbranche ist alt geworden. Ich denke, dass es am Ende die Konsumenten sein werden, die das Thema und den gewaltigen ökologischen Fußabdruck der Druckbranche in den Fokus bringen werden. Damit Steinpapier sich durchsetzen kann, braucht es aber zunächst weitere Innovationen: Kleben, Drucken, Falzen – alles ist anders, denn das Material ist anders. Nur ein Beispiel: man muss Druckern erstmal beibringen, dass auf Steinpapier keine UV-Farben zum Einsatz kommen – das tun Drucker aber gewohnheitsgemäß, wenn sie ein Material vor sich haben, dass die Farbe nicht aufsaugt.

Wenn die Drucker nicht wollen – was ist denn dann Ihr Plan?
Wir möchten in den nächsten fünf Jahren der erste Produzent für Steinpapier in Europa werden – aus Umweltgründen und wegen der Transportwege ist das unumgänglich. Ich möchte die komplette Kette zusammenbringen, in Deutschland drucken und die nötigen Maschinen herstellen. Unser realistisches Ziel ist: Wir wollen bei der Papierproduktion um 30 Prozent günstiger sein als Produkte aus Holzfasern. Meine Prognose: Schon nach 500 Aufträgen à 10.000 Taschenbüchern haben wir normales Papier endgültig abgelöst. Denn dann haben wir diesen Preispunkt erreicht, an dem wir günstiger sind und damit weltweit attraktiv werden. Perspektivisch will ich also wieder nach Deutschland kommen. Ich denke, dass in zwei bis drei Jahren das Marktvolumen für Steinpapier groß genug ist und dann rapide wachsen wird – auch der Faktor Innovationsfähigkeit spielt eine Rolle. Deutschland ist also noch nicht vorbei für mich!

Wo wird denn aktuell außer bei Ihnen in Shenzen Steinpapier produziert?
Im Iran, hier ist die Qualität aber noch nicht sehr gut. Hochwertiges Papier kommt heute aus Taiwan und China – hier gibt es jeweils zwei Standorte. Die Japaner haben sich mehr auf Steinpappe konzentriert. Der spanische Verlag Cuento de Luz verlegt ausschließlich auf Steinpapier. In Neuseeland gibt es den Verlag EduMaxi für den wir auf Steinpapier drucken. In Deutschland kennt man Notizbücher von woodless. Das erste Buch über Cradle to Cradle wurde nicht zufällig auf Steinpapier in den USA gedruckt.

Hunter Bliss
Ist im Alter von 18 Jahren aus den USA nach Deutschland ausgewandert, um Physik und später an der HDM Drucktechnologien und Chinesisch zu studieren. Seit zwei Jahren lebt er in Shenzen wo er die Pebble Printing Group gegründet hat. Auf seiner Website informiert er deutschsprachige Verlage über Steinpapier.