Interview mit Jürgen Horbach zur Überbrückungshilfe III für Kalenderverlage

"Lebensrettende Beatmung"

20. April 2021
Christina Schulte

Kalenderverlage können jetzt auch Überbrückungshilfe III beantragen. Jürgen Horbach, Geschäftsführer des Athesia-Kalenderverlags, über die so dringend benötigte Unterstützung, die existenzielle Bedrohung der Kalenderverlage in der Pandemie und die Hoffnung auf ein erfolgreiches Geschäft 2021/2022 gemeinsam mit dem stationären Buchhandel.

Wie ist es den Kalenderverlagen in dieser Kalendersaison ergangen? Mit welchen Verlusten haben die Unternehmen zu kämpfen?
Die Kalenderverlage wurden vor allem durch den zweiten Lockdown ab 16. Dezember 2020 während der Spitze des Weihnachtsgeschäftes im Handel hart getroffen. Besonders schwerwiegend war aus heutiger Sicht, dass dieser zweite Lockdown gar nicht mehr aufhörte und mehr oder weniger bis heute andauert. Die Monate Januar und Februar sind traditionell sehr starke Abverkaufsmonate im Einzelhandel für Kalender.
Über das Remissionsrecht entsteht der Schaden bei den Kalenderverlagen. Berge unverkaufter Kalender werden zu Lasten der Verlage remittiert. Wegen der Saisonalität der Kalender bedeutet jede Rücksendung bzw. Gutschriftsanfrage einen Totalschaden für den liefernden Verlag. Das Lagerrisiko der Saisonware Kalender tragen die Verlage. Die Verluste können je nach Größe des Verlages höher siebenstellig ausfallen.

Wie wirkten sich die geschlossenen Buchhandlungen auf das Geschäft der Kalenderverlage aus?
In den Bundesländern, in denen die Buchhandlungen vollständig geschlossen waren, fanden zunächst außer über die individuellen Webshops keine Verkäufe mehr statt. Mit „Click & Collect“ und „Click & Meet“ verbesserte sich die Lage etwas für das Stammpublikum, das genau wusste, welche Kalender benötigt wurden. Laufpublikum fiel vollständig aus, selbst in Berlin und Brandenburg, wo die Buchhandlungen zwar offen, die Frequenzen aber durch die geschlossenen anderen Einzelhandelsgeschäfte stark rückläufig waren.

Sind die Verluste durch das Internet.-Geschäft kompensiert worden?
Ja, aber nur teilweise. Die Online-Verkäufe sind stark angestiegen. Üblicherweise ist der Anteil der Online-Verläufe bei den Kalendern aber viel schwächer, etwa nur halb so groß wie bei anderen Publikumsverlagen, die Bücher vertreiben. Insofern fand eine Teilkompensation statt, aber bei weitem keine ausreichende. Das Kalendergeschäft war und wird ein vorwiegend stationär funktionierendes Geschäft bleiben.

Wegen der Saisonalität der Kalender bedeutet jede Rücksendung bzw. Gutschriftsanfrage einen Totalschaden für den liefernden Verlag.

Jürgen Horbach

Welche Hilfen konnten bisher von Kalenderverlagen in Anspruch genommen werden?
Wer Kurzarbeit beantragen musste – und das waren nach meiner Kenntnis praktisch alle Kalenderverlage –, hat dies getan. Eine schnelle und wirksame Hilfe in einer niedrigeren, aber doch spürbar entlastenden Größenordnung. Die Kurzarbeit ist ein sehr effektives Instrument. Atheisa hat die gesamten Beträge in den Erhalt der Arbeitsplätze gesteckt, die ansonsten nicht vollständig gesichert gewesen wären. Ich kenne hingegen keinen Verlag, der etwa Bürgschaften oder Kredite hätte in Anspruch nehmen können oder angesichts der Bürokratie und der Zugangshindernisse hätte in Anspruch nehmen wollen.

