Nachruf

Martin Pollack ist tot

17. Januar 2025
Redaktion Börsenblatt

Der österreichische Schriftsteller, Historiker und Übersetzer Martin Pollack ist am 17. Januar im Alter von 80 Jahren verstorben. Zsolnay-Verleger Herbert Ohrlinger erinnert sich in einem Nachruf an Pollacks Wirken.

Martin Pollack

Martin Pollack, geboren am 23. Mai 1944 in Bad Hall, studierte Slawistik und osteuropäische Geschichte in Wien. Von 1987 bis 1998 war er Korrespondent des "Spiegel" in Wien und Warschau. Er übersetzte u. a. die Bücher von Ryszard Kapuściński, Mariusz Wilk und Daniel Odija aus dem Polnischen und wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Mitteleuropäischen Literarturpreis Angelus (2007), dem Georg-Dehio-Preis (2010), dem Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung (2011), dem Johann-Heinrich-Merck-Preis und dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik (beide 2018).

Pollacks Schaffen

"Als wir vor knapp dreißig Jahren begonnen haben, unseren Verlag neu aufzubauen, war Martin Pollack einer der Ersten, mit dem ich mich treffen wollte", erinnert sich der Verleger Herbert Ohlinger. Schon damals sei Pollack eine berühmt gewesen "als Kenner sowohl des versunkenen als auch des möglicherweise neue entstehenden Mitteleuropas". Diese Kenntnissen ermöglichten das Erscheinen von polnische Autoren im Zsolnay Verlag.

Doch auch seine eigenen Titel entstanden. Ohlinger erzählt: "Mit 'Anklage Vatermord' (2002) über den in den 1920er Jahren stattgefundenen und antisemitisch grundierten Mordprozess gegen den später weltberühmten Fotografen Philippe Halsman fiel er zuerst auf als dokumentarischer Romancier, dem es gelang, aus scheinbaren Marginalien das Panorama einer Zeit zu schaffen. [...] 'Der Tote im Bunker – Bericht über meinen Vater' holte eine Familiengeschichte vor den Vorhang, die sich bei Licht betrachtet als Stück österreichischer Nationalgeschichte liest. Bei dem titelgebenden Toten handelte es sich nämlich um Martin Pollacks leiblichen Vater, der als SS-Sturmbannführer auf der Kriegsverbrecherliste stand und 1947 am Brenner erschossen wurde. Sensibel, erschütternd, stilistisch aufs Äußerste zurückgenommen kommt der Sohn dem unbekannten Vater auf eine Weise nahe, die Zuneigung zeigt und zugleich keine Spur des Zweifels darüber aufkommen lässt, wie dessen abscheuliches Handeln zu bewerten ist. Völlig zu Recht gilt dieses in viele Sprachen übersetzte Buch heute als Meilenstein der Erinnerungsliteratur."

"Wer aus so einer Familie wie ich stammt, verschreibt sich lebenslang dem Imperativ des Niemals-Vergessen", sagte Martin Pollack einmal. Ohlinger meint: "Diesem deutschnationalen Milieu, das in Grenzregionen wie der ehemaligen Untersteiermark, dem heutigen Slowenien, besonders ausgeprägt war und aus dem sich seit eh und je Fremdenhass und Antisemitismus speisen, widmete Pollack auch sein letztes großes Buch, 'Die Frau ohne Grab – Bericht über meine Tante' (2019)."

"Einen Freund verloren"

Martin Pollack war neben seiner Arbeit als Schriftsteller auch als Historiker und Übersetzer tätig. Er kurierte für die Leipziger Buchmesse und das Wiener Burgtheater umfangreiche Diskussionsforen, die nachmalige Nobelpreisträgerinnen wie Swetlana Alexijewitsch oder Olga Tokarczuk in den deutschsprachigen Ländern bekannt machten. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine organisierte er eine Gruppe bestehend u.a. aus Christoph Ransmayr, Sabine Gruber, Maja Haderlap und Franz Schuh, die im Wiener Volkstheater Texte von ukrainischen Autorinnen und Autoren lasen.

"Am 17. Januar 2025 ist Martin Pollack in Wien gestorben. Sein Tod ist ein schwerer Verlust für uns alle, wir haben nicht nur einen Autor und Berater verloren, sondern einen Freund", schließt Ohrlinger seinen Nachruf auf den Verstorbenen.