Der Eindruck, dass gegen die GRÜNEN-Kanzlerkandidatin gerade auch Kampagne gemacht wird, drängt sich bei der täglichen Zeitungslektüre schon auf. Ist die Aufregung nicht übertrieben?
Das ist natürlich Ansichtssache und sicher auch dem etwas selbstherrlichen Auftreten der selbsterklärten Plagiatsjäger geschuldet. Zudem gibt es sicher derzeit wichtigere gesellschaftliche Themen als ein Buch von Annalena Baerbock. Aber wie sagte kürzlich der Politikberater Stauss so treffend: "Wer Kanzlerin werden will, strebt das wichtigste politische Amt in Deutschland an. Da kommt man in eisige Höhen – weit oberhalb eines Ministerpräsidenten oder Bundesministers. Es werden Maßstäbe an einen angelegt, die objektiv ungerecht sind, aber das Argument hilft einem nicht." Insofern wird sicherlich von interessierten politischen Kreisen der fortgesetzt ungeschickte Umgang ;Baerbocks und ihrer Berater mit den Mängeln ihres Buchs nach Kräften genutzt. Die Medien realisieren umgehend, dass das Publikum sich nachhaltig interessiert;und tun eben ihre Arbeit und berichten. Mal erfolgt dies eindeutig pro Baerbock wie bei der "Süddeutschen" zwei Tage hintereinander auf Seite 1, mal eher contra wie bei der "BILD" gefühlt wochenlang auf Seite 2 ff., ganz wie es der geneigten Leserschaft zu gefallen scheint. Ob man das jetzt schon Kampagne nennt oder noch mehr oder weniger ausgewogene Presselandschaft, das ist in beiden (!) Beispielsfällen letztlich Ansichtssache.
Eher unaufgeregt scheint die Buchbranche den Vorgang zur Kenntnis zu nehmen. Was steckt hinter so viel Schweigen?
In der Tat das Gegenteil einer Kampagne ist gerade in der Buchverlagsbranche und ihrem Umgang mit dem Thema zu beobachten. Kaum jemand hat sich dazu bislang geäußert. Dass Ullstein nach einem ersten Statement stoisch schwieg und vielleicht hoffte, sich ohne weiteren Kommentar in die Sommerpause retten zu können, war verständlich. Als der mediale Druck dann immer größer wurde, erschöpfte sich die gestrige, clever formulierte Meldung - Verlage können halt mit Sprache umgehen - in der Ankündigung, alsbald „zusätzliche Quellenangaben im Buch [zu] ergänzen“. Abgesehen davon, dass es streng genommen ja eher darum geht, ein bislang fehlendes Verzeichnis erstmals zu inkludieren, ist es sicher richtig, sich als Verlag weder zu verteidigen noch die eigene Autorin zu kritisieren. Ersteres wäre angesichts der Sachlage nicht angebracht, und Letzteres gehört sich ohnehin nicht.
Vermutlich war die längere Sprachlosigkeit bei Ullstein dem Umstand geschuldet, dass man sich dort nicht im Traum hatte vorstellen können, mit welch laxer Einstellung eine potenzielle Bundeskanzlerin ein Buch nicht nur schreibt, sondern dann auch gegen berechtigte Kritik zu verteidigen versucht. Andere Verlage wiederum sind heilfroh, dass dieses Buch und seine Nachwirkungen an ihnen vorübergingen. Man bleibt, ganz nach dem Motto "Das hätte uns auch passieren können", gerne weiterhin solidarisch und deshalb medial in Deckung. Es spricht ja auch viel dafür, dass die GRÜNEN es zumindest in die Regierung schaffen und nicht ausgeschlossen ist, dass sie sich dann ihren Kritikern gegenüber als nachtragend erweisen könnten. So überrascht kaum, dass sich sogar Fernsehsender derzeit mit dem Wunsch nach O-Tönen zur Causa Baerbock von einer Verlags-Pressestelle nach der anderen durchhangeln und sich einen Korb nach dem anderen einhandeln. Auch Print-Medien beißen bei Verlagen auf Granit. Ein Schweizer Medium fragte reihum und allgemein „Was tun Verlage gegen das Problem mit Plagiaten?“. Unverfänglicher kann man sich der Causa Baerbock doch kaum nähern. Allein, vergebene Mühe, man musste die geplante Story fallen lassen, denn man hatte „nur Absagen“ bekommen.