Wie genau hilft Ihnen nun die Überbrückungshilfe III?
Die Überbrückungshilfe III hat zunächst Zugangsvoraussetzungen. In jedem Monat, für den Hilfe beantragt werden soll, muss der Mindestrückgang bei inländischem Umsatz (Österreich- und Schweizverkäufe sind außen vor) gegenüber dem Referenzmonat 2019 mindestens 30 Prozent betragen. Der Umfang des Umsatzrückganges (30 Prozent, 50 Prozent oder 70 Prozent) bestimmt die Förderstufe. Erstattet werden dann pro förderfähigem Monat Teile sogenannter Fixkosten, die in einem langen, sehr komplizierten Katalog definiert sind bis zu einer Höchstgrenze. Dabei erschließt sich die Definition von Fixkosten nicht auf den ersten Blick. Hier scheitern selbst Steuerberater oft an Verständnisfragen.

Auf welchem Weg haben Sie es geschafft, die Politik davon zu überzeugen, dass die Kalenderverlage Unterstützung brauchen?
Entscheidend für die Kalenderverlage sind nun zwei Fortschritte, die zusammen mit der sehr unterstützenden Hilfe und erklärendem Verständniswerben des Börsenvereins beim Kulturstaatsministerium und beim Bundeswirtschaftsministerium in der vergangenen Woche erreicht werden konnten: Es wurde seitens der Ministerien in den behördlichen FAQs zugestanden, dass das Kalendergeschäft ein Saisongeschäft ist wie etwa bei verderblichen organischen Waren, dass also ein Totalschaden bei Nichtverkauf entsteht. Und es wurde seitens der Ministerien erkannt, dass aufgrund des Remissionsrechts der Schaden nicht beim Einzelhandel entsteht – wie in anderen Einzelhandelsbranchen, für die die Überbrückungshilfe III vorwiegend ersonnen wurde, sondern in diesem Falle beim Lieferanten oder Hersteller oder der "Fabrik", also den Verlagen. Nicht der Einzelhandel trägt das Lager- und Abschreibungsrisiko, sondern die liefernden Verlage. Der Schaden für die Verlage ist die Corona-bedingte Gutschrift an den Handel zum Verlagsabgabepreis. Damit wurde die besondere Situation der Kalenderverlage anerkannt.

Was wäre passiert, wenn jetzt keine Überbrückungshilfe III für die Kalenderverlage gekommen wäre?
Bei den reinen oder ganz überwiegend vom Kalendergeschäft lebenden Verlagen hätten hohe siebenstellige Verluste zu bedrohlichen Liquiditätsabflüssen, zu Kündigungen von Banklinien und zu einer – je nach individueller Ausstattung – eventuell bedeutsamen Verminderung des Eigenkapitals geführt. Jede Wirkung für sich hätte das Aus für einige Verlage bedeuten können, je größer desto bedrohter. Insofern handelt es sich bei den speziellen Regelungen für Kalenderverlage im Rahmen der Überbrückungshilfe III buchstäblich um lebensrettende Beatmung durch ein finanzielles Beatmungsgerät.

Es wurde seitens der Ministerien erkannt, dass aufgrund des Remissionsrechts der Schaden nicht beim Einzelhandel entsteht

Jürgen Horbach

Wie helfen Sie dem Buchhandel und wie hilft Ihnen der Buchhandel über die Corona-Pandemie hinweg?
Durch das Remissionsrecht sind die Buchhandlungen – was das Kalendergeschäft angeht – weitestgehend geschützt. Allerdings gab es auch dort Ertragsverluste durch die hohe Verminderung des Geschäftsvolumens. Die wiederum kann der Buchhandel teilweise durch Überbrückungshilfe III auffangen. Ansonsten führen wir intensive Jahresgespräche und haben jeweils individuelle Pläne, wie wir im laufenden Jahr – vor allem im zweiten Halbjahr – wieder an ein Niveau herankommen, das demjenigen von 2019 entsprechen oder sich dem annähern könnte.

Ab wann rechnen Sie wieder mit einer Normalisierung Ihres Geschäfts?
Da wir gerade erst mit der neuen Kalenderedition (2022) beginnen, hoffen wir, dass die Pandemie und ihre medizinische Bekämpfung sehr bald dazu führen wird, dass der Einzelhandel bald wieder geöffnet sein kann. Unser Hauptgeschäft beginnt ja erst ab September, aber dann mit Wucht. Wenn dann wieder normale Einkaufsverhältnisse herrschen, steht einer guten Saison 2021/22 nichts entgegen. Denn Geld genug haben die Menschen ja.