Interview mit Oliver Zille

"Endlich!!"

2. Mai 2023
Nils Kahlefendt

Erschöpft, erleichtert und zufrieden: Buchmessedirektor Oliver Zille blickt im Börsenblatt-Interview auf Höhepunkte und Neustartschwierigkeiten der Leipziger Buchmesse. 

Oliver Zille beim Preis der Leipziger Buchmesse

So lange Corona nur eine Biermarke war, galt in Leipzig Ihr Diktum „Nach der Buchmesse ist vor der Buchmesse“. Atmen und Fahrradfahren verlernt man nicht, gilt das auch für Messen? 

Oliver Zille: Nach diesen vier Tagen lässt sich sagen: Wir können Buchmesse. Wahrscheinlich ist vieles sogar noch mit größerer Sorgfalt geplant worden – eben weil es so eine lange Pause gab. Trotz verblassender Routinen und einer hohen Anspannung haben wir eine sehr gute Messe gesehen. 

Ihr meistgebrauchtes Wort zu Begrüßungen und in Reden war „Endlich“ - mit doppeltem Ausrufezeichen… 

In vier Jahren hat sich ein gewisser Druck aufgebaut. Der muss irgendwann entweichen - und das ist das „Endlich!“. Nicht nur: Schön, dass ihr endlich alle wieder da seid! Sondern auch: Endlich geht’s los, endlich läuft es. 

Nach drei Jahren Corona-Zwangspause hatten Sie vorsichtig kalkuliert und auf 130.000 Besucherinnen und Besucher gehofft. Die gut 202.000 allein auf dem Messegelände sind schon fast wieder so viel wie 2019; rechnet man die „Leipzig liest“-Besucher dazu, waren es diesmal insgesamt 274.000, nur zwölftausend weniger als vor vier Jahren. Zufrieden? 

Mir war nie bange, dass das Publikum diese Messe nicht findet. Aber es ist sehr schwierig, nach vier Jahren eine präzise Einschätzung zu geben. Die 130.000 waren keine Projektion dessen, was hier passieren sollte, sie meinten nur die Besucher auf dem Messegelände. Diese schon im April 2022 genannte „Arbeitszahl“ konstituierte sich aus den damals geltenden Corona-Bedingungen. Danach konnten die Verlegerinnen und Verleger ihre Beteiligung an der Messe formatieren. Wir haben uns dann Frankfurt angeschaut - dort waren es im Herbst etwa sechzig Prozent der vorpandemischen Besucherzahlen. Hochgerechnet auf Leipzig kamen wir auf 130.000. Ich wurde zwar ständig gefragt, habe die Zahl aber nicht mehr geändert. Man kommt nicht alle paar Tage mit neuen Zahlen um die Ecke - zumal man es definitiv nicht wissen kann. Es lief gut an, der Messe-Samstag war dann der besucherstärkste Tag.

In diesem Jahr waren gut zweitausend Aussteller auf der Messe, seit der Pandemie ging ein Fünftel verloren… 

Ich bin strukturell mit der Mischung aus Groß und Klein zufrieden; die meinungsbildenden Independents waren da. Trotzdem hat die Pandemie Spuren in der Branche hinterlassen, die wir vor allem an den Rändern sehen… 

Auch große Häuser zeigen sich verhaltener, manche, von denen man das nicht erwartet hätte, sind Teil von Gemeinschafts-Auftritten...

Es gab eine Anspannung: Was können, was wollen wir uns in Leipzig leisten? Das galt es auszutarieren, es hat sich aber stimmungsmäßig aufs Wunderbarste aufgelöst. Die Unterstützung des BKM war wichtig, wir konnten Rabatte ausreichen. Unser Anmeldeschluss war im November 2022 – man musste sich in einer Zeit entscheiden, in der es, bezogen auf die Pandemie, noch keine echte Entwarnung gab. Insofern bin ich sehr zufrieden. 

Förderungen und Datenbanken

Werden Sie also auch künftig von Förderungen abhängig sein? 

Wir als Messe müssen in der Zukunft auch ohne Förderung auskommen. Viele kleinere Verlage werden nicht ohne Förderung überlebensfähig sein. Das muss in die Wage gebracht werden.  

Im Zuge einer Recherche zur Verwendung von Corona-Hilfen im Literaturbetrieb mokierte sich Deutschlandfunk Kultur über zwei Millionen Euro, die 2022 an die Leipziger Buchmesse geflossen sind - obwohl die Veranstaltung ja abgesagt wurde. Wofür wurde das Geld verwendet? 

