Gibt es Autor*innen bei Orlanda, die in ihren Romanen gendern möchten?
Wenn eine Autor*in ein gegendertes Manuskript einreichen würde, würden wir das auf jeden Fall umsetzen. Bislang kam das aber im Bereich Belletristik, anders als beim Sachbuch, noch nicht vor. Wir haben gerade für das Lektorat und für Übersetzungen Richtlinien zum Gendern und zum politisch korrekten Umgang mit Sprache entwickelt, die nun laufend ergänzt werden.
Wie sehen die aus?
In einem Glossar definieren wir, wie Begriffe wie "race", "Schwarze Deutsche" oder "Rassifizierung" definiert werden und wie wir sie im Orlanda Verlag benutzen.
Viele meinen, Gendern in Romanen würde auf Kosten der Lesbarkeit und des Stils geben. Kann es gute Literatur in gendergerechter Sprache geben?
Auf jeden Fall kann gegenderte Literatur gute Literatur sein. Wenn man davon ausgeht, dass Sprache die Sicht auf die Welt formt und Einstellungen zementiert, muss mit Sprache in Zukunft anders umgegangen werden. Es ist aus unserer Sicht wichtig, dass die Bewusstmachung bzw. Reflexion über Sprache geschärft wird. Es wird so viel Rassismus und Sexismus über Sprache transportiert und damit in die Gesellschaft implementiert. Da muss sich etwas ändern! Und Gendern trägt zur Reflexion über Sprache bei. Oft reicht es ja aus, präziser mit Sprache umzugehen. Momentan zögern wir aber noch, in literarische Texte, die nicht gegendert sind, einzugreifen. Das hat auch was mit Respekt vor der kreativen Leistung der Autor*innen zu tun. Wir würden das auch nicht ohne die Zustimmung der Autor*innen tun.
Wenn Autor*innen in ihren Romanen gendern – haben Sie dann bei Orlanda vom Sternchen über das Binnen-I bis zum Doppelpunkt alle Freiheiten? Oder sollten Verlage eine einheitliche Richtlinie entwickeln?
Wir sind der Meinung, dass einheitliche Richtlinien für den einzelnen Verlag entwickelt werden sollten. Das heißt nicht, dass diese auf ewig in „Stein gemeißelt“ sind. Sie sollten laufend überprüft und den aktuellen Entwicklungen angepasst werden. Aber eine Einheitlichkeit innerhalb des Verlages finden wir sinnvoll, über alle Bereiche hinweg.
Wie stellt sich das Thema in Übersetzungen dar? Sind in Übersetzungen beim Gendern noch einmal besondere Aspekte zu beachten?
Bei Übersetzungen wird es kompliziert. Wir haben kürzlich den autobiografischen Text "Hot, wet & shaking. Wie ich lernte über Sex zu sprechen" der kanadischen Autorin Kaleigh Trace veröffentlicht, der in der Originalsprache gegendert war. Das hat unsere Übersetzerin und auch die Lektorin vor große Herausforderungen gestellt. Wir haben es aber gelöst und unseren Leser*innen im Vorwort erläutert, warum wir wie vorgegangen sind.
Und wie ist die Übersetzerin in dem Fall konkret vorgegangen? Haben Sie ein Beispiel?
Die Übersetzerin Penelope Dützmann hat zum Beispiel für das geschlechtsneutrale Pronomen "they" das Pronomen "sie*er" gewählt. Außerdem hat sie sich für die Schreibweise "beHindert" entschieden - das große "H" soll den Wortstamm "hindern" hervorheben und verdeutlichen, wie Betroffene durch die Gesellschaft "behindert" werden.
Wie halten Sie selbst es mit dem Gendern in der Verlagskommunikation, im Marketing, in der Vorschau?Wir geben uns Mühe und haben das Thema auf dem Schirm, sind aber sicherlich noch nicht da, wo wir hin müssen.
Glauben Sie, dass mittelfristig mehr Romane in gendergerechter Sprache erscheinen – weil wir uns alle dann daran gewöhnt haben werden und die jungen Autor*innen ein anderes Bewusstsein für gendergerechte Sprache entwickelt haben?
Ich denke beides trifft zu. Wir werden uns gewöhnt haben und es wird Autor*innen geben, die das auch selbstverständlich tun, weil es Teil ihres Bewusstseins und ihrer Haltung ist.
Haben Sie als Verlag schon Rückmeldungen von Leser*innen auf Ihre Genderpraxis bekommen?
Wir haben bislang ausschließlich positive Resonanz auf die Genderpraxis bekommen. Auch als wir kürzlich in einem Bilderbuch gegendert haben, wurde das von Leser*innen positiv bemerkt, als wichtiger Schritt, das Bewusstsein von Kindern von Anfang an zu schärfen.
Ich habe jahrzehnteland meine Werbebriefe immer mit einem handschriftlihen `Liebe Leser` begonnen und damit immer die Gesamtheit meiner 'Anhängerschaft' umfasst - jeder wusste ja, dieser Brief ging immer an sehr viele - und damit war die Sache ja klar.
Obwohl ich mittlerweile immer nur weibliche 83 Jahre alt bin, kam ich niemals auch nur auf die Idee, womöglich üersehen zu werden.
Und ich stelle es mir grauenvoll vor, wenn möglicherweise die *-Saat auch noch in Kinder- und Jugendbüchern Einzug halten.
Jeder Mensch weiß doch spätestes ziemlich bald nach seiner Geburt, dass an dieser eine Frau und ein Mann unerlässlich beeiligt waren. (Eher ist es doch so, dass jemand womöglich keinen ausdrücklichen Vater in seiner Umwelt vorfindet und in der Kita und der Grundschule ist doch auch so ziemlich alles vorwiegend weiblich - was man übrigens oft genug als Fehler beklagt.).
Wenn man Frauen explizit vorm Übersehenwerden retten will, kann man sie doch ausdrücklich nennen. Wer sich nur wegen unterlassener *chen übergangen vorkommt, oder wenn, was neulich in einer Professoren-Diskussion (bei Phönix) vorgetragen wurde, es beim *chen-Unterlassen Punktabzüge bekommt, sollte diesen Vorgang schleunigst kopieren und in der jeweiligen Uni ans Schwarze Brett aushängen.
Was für ein jämmerliches Selbstbild offenbart sich doch hier!
Viele Grüße in sehr alter Frische Ingeborg Gollwitzer