Um das Ausmaß des flächendeckenden Schweigens an einem weiteren Beispiel zu verdeutlichen: Selbst Jo Lendle, sonst sehr rührig in den sozialen Netzwerken, schweigt! Kein Tweet zu Baerbock/Habeck seit 19. April. Und auch damals, vom Baerbock-Buch war noch nichts zu ahnen, eher eine verspielte Hommage denn Kritik am damaligen Dream-Team, zwischen dessen Mitglieder ja noch vor Kurzem auch keine Buchseite zu passen schien.
Sehr merkwürdig gelingt Herrn Dresen die Diskreditierung von Frau Baerbock als naiv und mediengeil gegenüber so offensichtlich unbescholtenen und bescheidenen Politikern wie Olaf-Wirecard-Scholz und Armin-Maskendeal-Laschet: "ich glaube aber nicht, dass man selbst in anderen aktuellen Politiker-Biografien, etwa Olaf Scholz' "Hoffnungsland" oder Armin Laschets "Der Machtmenschliche" einen ähnlich laxen Umgang mit Fremdtexten finden wird. Aber wer weiß, vielleicht wird man hierzu bald auch mehr erfahren."
Vieles, was er äußert, sind Spekulationen, zB: "Vermutlich wusste sie bei Vertragsschluss nicht so recht, worauf sie sich da einlässt. Vielleicht hat sie dabei an den Kollegen Habeck und den Satz von Loriot gedacht "Es muss gehen, andere machen es doch auch". Als es dann zur Niederschrift kam und die Zeit und der Verlag drängten, wurde womöglich von ihr und ihrer Entourage, wobei ich da den Ghostwriter und ihre bedauernswerte Lektorin explizit ausnehmen möchte, hektisch aus diversen Quellen zusammengesucht und oft nur notdürftig umgeschrieben und paraphrasiert."
Auffällig ist, dass Herrn Dresen außer Frau Baerbock selbst oder ihrer Lektorin keine weiteren Frauen einfallen, aber das nur am Rande. Von Schmidt und Stauss über Lendle bis zu Valentin - alles Männer.
Schön wäre es also, er hält sich zukünftig an das, was er sich selbst wünscht: "sich politisch neutral, aber eindeutig pro Urheberrecht zu positionieren", statt Gerüchte in die Welt zu setzen.
Michael Lemling/ Buchhandlung Lehmkuhl München
Natürlich kann man beobachten, dass die aktuelle Führung der Grünen kein sehr entwickeltes Verständnis von Urheberrecht hat. Aber in der Lobbyarbeit haben wir in den letzten 15 Jahren von den Grünen auch konsequent gesagt bekommen, dass sie vom Urheberrecht nichts halten. Man sollte jetzt nicht überrascht sein. Und so fundamental besser ist das in der SPD oder der FDP oder bei den Linken ja auch nicht. Nur die CDU hat da noch Restbewusstsein.
Die eigentliche Frage finde ich aber, warum solche Bücher erscheinen. Für die Qualität eines Buches ist die Verlagsleitung verantwortlich. Autoren wollen veröffentlicht werden. Und die wenigsten haben einen realistischen Blick auf ihre eigene Leistung. Die Auswahl, Qualitätssicherung ist Aufgabe des Verlages. Wenn alleine die Tatsache, dass das Buch von einer Prominenten stammt und hohe Absatzzahlen verspricht als Argument für die Veröffentlichung reicht, dann braucht man auch nicht mehr von der Verantwortung des Verlages zu sprechen. Weder nimmt er hier seine Verantwortung gegenüber der Autorin noch die gegenüber den Lesern wahr. Den Grünen gegenüber und vielleicht auch einem großen Teil der Bevölkerung gegenüber war das ein Bärendienst.
mit der Frage, "warum solche Bücher erscheinen" legen Sie den Finger in die Wunde der Branche. Denkt man die Antworten darauf - und einige Antworten haben Sie bereits gegeben - konsequent zu Ende, steuert man auf einen äußerst unschönen Fluchtpunkt zu; das beständige, aber dafür umso unversöhnlichere Changieren einer ganzen Branche zwischen Kommerz und Kultur.
Genau hier liegt der Hase im Pfeffer, denn "es kann nicht sein, was nicht sein darf." Die Branche ist in all diesen Fragen insbesondere deshalb in der Öffentlichkeit so still, weil sie sich sonst in weiten Teilen selbst demaskiert als das, was sie ist: eine nachfragegetriebene Branche, die unleugbare finanzielle Interessen hat.
Und es geht noch weiter: Würde man sich als Branche öffentlich äußern, käme letztlich heraus, dass die finanziellen Interessen gegenüber allen anderen Interessen in weiten Teilen überwiegen. Genau deshalb erscheinen hunderte solcher Bücher, die letztlich kein Mensch braucht - weil es sie eben schon hundertfach gibt.
