Interview mit Lars Birken-Bertsch

"Es gibt einen enormen Bedarf an Unterstützung bei den Schreibenden"

25. April 2024
Sabine van Endert

Im August 2023 hat Lars Birken-Bertsch die Geschäftsführung des Deutschen Literaturfonds übernommen. Initiativstipendium für kleinere Projekte, Treffen verschiedener Literaturförderer aus Bund, Land und Stadt in Berlin, das erste Literatur- und Übersetzungszentrum "Zentrum Wort" auf der  Frankfurter Buchmesse im Oktober: Neues vom Literaturfonds im Interview mit Lars Birken-Bertsch.

Lars Birken-Bertsch

In drei Sätzen: Wofür steht der Deutsche Literaturfonds? 

1980 gegründet, schaut der Deutsche Literaturfonds inzwischen auf eine fast 45-jährige Tradition in der Förderung deutschsprachiger Gegenwartsliteratur zurück: Zum einen erhalten Autorinnen und Autoren künstlerische Stipendien, zum anderen geht es um Projektförderung für literarische Initiativen, Model- und Vermittlungsvorhaben. Wenn Sie die Liste der Geförderten durchgehen, liest sich das wie eine Art Who's who der zeitgenössischen Literatur und zeigt ihre große Vielfalt auf – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, versteht sich.

Die Bundesmittel verpflichten uns zu einer überregional bedeutsamen Förderung und sollen damit die regional- und lokalgebundene Fördertätigkeit der Länder, Städte und Kommunen ergänzen.

Wer ist Träger des Literaturfonds, woher kommen die Fördergelder?

Um unabhängig agieren zu können, ist der Literaturfonds als ein gemeinnütziger Verein organisiert. Die Träger sind seit Gründung sieben Mitgliedsverbände (Börsenverein, DASD, DBV, FDA, VS, PEN-Zentrum, VG Wort), die auch den Vorstand wählen. Als Bundeskulturfonds erhalten wir unsere Mittel ausschließlich von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Diese Bundesmittel verpflichten uns zu einer überregional bedeutsamen Förderung und sollen damit die regional- und lokalgebundene Fördertätigkeit der Länder, Städte und Kommunen ergänzen. Ich möchte hier auch auf unser Pendant für das literarische Übersetzen hinweisen, den Deutschen Übersetzerfonds (DÜF).

Wer kann sich für eine Förderung bewerben? Können auch Verlage ihre Autor:innen für Förderungen vorschlagen?

Auf die Arbeitsstipendien müssen sich die Autorinnen und Autoren selbst bewerben, es handelt sich dabei um ein künstlerisches Stipendium für bemerkenswertes literarisches Schaffen. Verlage und Agenturen können und sollten aber ihre Autorinnen und Autoren auf die Fördermöglichkeiten hinweisen. Voraussetzung für ein Stipendium ist allerdings mindestens eine literarische Publikation in einem Buchverlag, da die Stipendien der künstlerischen Weiterbildung dienen. Das Kriterium für die Vergabe eines Stipendiums ist in erster Linie die literarische Qualität. Faktoren wie das Entwicklungspotential oder auch die Kontinuität des literarischen Schaffens spielen dabei auch eine Rolle.

Anträge für Projektförderung stehen wiederum allen Institutionen und Einrichtungen des Literaturbetriebs offen. Hier ist vor allem die überregionale Bedeutung des Vorhabens entscheidend. Über alle Anträge entscheidet dann unser Kuratorium, das mit Vertreterinnen und Vertretern der Mitgliedsverbände besetzt wird, die turnusmäßig wechseln.

Wie werden die Autor:innen auf ihre Möglichkeiten aufmerksam? Welche Marketingmaßnahmen organisiert der Literaturfonds? 

Wer sich über Förderungen und Stipendien informiert, wird schnell auch auf den Literaturfonds stoßen. Wir wollen zukünftig aber deutlich sichtbarer machen, was und wen wir fördern. Auch die Themen des literarischen Lebens wollen wir verstärkt aufgreifen. Dafür planen wir z.B. ein neuartiges Literatur- und Übersetzungszentrum auf der kommenden Frankfurter Buchmesse („Zentrum Wort“), das wir zusammen mit dem Übersetzerfonds und dem Verband der Übersetzer/innen mit Unterstützung der Buchmesse ausrichten. Neben einem loungeartigen Networking Areal für Begegnung wird es auch eine eigene Bühne für Programm geben.

Welche Preise werden vergeben? 

Die Preise sind von je her integraler Bestandteil unserer Förderstruktur. Gerade haben wir auf der Leipziger Buchmesse das Kranichsteiner Kinder- und Jugendliteratur-Stipendien an vier Autorinnen und Autoren vergeben können. Mit diesem Format – in Kooperation mit dem Arbeitskreis für Jugendliteratur (AKJ) – wollen wir dezidiert die Arbeit an einem zweiten Buch ermöglichen. Aus diesem Grund haben wir auch die Dotierung des Kranichsteiner Literaturförderpreises für ein bemerkenswertes Debüt schon für dieses Jahr auf 10.000 EUR erhöht. Auch den renommierten Paul-Celan-Preis für herausragende literarische Übersetzungen haben wir durch eine höhere Dotierung (25.000 EUR) aufgewertet. Hinzukommen noch unser Großer Preis für das Lebenswerk sowie die Aufenthaltsstipendien in London und New York.

