„Bibliodiverse Bandbreite“ in unabhängigen Verlagen
Auf der „Leseinsel der unabhängigen Verlage“ präsentierten Autor:innen und Verleger:innen ihre prämierten Neuerscheinungen. Ein Einblick.
Auf der „Leseinsel der unabhängigen Verlage“ präsentierten Autor:innen und Verleger:innen ihre prämierten Neuerscheinungen. Ein Einblick.
„Gebärdensprachpoesie stellt viele Überzeugungen in der Literaturwelt auf den Kopf“, sagte Franziska Winkler, Herausgeberin der Anthologie „handverlesen – Gebärdensprachpoesie in Lautsprache“ (Hochroth Verlag). Gebärdensprachenpoesie sei eine eigene Literaturgattung, so Winkler. Sie erklärte dem verblüfften Publikum, wie in regelmäßig seit 2017 stattfindenden Tagungen taube Autor:Innen und hörende zusammenkommen, um neue Literatur in Gebärden- und Lautsprache zu entwickeln und zu übersetzen. Lars Claßen, Mitgründer des Kjona Verlags stellte den Roman „Bruder“ von Zain Khalid, übersetzt von Eva Regul vor. Erzählt wird die Geschichte dreier Adoptivbrüder, die Anfang der 1990er Jahre in New York Staten Island Mühe haben, sich zwischen Religionen und Kapitalismus zu orientieren. Zugleich betont Claßen, wie nachhaltig (Cradle to Cradle) sein Verlag arbeitet. Zudem verwendet Kjona nur zwei Open-Source-Hausschriften, wodurch weniger Tintenschwärze verbraucht wird. „Sie können das Buch nach der Lektüre in die Erde stecken. Es wird rückstandslos zu Humus. Aber vielleicht verschenken Sie es vorher“, so Claßen.
Johannes Rieder, Ko-Verleger im Susanna Rieder Verlag präsentierte das Bilderbuch mit Gedichten für Kinder „Auseinander“ von Bette Westera und Sylvia Weve (Illustration), übersetzt von Rolf Erdorf. Es ist das dritte Buch dieses Teams nach „Überall und nirgends“ und „Was macht das Licht, wenn es dunkel wird?“ In den neuen Texten wird feinfühlig der Trauer und den Verlusten nachgespürt. Graphisch wird einfallsreich mit Getrenntsein und Verbundenheit gespielt. Auch herstellerisch überrascht das Buch: Die Seiten sind nicht aufgeschnitten. Auch Florian L. Arnold, Verleger der Edition Hibana und Illustrator versetzte das Publikum in Erstaunen, allerdings mit einem Klassiker: „Mikromegas & Über die verheerenden Folgen des Lesens“ ist eine philosophische Erzählung Voltaires von 1752, vielleicht der erste Science Fiction Roman der Literaturgeschichte, und wird optisch innovativ von Arnold in Szene gesetzt. Schließlich präsentierte Kristina Pöschl, Leiterin des Lichtung Verlags das Buch „Spukhafte Fernwirkung“ von Ulrike Anna Bleier, worin es keine Hauptfiguren, aber rund 200 Nebenfiguren gibt. „Die Geschichte wird nur durch die beiden Buchdeckel begrenzt“, so Pöschl, die auf eine Schreib-App (spukhafte-fernwirkung.de) verweist, dank der die Leser:Innen den Text weiterschreiben können. Sarah Käsmayr, Verlegerin des Augsburger Maro Verlags und im Vorstand der Kurt-Wolff-Stiftung spricht im Zusammenhang mit der Bayerischen Verlagsprämie deshalb auch von der Möglichkeit, Einblick „in die bibliodiverse Bandbreite von Veröffentlichungen aus unabhängigen Verlagen“ zu erhalten.
Seit 2009 zeichnet Bayern im jurierten Bewerbungsverfahren unabhängige Verlage aus. Damit ist der Freistaat eines der ersten Bundesländer überhaupt, das Independents systematisch fördert. Bis 2018 handelte es sich dabei um den „Bayerischen Kleinverlagspreis“. Seither hat sich das Konzept verändert: Dank einer Neuausrichtung werden seit 2020 nicht Einzelverlage sondern einzelne Neuerscheinungen aus Kleinverlagen prämiert. Es wurden hierfür zwei Modell entwickelt: Einerseits wird jährlich (auch als Broschüre, in sozialen Netzwerken usw.) die undotierte Empfehlungsliste „Bayerns beste Independent Bücher“ mit zehn Titeln veröffentlicht. Zudem werden zehn Verlagsprämien à 5.000 Euro für noch nicht publizierte Werke und für das Verlagsprogramm vergeben. „Jedes Jahr werden die Karten neu gemischt, die Verlage können sich immer neu bewerben. Das schafft einen Anreiz und ermutigt“, erklärte Elisabeth Donoughue, Referentin für Literaturförderung und kulturelle Teilhabe im Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst, die Moderatorin der Veranstaltung.
Bewerben können sich für „Bayerns beste Independent Bücher“ Verleger:Innen mit einem Umsatz bis zu einer Million Euro. Eine Experten-Jury schlägt jedes Jahr dem Staatsminister zwanzig Titel vor. Der Jury setzt sich zusammen aus Niels Beintker (Redakteur beim Bayerischen Rundfunk), Tanja Graf (Leiterin des Literaturhauses in München), Gabriele Kellner (Inhaberin von Barbaras Bücherstube in Moosburg), Carola Kupfer (Literaturveranstalterin und Präsidentin des Bayerischen Landesverbandes der Kultur- und Kreativwirtschaft e.V.), Manfred Metzner (Verlag Das Wunderhorn und Vorsitzender der Kurt-Wolff-Stiftung von 2000 bis 2010), Patricia Preuß (Programmleiterin des Literaturarchivs Sulzbach-Rosenberg) und Christiane Raabe (Leiterin der Internationalen Jugendbibliothek in Schloss Blutenburg). Die Veranstaltung des Bayerisches Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst fand in Zusammenarbeit mit der Kurt-Wolff-Stiftung statt.