Gastland-Serie: Auf einen Espresso mit ... Innocenzo Cipolletta

Italien: Mehr Lizenzen verkauft und mehr Rechte eingekauft

21. Oktober 2024
Nicola Bardola

Der Gastland-Auftritt habe sich gelohnt, findet Innocenzo Cipolletta: Der Präsident des italienischen Verlegerverbands AIE zieht ein Fazit, spricht über die Turbulenzen um die Nicht-Einladung von Roberto Saviano, über Lese- und Wirtschaftsförderung und dass italienische Jugendliche ihr Kulturpass-Geld im Durchschnitt zu 70 Prozent für Bücher ausgeben.

 

 

Innocenzo Cipolletta, Präsident des italienischen Verlegerverbands AIE

Interesse für Bücher aus Italien ist gewachsen

Der Stand der AIE ist gut besucht, die Lage für das Gastland in Halle 5.0 ideal. "Ich habe einen sehr guten Eindruck von unserem Gastland-Auftritt. Ich war ja schon vergangenes Jahr hier, und in diesem Jahr sind deutlich mehr Verlage aus Italien in Frankfurt am Main präsent und haben sich auf erfreuliche Weise bemerkbar gemacht. Die Scheinwerfer waren auf uns gerichtet – und wir haben hoffentlich eine gute Arbeit gemacht ...", meint Innocenzo Cipolletta. Der Publikumsandrang zu den Veranstaltungen sowohl im Pavillon als auch auf anderen Bühnen und an den Ständen sei sehr groß gewesen. Exakte Zahlen gebe es so bald wie möglich: "Verleger haben mir signalisiert, dass das Interesse für Bücher aus Italien gewachsen ist. Aber wir haben offenbar nicht nur mehr Lizenzen verkauft, sondern auch mehr Rechte eingekauft. Die italienische Kultur verbreitet sich im Ausland, aber umgekehrt wird auch die ausländische verstärkt bei uns wahrgenommen."

"Literatur findet immer Wege, um sich der Macht zu entziehen"

Der Präsident des italienischen Verlegerverbandes AIE hat möglichst viele Veranstaltungen zum Ehrengast Italien besucht. Er freut sich über die hohe Qualität der Gespräche, hebt u.a. die Podiumsdiskussion mit dem Journalisten Aldo Cazzullo und dem Historiker Alessandro Barbero hervor, die unter dem Titel "Ti racconto una storia" ("Ich erzähle dir eine Geschichte") stattfand. Cazzullo, stellvertretender Leiter der Tageszeitung "Corriere della Sera" und Autor von rund 30 Büchern zu Geschichtsthemen ("Ewiges Imperium. Wie das Römische Reich die westliche Welt prägt" ist soeben bei HarperCollins Deutschland erschienen) und Barbero (seine Biografie "Karl der Große. Vater Europas" ist bei Klett Cotta erschienen) gaben Antworten zur Frage, wie man mit Sachbüchern Leser:innen begeistert. "Ich fand auch den Hinweis des deutschen Moderators Christoph Cornelissen wichtig, der die Unterschiede zwischen deutscher und italienischer Herangehensweise erklärte. Besonders Barbero ist ja der erfolgreiche Stellvertreter einer Richtung, die Historisches in erzählender Form, manchmal sogar in Romanform, einem möglichst großen Publikum näherbringt. In Deutschland hingegen sind Bücher zur Geschichte offenbar mehrheitlich noch eher akademisch geprägt", erläutert Cipolletta, der auch auf die Worte Alessandro Bariccos hinweist, der im Pavillon einen Vortrag unter dem Titel "Letteratura e impegno civile" ("Literatur und gesellschaftliches Engagement") gehalten hat. "Baricco hat plausibel dargestellt, dass es der Politik nie gelingen wird, sein eigenes literarisches Schreiben zu beeinflussen, gar zu zensieren. Die Literatur finde immer Wege, um sich der Macht zu entziehen."