Messen sind Veranstaltungen, die über mehrere Jahre geplant werden. Wir haben das Geld - in strikter Absprache mit dem BKM - zunächst dafür eingesetzt, unsere digitale Infrastruktur zu ertüchtigen. Das ist eine Langzeitinvestition. Wir haben den Preis der Leipziger Buchmesse, den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und etliche „Leipzig liest“-Veranstaltungen, die dann doch ohne Messe stattfanden, organisiert. Und wir haben in den Aufbau einer pandemiegerechten Infrastruktur auf dem Messegelände investiert. Für all das gibt es Förderrechtlinien, an die wir uns genau gehalten haben. 

Bei der neu aufgesetzten Veranstaltungs-Datenbank ist in Sachen Usability durchaus Luft nach oben, nicht wenige Aussteller und Besucher wünschen sich ein gedrucktes Programm und Ausstellerverzeichnis zurück.  

Wir wissen, dass das ein sehr sensibler Bereich in der Programm-Organisation ist. Zwei Punkte waren im Vorfeld nicht hilfreich: Wir konnten unsere alte Datenbank nicht weiterentwickeln, sondern mussten aufgrund von Rechtefragen und technischen Implikationen ein komplett neues System aufsetzen. Dass wir in diesem Jahr kein gedrucktes Heft produziert haben, war zunächst der Überlegung aus Pandemiezeiten geschuldet: Zwei Schritt vor, einen zurück - das lässt sich nicht drei Mal hintereinander machen. Wir werden uns in der Auswertung sorgfältig überlegen, wie wir nachsteuern. Die Stimmen haben wir jedenfalls gehört… 

Unmut und Übergänge

Die Kostenpflichtigkeit der Einträge in die Datenbank sorgte ebenfalls für Unmut, während Leipzig doch bis dato die Sympathien förmlich zugeflogen waren…  

Wir hatten angesichts gestiegener Kosten, knapper Personaldecke und weniger zur Verfügung stehender Leipzig liest-Orte das Ziel, die Verlage zu ermuntern, Prioritäten zu setzen. Das Festival ist hoch komplex - und wir haben nicht hundert Leute, die sich damit beschäftigen. 

Die Antiquariatsmesse wurde bereits 1995 in die Buchmesse integriert - zum weltweit wohl ersten Mal fanden alte Bücher, Graphik und Autographen ihren Platz in einer Neubuchmesse. Diesmal fand sie in den Salles de Pologne in der Hainstraße statt. Wäre nicht doch noch Platz auf dem Messe-Gelände gewesen? 

Die räumliche Trennung hatte etwas mit der Logistik des April-Termins zu tun. Und es hatte auch etwas mit der Pandemie zu tun. Die Antiquariatsmesse ist flächenmäßig ein sehr großes Objekt, und wir waren uns sicher, dass man so einen 1.500-Quadratmeter-Block nicht nach der jeweiligen Pandemie-Lage skalieren kann. Mit dem überraschenden Tod von Detlef Thursch haben sich auch Entscheidungszeiträume verkürzt. Wir möchten die Antiquariatsmesse gern im Kontext der Buchmesse erhalten. 

Von Elfriede Jelinek stammt das Diktum „Achtung! Das Vergangene findet jetzt statt!“ Wird Leipzig 2023 einmal als eine Messe des Übergangs in den Branchen-Geschichtsbüchern stehen? 

In der Messe-Historie war es immer so, dass Transformationen permanent stattgefunden haben. Jetzt gab es einen Transformations-Stau von vier Jahren, der in viele neue Projektionen mündet. Die beste und wichtigste Botschaft für mich ist, dass die Leserinnen und Leser sich ihre Messe zurückerobert haben. Und dass wir jetzt wieder die Möglichkeit haben, mit den Erkenntnissen aus dieser Messe zu arbeiten. Da ploppen eine Reihe von Clustern auf: Vom Manga-Markt, der sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht hat, bis zu Romance und Romantasy, die brummen. Unser neues Format „buchbar“ lief sehr, sehr gut. Ebenso das Forum Offene Gesellschaft und der Jugendcampus UVERSE. Kurz und gut, wir haben endlich wieder das Ende des Seils ergriffen - und jetzt geht’s weiter. Ein wirklich großer Dank an alle, die in diesem Frühjahr die Leipziger Buchmesse getragen haben.  

Gab es einen Messemoment, in dem Sie dachten: Wow - genau dafür lohnt es sich, immer wieder? 

Es gab viele solcher Momente. Der erste und vielleicht schönste war, als ich die Gäste in der Glashalle zu unserem Buchpreis begrüßte. Da war schon mit Händen zu greifen: Es wird eine große Buchmesse!