Es war Ende Januar, das Wetter trübe wie stets in diesem Winter, das Herbstprogramm stand, das Frühjahrsprogramm war auf dem Weg in die Auslieferung. Da ging in meinem Postfach eine E-Mail ein, die vieles verändern sollte: Die Berliner Literaturagentin Maria Schließer bot mit den leicht untertreibenden Worten "Hier müsste es schnell gehen, aber es gibt auch nicht allzu viel zu übersetzen" ein Buch über die Olympischen Sommerspiele der Neuzeit an: 80 Seiten mit 750 illustrierten kleinen Geschichten aus Sport und Gesellschaft. Pro Stadt eine Doppelseite, von Athen 1896 bis Tokio 2020. Das Buch entstehe gerade in der Ukraine, bis Ende März sei alles getextet, illustriert und übersetzungsbereit, hieß es. Für meine Programmplanung hatte dieses Großereignis zunächst so gar keine Relevanz ... Alle Plätze im Herbstprogramm waren schon vergeben, Übersetzungen in Auftrag gegeben.
Und dann das. Die prägnant illustrierten Musterseiten mit allerhand denk- und merkwürdigen Geschichten reizten mich und so rief ich gleichen Tags in Berlin an, schlug jedoch nicht direkt ein. Dafür war zu vieles noch unklar. Es folgten Gespräche im Verlag: Was meint ihr? Wie interessant ist so ein Buch für Kinder? Titel wie "Alle Welt", "Ariadnes Faden" oder " Unter der Erde / Tief im Wasser" hätten einem solchen Olympia-Buch den Boden bereitet, fand ich. Unsere sonst eher zurückhaltende Pressefrau war sofort begeistert. Und vertrieblich? Ist es möglich, jenen einzig passenden Auslieferungstermin zu erreichen, genau eine Woche vor dem Entzünden des olympischen Feuers in Paris? Es begann ein äußerst reger Austausch zwischen Frankfurt am Main, Berlin und Lemberg, dem Sitz des Old Lion-Verlags.
Gleichzeitig schwebte über allem eine irre Ungewissheit: Würden die Urheberinnen – inzwischen wusste ich, dass es ein ausschließlich weibliches Text- und Bildautorinnenteam war - in Kiew konstant an diesem Projekt arbeiten können oder würden Drohneneinschläge ihrer Arbeit ein jähes Ende setzen? Diese Bedenken schob ich irgendwann im Februar beiseite und bekam den Zuschlag. Damit begann der Marathonlauf, dessen Ziel erst Ende Mai in Sicht kommen würde und der eine Menge Kraft, Energie und Arbeitszeit kostete. Welche/r Übersetzer*in aus dem Ukrainischen, bestenfalls mit Sportfaible, wäre so kurzfristig verfügbar? Wer übernimmt das Lektorat, wer das Korrektorat? Genügt ein Faktencheck in der Ukraine, wie halten wir es mit dem Gendern, mit den beiden deutschen Republiken, die zwischen 1960 und 1988 getrennt bei Olympia angetreten waren? Wie sehr würde die Geschichtenauswahl ukrainisch geprägt sein? Und vor allem: Erst im April mit der Übersetzung zu beginnen, wäre unmöglich gewesen. Ein ausgeklügelter Zeitplan, paralleles Arbeiten von Übersetzerin Annegret Becker in Greifswald, Lektorin in Wetzlar und Textlayouter in Vreden sowie eine zuverlässige Postzustellung waren die Parameter, die das Gelingen dieses Projekts garantieren mussten …
Der Marathon ist nun zu Ende. "Olympia! Bewegende Momente – Besondere Geschichten" wird am 17. Juli erscheinen. Alle sind ausgepowert, aber zufrieden! Wie es sich gehört. Und die Autorinnen Iryna Taranenko und Marija Worobjowa sowie die Illustratorinnen Marta Leschak und Anna Plotka in der Ukraine sind gottlob unversehrt geblieben.