"Ich glaube, das ist eine Wunde, die heilen kann"

Cipolletta erklärt den Wandel in der Politik Italiens. "Das war kein normaler Machtwechsel. Das ist das erste Mal, dass eine Rechtsaußenpartei eine Koalition anführt." Die AIE habe sofort auf Maßnahmen dieser Regierung reagiert, beispielsweise eine gegen die Pressefreiheit. „Ich habe mich auch persönlich zu Wort gemeldet, als Antonio Scurati am 25. April in der RAI nicht auftreten durfte. Und als Verlegerverband stehen wir immer hinter den Autoren und für ihre Meinungsfreiheit. Deshalb tut mir der Fall Roberto Saviano so leid. Wir hatten dabei tatsächlich auch eine eigene Verantwortung. Man wirft uns Bürokratie vor, weil wir uns an die übliche Prozedur gehalten haben, und ich akzeptiere diesen Vorwurf. Die Verlage sollten uns ihre Autoren melden, die sie für die Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse vorschlagen. Wir bekamen rund 300 Namen, aber Saviano wurde nicht genannt. Ich habe dieser Liste niemanden hinzugefügt. Und das tut mir Leid. Dafür habe ich mich öffentlich entschuldigt. Ich glaube aber, das ist eine Wunde, die heilen kann. Wir haben sofort Räume auf der Messe angeboten, die anderen als den offiziell geplanten Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Und das hat sehr gut funktioniert. Ich versichere und werde weiterhin versichern, dass die Verleger auf der Seite der Autoren stehen. Wenn Schriftsteller:innen – angefangen bei Saviano – Hindernisse in den Weg gestellt werden, stehen wir auf Savianos Seite und auf Seite aller Schriftsteller:innen, ohne Einschränkung." Cipolletta kann sich dann ein Lächeln nicht verkneifen und ergänzt: "Es wäre auch fast unmöglich, etwas Gegenteiliges zu sagen – die Verleger leben doch mit und von den Autoren."

Am italienischen Gemeinschaftsstand in Halle 5.0: AIE-Präsident Innocenzo Cipolletta (Mitte) im Gespräch mit Nicola Bardola (links)

"Leseförderung bedeutet letztlich Wirtschaftsförderung"

Cipolletta blickt in die Zukunft: Er betont den Ausbau von Schulbibliotheken, von Buchhandlungen und vor allem die Leseförderung in den Schulen. Er verweist auf den vor kurzem verliehenen Nobelpreis für Wirtschaft. Alle drei Ausgezeichneten würden auf ihre Weise bestätigen, dass Investitionen in die Kultur zu einer auch finanziellen Zunahme des Wohlstands führen würden: "Förderung von Kultur, insbesondere Leseförderung, bedeutet letztlich Wirtschaftsförderung", sagt Cipolletta. Er regt eine Leseförderung auf europäischer Ebene an und glaubt, dass eine internationale Koordination eine heute noch vielfältige Buchkultur und Leselandschaft erhalten und ausbauen könne.

Cipolletta verweist auch auf den deutschen "Kulturpass", dessen italienische Variante "App 18" rascher am Start war. "Die neue Regierung hat nun leider den Betrag von 230 Millionen Euro auf 190 Millionen reduziert. Zudem bekommen die Förderung jetzt einerseits nur 18-Jährige, deren Familien ein bestimmtes Einkommen nicht überschreiten und andrerseits nur besonders begabte Jugendliche mit entsprechenden schulischen Leistungen. Das macht den Zugang zum Kulturbonus komplizierter und diskriminiert viele Jugendliche." Er vermutet, dass dadurch rund 100 Millionen Euro der App-18-Gelder nicht abgerufen werden, 100 Millionen, die der Kulturförderung damit fehlen werden. Was besonders schmerze, da die italienischen Jugendlichen das Geld im Durchschnitt zu 70 Prozent für Bücher ausgeben. "Zudem wurden die jährlich 30 Millionen Euro gestrichen, die während Corona Bibliotheken zur Verfügung standen, um bei Buchhandlungen neue Bücher einzukaufen. Die Förderung war ideal, weil sowohl Bibliotheken als auch Buchhandlungen profitiert haben." Der jetzige neue Kulturminister in der Regierung Meloni, Alessandro Giuli, habe versprochen, die Gelder wieder aufzustocken. "Wir hoffen, dass es so kommt und tun alles, damit das Buch davon profitiert."