Drei simple Schritte | BOOKBYTES

Was die Verlagsbranche von Netflix lernen kann

23. November 2020
Redaktion Börsenblatt

Benjamin Talin hat sich selbst auf die Fahnen geschrieben, das Thema Digitalisierung so einfach wie möglich zu erklären und für alle verstehbar zu machen. Im Bookbytes-Interview erzählt er, wo er den größten Nachholbedarf in der Verlagsbranche sieht, was man unbedingt beachten sollte und macht einen konkreten Vorschlag, was man ändern könnte. 

Herr Talin, wie sind Sie zum Experten für das Thema Digitalisierung geworden?

Wie alles im Leben bei mir ist es, glaube ich, reiner Zufall. Zuerst habe ich mich mit jungen Jahren stark mit dem Thema Computer beschäftigt, da ich eigentlich nur das komische Ding verstehen wollte. Dann ging es irgendwann über, dass ich Probleme lösen konnte und so habe ich mich mit 13 Jahren als Unternehmer betätigt, habe Firmen- und Hotel-Netzwerke aufgebaut, auch Webseiten und Speisekarten gestaltet oder einfach nur mal einen Drucker installiert. So bin ich relativ rasch in so etwas wie Digitalisierung gerutscht - ohne dass ich die Worte überhaupt gekannt habe. Durch meine vielen Praktika, meine eigenen Start-Ups und auch durch mein Studium bin ich immer tiefer in die Welt "versunken" und irgendwann wurden die Themen breiter. Als ich zudem eine Agentur in der Schweiz gründete und auch an der Universität dozierte, lernte ich die grundlegenden Probleme der Wirtschaft im Zusammenhang mit der Nutzung der Technologie immer mehr kennen. Da ich jemand bin, der nie ruhen kann, wenn er keine Lösung gefunden hat, habe ich mich intensiver mit Change-Management und digitaler Transformation beschäftigt. Seit einigen Jahren werde ich in diverse Projekte eingeladen worden und von der Welt regelrecht verschlungen.

Benjamin Talin ist Key Note Speaker, Berater, Blogger und Leiter von MoreThanDigital. Sein Spezialgebiet ist die Digitale Transformation.
 

Die Fragen stellt Martin Engelhard, Börsenblatt-Experte und Marketing-Manager bei 3w+p, einem deutschen Satzautomationsspezialisten.

Wie beurteilen Sie den Status quo der Digitalisierung der Verlagsbranche (DACH) im Vergleich zu anderen Branchen und welche Auswirkungen hat dieser Zustand?

Die Verlangsbranche steht leider in keinem guten Licht, weil nur die üblichen Themen angegangen werden: irgendwelche Social-Media-Kampagnen, ein paar Webseiten oder mal kleine Ansätze von Digitalisierung. Wenn man die Branche etwas tiefgehender beurteilt, dann hat sie sich in den letzten Jahrzehnten nie gewandelt. Die digitale Transformation - also alles was man neu denken und machen kann durch die Möglichkeiten von digitalen Technologien - ist hierbei komplett auf der Strecke geblieben. Man konzentriert sich auf "Wir wählen gute Autoren aus, lektorieren die Texte, drucken die Bücher und verkaufen diese". Übersehen wird, dass sich die Welt rund um Geschichten, Stories etc. stark verändert hat. Der Medienkonsum hat sich allgemein gewandelt. Heutzutage stehen die Geschichten im Mittelpunkt, die Leser/Zuseher/Zuhörer wollen gefesselt werden, sie wollen in diese Welt eintauchen und selbst möglichst ein Teil dieser Geschichte werden. So ist die Konzentration auf ein einzelnes Medium wie ein Buch etwas linear gedacht. Eine der Auswirkungen, die sich jetzt schon bemerkbar macht, ist, dass Autoren sich zunehmend weiter von den Büchern entfernen. Formate wie Netflix, Podcasts usw. sind zunehmend interessanter geworden, da die Hürden meist kleiner sind und sich inzwischen auch große Reichweiten erzielen lassen.

 

Wo sehen Sie die größten Potenziale im Bereich der Verlagsherstellung?

Natürlich spielen Optimierungen, Automation, soziale Kanäle oder auch digitale Vertriebsformen eine Rolle in der Verlagswelt. Dadurch können jetzt bereits größere Einsparungen vorgenommen werden. Je effizienter die Firma momentan arbeiten kann, desto mehr Freiraum und Kapital verschafft sie sich für Veränderung. Jedoch sehe ich das größte Potential in der Erstellung von - wie ich sie nenne - "Story Worlds". Denn eines sollte man unbedingt verstehen: Heutzutage ist das höchste Gut in der Medienwelt folgendes: Aufmerksamkeit. Die Verlage müssen verstehen, dass sie im Moment noch die Macht haben leicht zu überprüfen, welche Geschichten gut sind, welche gut ankommen und dann auch gut verwertet werden können. Wenn man es als sogenannte Supply Chain betrachtet, dann wäre die Verlagsbranche heute nur ein kleiner Teil dieser Kette. Man sollte sich aber als wichtiges Verdingungselement wesentlich weiter ausbauen. Man könnte Geschichten starten, Merchandise andenken, die Filmrechte dann ausarbeiten, Podcasts erstellen und somit den Kunden durch seine persönliche Welt begleiten. So ist eventuell das Buch nur ein Teilstück des Erlebnisses und Dinge wie eine Community, eine Plattform zum Austausch oder auch ein Film, Podcast, Video, Interview etc. So wird eine Welt aufgebaut, in der man Aufmerksamkeit von seinen Kunden bekommt. Dies ermöglicht ein leichteres Marketing, direkte Ansprache und mehrere Wertschöpfungskanäle.
Man könnte es so ähnlich wie Netflix mit seinen Serien machen.