Eine breite öffentliche Debatte über "Plagiate", aber auch die "Rabattspreizung", die "Entwicklung des Bucheinzelhandels" und die "Entwicklungen im Zwischenbuchhandel" öffnet die Büchse der Pandora. Und zwar dahingehend, ob die Branche mit all ihren Akteuren, Usancen und Interessen in dieser Form überhaupt gebraucht wird. Das möchte keiner, weil die Antwort bei nüchterner Betrachtung eben genauso ernüchternd ausfallen würde.
ich glaube nicht, dass wir etwas gewinnen, wenn wir wieder mit einem Gegensatz von Kultur und Kommerz argumentieren. Kultur wird nicht höher, wenn mit ihr nichts verdient wird. Ich habe Respekt davor, wenn jemand auf ein höheres Einkommen verzichtet, weil es ihm wichtig ist etwas zu tun, obwohl es nicht so viel Anerkennung oder Umsatz bekommt. Aber seinen Lebensunterhalt verdienen darf jeder wollen, ohne dass man den Wert seines Tuns anzweifelt. Und selbst wenn man von der Gier nach Geld angetrieben ist, so ist das vielleicht nicht das Motiv, das ich subjektiv besonders sympathisch finde. Aber das ist und bleibt eine subjektive und keine objektive Wertung, sollte deshalb nicht ein Maßstab für das Handeln der Branche sein. Es führt deshalb nicht weit, wenn wir unsere Branche als unkommerziell, als ehrenwerter, ethischer oder was auch immer betrachten. Und es trägt auch nicht weit, wenn wir mit dieser angeblichen Besonderheit der Branche in der Politik Sonderrechte einfordern.
Ergiebiger finde ich den Ansatz, die Widersprüchlichkeit zwischen unserem Sprechen und Handeln zu thematisieren. Wer sich nur für Geld interessiert, der sollte nach außen nicht so viel über andere Ideale reden. Das hat Böhmermann kürzlich mit seiner bösen Entlarvung der Klatschverleger angemahnt. Nicht die Gier nach Geld, sondern die Bigotterie ist kritikwürdig.
Wir sollten nach der Überzeugung im buchhändlerischen Handeln fragen. Mit Büchern kann man die Welt verändern. Was sind die Visionen, nach denen wir die Welt gestalten wollen? Welche Welt streben wir an?
Wir sollten in unserer Branche über die besseren Visionen streiten und die besseren Maßnahmen, um die gemeinsamen Visionen zu erreichen. Dafür wäre es schön, wenn Debatten entstehen. Deshalb ist es traurig, dass zu den genannten Themen kein Dialog entsteht.
da stimme ich Ihnen unumwunden zu! Ich sehe auch ganz grundsätzlich überhaupt kein Problem in monetären Interessen, schlichtweg, weil sie die Grundlage ökonomisch-verantwortlichen Handelns sind. Umsatz und Gewinn sind nichts Anstößiges und ich möchte jeden Unternehmer - gerade in der Branche - auffordern, sich dieser Perspektive nicht zu verweigern. Auch und gerade weil der Unternehmer seine Arbeit so gerne macht, ist der Gotteslohn nicht ausreichend.
Dennoch habe ich die Befürchtung, dass sich einige - vielleicht sogar die Mehrzahl - der Branchenakteure aufgrund ihrer schwierigen wirtschaftlichen Situation (egal ob verschuldet oder unverschuldet) mit den von Ihnen gestellten Fragen nach der eigenen Vision und der zukünftigen Welt kaum beschäftigen. Diese Unternehmer sind zu absorbiert von der Alltagsarbeit, den vielen kleinen Herausforderungen und dem Löschen von unternehmerischen Schwelbränden, als das sie sich der Beantwortung dieser Fragen widmen können. Und genau hier liegt mindestens ebensosehr ein Problem: Die Fragen nach einer buchhändlerischen Vision und dem Streben nach einer besseren Welt sind die Grundlagen wirtschaftlichen Erfolgs und eben keine Luxusfragen, deren Beantwortung man sich erst nach(!) dem Erreichen des ökonomischen Erfolgs widmen sollte. Ursache und Wirkung werden gewissermaßen vertauscht. Darüber sollte man genauso reden.
Aber: Dann lassen Sie uns einen Dialog initiieren, lassen Sie uns im besten Sinne streiten!
Mit freundlichen Grüßen
Sören Ohle