Es gibt einen enormen Bedarf an Unterstützung bei den Schreibenden. Und unsere Literatur ist reichhaltig und vielfältig wie nie. 

Wie ist das Verhältnis von Anträgen und Förderungen? Wie viele Künstler:innen gehen trotz Bewerbung leer aus? 

Im Laufe der letzten beiden Jahre haben sich die Antragszahlen verdoppelt, teils sogar verdreifacht. Auch wenn wir im gleichen Zeitraum deutlich mehr Stipendien vergeben konnten als die Jahre zuvor, können wir diese Entwicklung nicht kompensieren und die Quote von durchschnittlich 10 – 20% damit nicht wesentlich verbessern. Aktuell haben wir durch die Überschneidungen von drei verschiedenen Förderzeiträumen einmalig über 70 Stipendiatinnen und Stipendiaten, was ein absoluter Rekord für den Literaturfonds ist.

Dies zeigt aber auch zwei Dinge: Es gibt einen enormen Bedarf an Unterstützung bei den Schreibenden. Und unsere Literatur ist reichhaltig und vielfältig wie nie. Ersteres hängt sicherlich mit den abnehmenden Programmplätzen in den Verlagen und geringeren Vorschüssen und Tantiemen durch die sinkenden Absatzzahlen zusammen. Zweiteres hat damit zu tun, dass die jüngeren Generationen vehement nachrücken und ihre eigenen ästhetischen Positionen und Kriterien mitbringen. Wir sehen also zahlreiche neue junge literarische Stimmen neben den vielen arrivierten der letzten Dekaden. Zusammen zeigt sich ein großes Spektrum des gegenwärtigen literarischen Schaffens, inhaltlich wie stilistisch, und damit auch ein sehr breites Bewerberfeld.

2023 wurden erstmals Arbeitsstipendien für Comic-Künstler:innen vergeben. Welche Neuerungen sind noch geplant? 

Wir haben die Diversifizierung der Gattungen in der Regelförderung ausbauen und verfeinern können: Es war uns ein Anliegen, neben der Förderung für die Prosa, auch verstärkt Arbeiten aus Lyrik, Dramatik, Hörspiel und dem Kinder- und Jugendbuch berücksichtigen zu können. Für alle diese Segmente haben wir inzwischen dem Kuratorium als Entscheidungshilfe Fachjurys vorangestellt. Allein im Bereich der Lyrik konnten wir so mehr als 20 Förderungen in den letzten Sitzungen aussprechen. Hinzukommt die neue Förderung für Comic und Graphik Novel. Mit bis zu sechs Jahresstipendien hoffen wir einen Beitrag für die künstlerische Entwicklung in diesem viel beachteten, aber bislang wenig unterstützten Segment leisten zu können. Erstmals haben wir auch Honorarzuschüsse für die Beauftragung eines Theaterstückes durch eine Bühne im Rahmen des neuen Fördermoduls Dramatik vergeben.

Und in Ergänzung zum bewährten Arbeitsstipendium entwickeln wir gerade ein neues Initiativstipendium, das noch dieses Jahr oder spätestens Anfang des nächsten ausgeschrieben werden soll. Es wird die Möglichkeit bieten, eine weniger umfangreiche Arbeit umzusetzen oder ein Werk vorzubereiten und soll der Stoffentwicklung, Recherche oder auch einer formatoffenen Arbeit dienen.

Die Möglichkeitsräume der Literatur scheinen enger und umkämpfter zu werden. Hier sehen wir uns mit in der Verantwortung.

Neue Geschäftsführung, frischer Wind: Was wollen Sie beim Deutschen Literaturfonds bewegen? 

Die Förderung der Autorinnen und Autoren muss weiterhin zentral bleiben. Ziel des Literaturfonds war es aber von Anfang an, nicht nur die unmittelbaren Bedingungen des literarischen Schaffens, sondern auch die Voraussetzungen der literarischen Öffentlichkeit, Diskussion und Weiterbildung zu verbessern. Und diese Möglichkeitsräume der Literatur scheinen enger und umkämpfter zu werden. Hier sehen wir uns mit in der Verantwortung.

Dies führt uns zu den übergeordneten Fragen, was bislang nicht in den bestehenden Förderstrukturen berücksichtigt wird, was wir ausbauen sollen oder auch weglassen könnten. Für eine Diskussion rund um diese Fragen treffen sich erstmals und initial verschiedene Literaturförderer aus Bund, Land und Stadt im Juni in Berlin. Vorranging soll es dort um den Austausch zwischen den Institutionen und Ebenen sowie um die Diskussion über nötige Anpassungen an die aktuellen Bedürfnisse der Akteurinnen und Akteure des literarischen Lebens gehen. Von dieser Bestandsaufnahme erhoffe ich mir auch für den Literaturfonds weiterführende Erkenntnisse und Impulse.

Fragen: Sabine van Endert