Der österreichische Publizist Stefan Weber hatte in Baerbocks am 21. Juni erschienenen Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" (Ullstein, 240 Seiten) auf insgesamt zehn Seiten Textpassagen gefunden, die es in ähnlicher Form bereits an anderen Stellen formuliert worden waren. Dabei handelt es sich um Sachinformationen; die Passage "Insgesamt zehn Staaten traten an diesem Tag der Europäischen Union bei: die baltischen Staaten und ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen, außerdem Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, die frühere jugoslawische Teilrepublik Slowenien sowie die beiden Mittelmeerstaaten Malta und Zypern. Die EU wuchs von 15 auf 25 Mitglieder – und begrüßte damit rund 75 Millionen neue Unionsbürger*innen" beispielsweise war 2019 in einem Rückblick der Bundeszentrale für Politische Bildung ähnlich formuliert.
Im Nachrichtenmagazin "Focus", sagt Weber: "Aus meiner Sicht liegen hier klar Urheberechtsverletzungen vor, die mit Absicht begangen worden sind. Aber hoch ist dieser Anteil am Gesamtwerk noch nicht." Gefragt nach seiner Motivation, erklärte er, er mache das mache das "aus eigenem Antrieb, als Hobby sozusagen." Im "Tagesspiegel" sagte er: "Ich habe mich in das Thema Baerbock verbissen."
Die Übernahme von Sachinformationen war noch nie urheberrechtlich relevant. Die Form der Darstellung ist es. Die betroffenen Passagen sind nicht so formuliert, dass zwei Personen unabhängig voneinander auf den gleichen Wortlaut kommen könnten. Die Zeilen sind eindeutig abgeschrieben.
Auch die Länge der Passagen ist so, dass man die Schutzfähgikeit nicht bestreiten kann. Und ob Sachbücher Zitate in einer bestimmten Form belegen oder nicht, ist auch irrelevant. Die Urheberrechtsschranke zum Zitat definiert, was ein Zitat ist: keine Übernahme von Text, sondern eine aus dem inhaltlichen Zusammenhang heraus gebotene Übernahme, damit eine Auseinandersetzung damit möglich ist. Hier findet aber keine Auseinandersetzung mit dem Zitat statt, sondern einfach eine Übernahme, eine Aneignung.
Soweit müsste man das klar als Urheberrechtsverletzung bewerten. Aber dann geht es doch ausschließlich darum, ob die Rechteinhaber der übernommenen Passagen sich in ihren Rechten verletzt fühlen und dagegen vorgehen. Wenn der Verlag mit ihnen spricht und das ok bekommt, dann ist es irrelevant, was Plagiatsjäger dazu sagen. SIe haben keinerlei Ansprüche.
Am Ende bleibt nur die Frage von der Sorgfalt, mit der ein Buch verfasst ist. Und dass das bei Sachbüchern oft nicht hoch ist, ist für die Branche unangenehm. Dass Politiker ein eigenes Buch für ihr Ego oder ihr Ansehen als vorteilhaft einschätzen, das könnte uns dann wieder stolz machen. Wenn es nicht nur Schein wäre, wie die Doktortitel. Und um diesen Schein geht es am Ende. Die schlampig beschafften Doktortitel sind genau so entlarvend wie die schlampigen Bücher. Wozu braucht eine bürgerliche Gesellschaft eine Wissenschafts-Aristokratie? Wozu brauchen integre Politiker Bücher, die ihnen anscheinend kein Herzensanliegen sind? Und wenn man als Partei mit Eifer die Demontage anderer Politiker begleitet, die sich billige Doktortitel verschafft haben, dann muss man ertragen, dass man bei einem solchen Fall von der Gegenseite auch Häme abbekommt. Für den politischen Stil ist das alles peinlich. Die Hoffnung, dass sich in der Politik etwas ändert wird so enttäuscht. Die Grünen sind halt doch in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
daß das Börsenblatt den "ZDF-Rechtsexperten" zitiert, statt z.B. Prof. Dr. Christian Russ („Sie hat abgeschrieben“), hat etwas mit dem linksliberalen Haltungsjournalismus der Börsenblattredaktion zu tun.
Update II: Der ZDF-Rechtsexperte Felix Zimmermann hat seine erste Einschätzung korrigiert. ("liegen wohl Urheberrechtsverletzungen vor").
Möglicherweise hat die Börsenblatt-Redaktion den Ullstein Verlag um eine erneute Stellungnahme gebeten? Und vielleicht gab es einen Versuch, den Co-Autor Michael Ebmeyer zu interviewen?