"Endlich!!"
Erschöpft, erleichtert und zufrieden: Buchmessedirektor Oliver Zille blickt im Börsenblatt-Interview auf Höhepunkte und Neustartschwierigkeiten der Leipziger Buchmesse.
Erschöpft, erleichtert und zufrieden: Buchmessedirektor Oliver Zille blickt im Börsenblatt-Interview auf Höhepunkte und Neustartschwierigkeiten der Leipziger Buchmesse.
Oliver Zille: Nach diesen vier Tagen lässt sich sagen: Wir können Buchmesse. Wahrscheinlich ist vieles sogar noch mit größerer Sorgfalt geplant worden – eben weil es so eine lange Pause gab. Trotz verblassender Routinen und einer hohen Anspannung haben wir eine sehr gute Messe gesehen.
In vier Jahren hat sich ein gewisser Druck aufgebaut. Der muss irgendwann entweichen - und das ist das „Endlich!“. Nicht nur: Schön, dass ihr endlich alle wieder da seid! Sondern auch: Endlich geht’s los, endlich läuft es.
Mir war nie bange, dass das Publikum diese Messe nicht findet. Aber es ist sehr schwierig, nach vier Jahren eine präzise Einschätzung zu geben. Die 130.000 waren keine Projektion dessen, was hier passieren sollte, sie meinten nur die Besucher auf dem Messegelände. Diese schon im April 2022 genannte „Arbeitszahl“ konstituierte sich aus den damals geltenden Corona-Bedingungen. Danach konnten die Verlegerinnen und Verleger ihre Beteiligung an der Messe formatieren. Wir haben uns dann Frankfurt angeschaut - dort waren es im Herbst etwa sechzig Prozent der vorpandemischen Besucherzahlen. Hochgerechnet auf Leipzig kamen wir auf 130.000. Ich wurde zwar ständig gefragt, habe die Zahl aber nicht mehr geändert. Man kommt nicht alle paar Tage mit neuen Zahlen um die Ecke - zumal man es definitiv nicht wissen kann. Es lief gut an, der Messe-Samstag war dann der besucherstärkste Tag.
Ich bin strukturell mit der Mischung aus Groß und Klein zufrieden; die meinungsbildenden Independents waren da. Trotzdem hat die Pandemie Spuren in der Branche hinterlassen, die wir vor allem an den Rändern sehen…
Es gab eine Anspannung: Was können, was wollen wir uns in Leipzig leisten? Das galt es auszutarieren, es hat sich aber stimmungsmäßig aufs Wunderbarste aufgelöst. Die Unterstützung des BKM war wichtig, wir konnten Rabatte ausreichen. Unser Anmeldeschluss war im November 2022 – man musste sich in einer Zeit entscheiden, in der es, bezogen auf die Pandemie, noch keine echte Entwarnung gab. Insofern bin ich sehr zufrieden.
Wir als Messe müssen in der Zukunft auch ohne Förderung auskommen. Viele kleinere Verlage werden nicht ohne Förderung überlebensfähig sein. Das muss in die Wage gebracht werden.
Messen sind Veranstaltungen, die über mehrere Jahre geplant werden. Wir haben das Geld - in strikter Absprache mit dem BKM - zunächst dafür eingesetzt, unsere digitale Infrastruktur zu ertüchtigen. Das ist eine Langzeitinvestition. Wir haben den Preis der Leipziger Buchmesse, den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und etliche „Leipzig liest“-Veranstaltungen, die dann doch ohne Messe stattfanden, organisiert. Und wir haben in den Aufbau einer pandemiegerechten Infrastruktur auf dem Messegelände investiert. Für all das gibt es Förderrechtlinien, an die wir uns genau gehalten haben.
Wir wissen, dass das ein sehr sensibler Bereich in der Programm-Organisation ist. Zwei Punkte waren im Vorfeld nicht hilfreich: Wir konnten unsere alte Datenbank nicht weiterentwickeln, sondern mussten aufgrund von Rechtefragen und technischen Implikationen ein komplett neues System aufsetzen. Dass wir in diesem Jahr kein gedrucktes Heft produziert haben, war zunächst der Überlegung aus Pandemiezeiten geschuldet: Zwei Schritt vor, einen zurück - das lässt sich nicht drei Mal hintereinander machen. Wir werden uns in der Auswertung sorgfältig überlegen, wie wir nachsteuern. Die Stimmen haben wir jedenfalls gehört…
Wir hatten angesichts gestiegener Kosten, knapper Personaldecke und weniger zur Verfügung stehender Leipzig liest-Orte das Ziel, die Verlage zu ermuntern, Prioritäten zu setzen. Das Festival ist hoch komplex - und wir haben nicht hundert Leute, die sich damit beschäftigen.
Die räumliche Trennung hatte etwas mit der Logistik des April-Termins zu tun. Und es hatte auch etwas mit der Pandemie zu tun. Die Antiquariatsmesse ist flächenmäßig ein sehr großes Objekt, und wir waren uns sicher, dass man so einen 1.500-Quadratmeter-Block nicht nach der jeweiligen Pandemie-Lage skalieren kann. Mit dem überraschenden Tod von Detlef Thursch haben sich auch Entscheidungszeiträume verkürzt. Wir möchten die Antiquariatsmesse gern im Kontext der Buchmesse erhalten.
In der Messe-Historie war es immer so, dass Transformationen permanent stattgefunden haben. Jetzt gab es einen Transformations-Stau von vier Jahren, der in viele neue Projektionen mündet. Die beste und wichtigste Botschaft für mich ist, dass die Leserinnen und Leser sich ihre Messe zurückerobert haben. Und dass wir jetzt wieder die Möglichkeit haben, mit den Erkenntnissen aus dieser Messe zu arbeiten. Da ploppen eine Reihe von Clustern auf: Vom Manga-Markt, der sich in den letzten fünf Jahren verdreifacht hat, bis zu Romance und Romantasy, die brummen. Unser neues Format „buchbar“ lief sehr, sehr gut. Ebenso das Forum Offene Gesellschaft und der Jugendcampus UVERSE. Kurz und gut, wir haben endlich wieder das Ende des Seils ergriffen - und jetzt geht’s weiter. Ein wirklich großer Dank an alle, die in diesem Frühjahr die Leipziger Buchmesse getragen haben.
Es gab viele solcher Momente. Der erste und vielleicht schönste war, als ich die Gäste in der Glashalle zu unserem Buchpreis begrüßte. Da war schon mit Händen zu greifen: Es wird eine große Buchmesse!