  1. Zuerst gibt es eine Pilot-Serie. Diese ist nur wenige Folgen lang. Man sieht dadurch aber, wie stark sich das Zielpublikum dafür interessiert bzw. ob es überhaupt interessant ist. (Dies könnte das Buch sein)
  2. Es wird die Serie weiter ausgebaut: Man entwickelt zusätzliche Charaktere hinzu und gibt der Geschichte mehr Tiefe.
  3. Zusätzlich werden Merchandise-Kanäle aufgebaut, neue Partner gesucht, Geschichten gezielt platziert und man nutzt diesen Schwung für weitere Staffeln, mehr Angebote usw.

Diese 3 simplen Schritte wären auch in der Verlagsbranche denkbar. Nicht mehr das Buch allein in das Zentrum stellen, sondern die Geschichten. Mit diesen Geschichten können dann (gemeinsam) mehrere Geldquellen aufgebaut werden und somit ist man auch zukunftssicher aufgestellt. Dies merkt man auch in dem Film- und Musik-Industrie. Die eigentlichen Stücke (in dem Fall die Bücher) sind nur mehr nebensächlich wichtig. Das meiste wird mit den Geldströmen rundherum verdient. So ist das Buch in einigen Jahren eventuell nur noch das Medium für die Geschichte, um schlussendlich mehr aus der Geschichte machen zu können.

Wie können Verlage die digitale Transformation schaffen?

Speziell wichtig ist es kritisch zu hinterfragen, ob man richtig aufgestellt ist. Da gehört auch dazu, sich Gedanken zu machen, welches Geschäftsmodell und welche sogenannten USPs (Alleingstellungsmerkmale) man hat. Dann sollte man sich stark mit der so genannten "Customer Journey" (Aber nicht nur um ein Buch zu kaufen, sondern inkl. Fan-Artikel, Social Media, Web usw.) auseinandersetzen. Wenn man mal diese Grundlagen hat, dann versteht man sehr viel von seiner eigenen Firma und auch vom Kunden. Rein von meiner Erfahrung aus diesem Bereich gesprochen, sollten sich viele Buchverlage auch Gedanken machen, wie sie mit den Büchern als Medium umgehen wollen. Leider sind viele noch in der Welt gefangen und sehen nur diesen linearen Prozess "Geschichte, Satzung, Druck, Verkauf" und vergessen dabei, dass dies wesentlich komplexer geworden ist. Um die digitale Transformation wirklich schaffen zu können, müssen sich wohl auch die Verleger darauf gefasst machen Plattformen anzudenken. Dies setzt natürlich voraus, dass man gemeinsam mit anderen Medienunternehmen und Partnern arbeiten und sich dementsprechend flexibel aufstellen muss.

Wichtig dabei ist noch folgendes:

  • Das Top-Management muss geschult werden (Jeder muss verstehen, was sich verändert und warum)
  • Mittelmanagement und Mitarbeiter mitnehmen (Digitale Transformation ist für viele eine Gefahr durch etwas Neues; deshalb wehren sie sich)
  • Klare Ziele setzen und eine gemeinsame Vision aufbauen (Wohin müssen wir und warum ist dies wichtig?)
  • Ein Design-Team aufbauen (Hier ist meist das Management fehl am Platz, dort müssen kundennahe Personen, Querdenker und Macher vertreten sein)
  • Management Buy-In ermöglichen (Damit ein Design-Team effizient arbeiten kann, braucht es Rückenwind vom Management)
  • Interne sowie externe Change-Manager bestellen. (Es sollte jemand diese Bemühungen koordinieren und als Mittelsmann dienen. Am besten einen internen, der die internen Prozesse, Kulturen etc. kennt und einen externen, der noch nicht "assimiliert" wurde)
  • GEDULD – Es werden Projekte schief gehen, es werden Fehler gemacht werden und es ist ein längerer Prozess aus einer alten Struktur zu kommen. Rechnen sie von Anfang an mit Fehlschlägen und versuchen sie aus diesen zu lernen und Geduld zu haben.

 

Sonntagsfrage:
“Was fehlt der Buchbranche zur digitalen Transformation, Herr Talin?"


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Interview mit Alexander Grossmann zur Internationalisierung im Bereich Typesetting

Was halten Sie von Benjamin Talins Idee? Kann die Verlagsbranche etwas von Netflix lernen oder geht sein Vorschlag zu weit? Diskutieren Sie mit uns und schreiben einen Kommentar direkt unter diesen Artikel. 

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