Gendern in der Belletristik (3)

Juan S. Guse: "Stilistik ist beim Thema Gendern nur ein alberner Nebenschauplatz"

18. Juni 2021
Sabine van Endert

Was für die einen die deutsche Sprache vollends ruiniert, verstehen andere als Frage der Höflichkeit - das Gendersternchen ist mittlerweile auch in der Welt der Literatur angekommen. Eine Interview-Serie des Börsenblatts zeigt: Verlage und ihre Autor*innen gehen erstaunlich flexibel und entspannt damit um - zum Beispiel der Autor Juan S. Guse. 

Wie halten Sie es mit dem Gendern in Ihren Büchern? 
Ich nutze wechselweise männliche und weibliche Formen in generischer Bedeutung. Ausgenommen sind hiervon Fälle, in denen dadurch die interne Fiktionslogik zu stark gebrochen werden würde. Eine rechtsnationale Figur würde beispielsweise wahrscheinlich nicht von "Gabelstaplerfahrerinnen" sprechen; obwohl das natürlich in bestimmten Erzählkontexten auch interessant sein kann.

Und wie hat Ihr Verlag reagiert? Hatten Sie Probleme mit Ihren Verlagslektor*innen?
Easy. Ich bin ja nicht der erste, der das macht. Wir haben höchstens über Stellen gesprochen, in denen es figurenpsychologisch vielleicht unpassend wäre.

Manche meinen, die sprachliche Eleganz würde leiden, wenn Prosa gegendert wird. Was entgegnen Sie denen?Stilistik ist nur ein alberner Nebenschauplatz für eine letztlich ethische Frage. Wenn wir uns einig sind, dass eine möglichst gleichwertige mentale Repräsentation der Geschlechter bei der Lektüre wünschenswert ist, dann ist es aus kognitions- und sprachwissenschaftlicher Perspektive ja keine Frage, ob wir gendern sollten, sondern allenfalls wie. Wenn wir uns darin nicht einig sind, sollten wir diskursiv zwischen der eigentlichen Sache (also Androzentrismus) und irgendwelchen stilistischen Moden und Prosakonventionen unterscheiden, die nur Ausdruck der Sache sind. Grundsätzlich finde ich es auch nicht besonders "elegant", wenn sich durch Prosa der grammatikalische Rattenschwanz des Genders zieht; zum Beispiel: "Sie suchten dringend eine_einen junge_n Gabelstaplerfahrer_in, die_der ihren_seinen Lohn nicht einklagen würde." Deshalb wechsle ich die Form ab. Das lässt sich natürlich aber auch ganz anders handhaben.

Stört es Sie beim Lesen von Literatur mittlerweile, wenn nicht gegendert wurde? 
Es fällt mir in jedem Fall auf. Ob es mich dann ernsthaft stört, hängt vermutlich vor allem mit dem Rest des Textes ab.

Ist Gendern eine Altersfrage? Und warum wird die Debatte Ihrer Meinung nach so emotional geführt?
Meines Wissens nach lässt sich eine Korrelation zwischen Alter und diesbezüglicher Widerständigkeit beobachten. Sich jedoch diskursanalytisch darauf zu versteifen und von Kausalitäten zu sprechen, unterschlägt viele andere relevante Aspekte wie Ideologie, institutionellen Kontext, banale Gewohnheiten etc. In wenigen Sätzen lässt sich das nicht wahrscheinlich nicht sinnvoll beantworten. 

Und wie sehen das Ihre befreundeten Schriftstellerkolleg*innen? Sind Sie sich in der Frage einig? 
Schwierig für andere zu sprechen, aber ich glaube im Großen und Ganzen: Ja.

Glauben Sie, dass in fünf Jahren viele Romane in gendergerechter Sprache erscheinen – erstens, weil wir uns alle daran gewöhnt haben, zweitens, weil gerade die jungen, jetzt nachrückenden Autor*innen ein anderes Bewusstsein für gendergerechte Sprache entwickelt haben?
Es würde mich wundern, wenn nicht.

Über Juan S. Guse

Juan S. Guse, geboren 1989, studierte Literaturwissenschaften und Soziologie. Sein Romane "Lärm und Wälder" (2015) und "Miami Punk" (2019) sind bei S. Fischer erschienen. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Fellowship der Villa Aurora und dem Literaturpreis der Landeshauptstadt Hannover. Seit 2017 ist Guse Doktorand am Institut für Soziologie der Universität Hannover.

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