Wie beurteilen Sie den Status quo der Digitalisierung der Verlagsbranche (DACH) im Vergleich zu anderen Branchen und welche Auswirkungen hat dieser Zustand?
Die Verlangsbranche steht leider in keinem guten Licht, weil nur die üblichen Themen angegangen werden: irgendwelche Social-Media-Kampagnen, ein paar Webseiten oder mal kleine Ansätze von Digitalisierung. Wenn man die Branche etwas tiefgehender beurteilt, dann hat sie sich in den letzten Jahrzehnten nie gewandelt. Die digitale Transformation - also alles was man neu denken und machen kann durch die Möglichkeiten von digitalen Technologien - ist hierbei komplett auf der Strecke geblieben. Man konzentriert sich auf "Wir wählen gute Autoren aus, lektorieren die Texte, drucken die Bücher und verkaufen diese". Übersehen wird, dass sich die Welt rund um Geschichten, Stories etc. stark verändert hat. Der Medienkonsum hat sich allgemein gewandelt. Heutzutage stehen die Geschichten im Mittelpunkt, die Leser/Zuseher/Zuhörer wollen gefesselt werden, sie wollen in diese Welt eintauchen und selbst möglichst ein Teil dieser Geschichte werden. So ist die Konzentration auf ein einzelnes Medium wie ein Buch etwas linear gedacht. Eine der Auswirkungen, die sich jetzt schon bemerkbar macht, ist, dass Autoren sich zunehmend weiter von den Büchern entfernen. Formate wie Netflix, Podcasts usw. sind zunehmend interessanter geworden, da die Hürden meist kleiner sind und sich inzwischen auch große Reichweiten erzielen lassen.
Wo sehen Sie die größten Potenziale im Bereich der Verlagsherstellung?
Natürlich spielen Optimierungen, Automation, soziale Kanäle oder auch digitale Vertriebsformen eine Rolle in der Verlagswelt. Dadurch können jetzt bereits größere Einsparungen vorgenommen werden. Je effizienter die Firma momentan arbeiten kann, desto mehr Freiraum und Kapital verschafft sie sich für Veränderung. Jedoch sehe ich das größte Potential in der Erstellung von - wie ich sie nenne - "Story Worlds". Denn eines sollte man unbedingt verstehen: Heutzutage ist das höchste Gut in der Medienwelt folgendes: Aufmerksamkeit. Die Verlage müssen verstehen, dass sie im Moment noch die Macht haben leicht zu überprüfen, welche Geschichten gut sind, welche gut ankommen und dann auch gut verwertet werden können. Wenn man es als sogenannte Supply Chain betrachtet, dann wäre die Verlagsbranche heute nur ein kleiner Teil dieser Kette. Man sollte sich aber als wichtiges Verdingungselement wesentlich weiter ausbauen. Man könnte Geschichten starten, Merchandise andenken, die Filmrechte dann ausarbeiten, Podcasts erstellen und somit den Kunden durch seine persönliche Welt begleiten. So ist eventuell das Buch nur ein Teilstück des Erlebnisses und Dinge wie eine Community, eine Plattform zum Austausch oder auch ein Film, Podcast, Video, Interview etc. So wird eine Welt aufgebaut, in der man Aufmerksamkeit von seinen Kunden bekommt. Dies ermöglicht ein leichteres Marketing, direkte Ansprache und mehrere Wertschöpfungskanäle.
Man könnte es so ähnlich wie Netflix mit seinen Serien machen.
- Zuerst gibt es eine Pilot-Serie. Diese ist nur wenige Folgen lang. Man sieht dadurch aber, wie stark sich das Zielpublikum dafür interessiert bzw. ob es überhaupt interessant ist. (Dies könnte das Buch sein)
- Es wird die Serie weiter ausgebaut: Man entwickelt zusätzliche Charaktere hinzu und gibt der Geschichte mehr Tiefe.
- Zusätzlich werden Merchandise-Kanäle aufgebaut, neue Partner gesucht, Geschichten gezielt platziert und man nutzt diesen Schwung für weitere Staffeln, mehr Angebote usw.
Diese 3 simplen Schritte wären auch in der Verlagsbranche denkbar. Nicht mehr das Buch allein in das Zentrum stellen, sondern die Geschichten. Mit diesen Geschichten können dann (gemeinsam) mehrere Geldquellen aufgebaut werden und somit ist man auch zukunftssicher aufgestellt. Dies merkt man auch in dem Film- und Musik-Industrie. Die eigentlichen Stücke (in dem Fall die Bücher) sind nur mehr nebensächlich wichtig. Das meiste wird mit den Geldströmen rundherum verdient. So ist das Buch in einigen Jahren eventuell nur noch das Medium für die Geschichte, um schlussendlich mehr aus der Geschichte machen zu können.