KI-Thesen von Hermann Eckel

Diese 9 tiefgreifenden Umwälzungen könnten den Buchmarkt erwarten

18. April 2024
Hermann Eckel

Vertriebs- und Vermarktungsplattformen könnten zum Beispiel von KI generiertem Content verstopft werden. Auch die traditionelle Vermittlungsrolle von Verlagen und Buchhandlungen muss radikal neu gedacht werden. Tauchen Sie mit der Börsenblatt-Kolumne von Hermann Eckel in die neue KI-Welt ein.

Beim Thema Innovation kommt man um das Stichwort „Künstliche Intelligenz“ (KI) bzw. „Artificial Intelligence“ (AI) nicht herum. Denn seit der selbst für Fachleute überraschenden Veröffentlichung von ChatGPT durch OpenAI im November 2022 werden laufend neue, immer beeindruckendere KI-Tools der staunenden Öffentlichkeit präsentiert.

Dabei wird das Potenzial solcher generativer KI-Tools bisher vor allem im Bereich der Prozessinnovation genutzt:

  • Titelideen und Gliederungen entwickeln
  • Layouts und Cover-Abbildungen erstellen
  • Korrekturen, Datei-Konvertierungen und Übersetzungen erledigen
  • Metadaten anreichern
  • Audiobooks produzieren
  • Marketing-Texte schreiben und auf diversen Social-Media-Kanälen posten

All das und vieles mehr lässt sich mithilfe von KI plötzlich hochautomatisiert und damit in einem Bruchteil der bislang benötigten Zeit erledigen – herrlich!

Klarna ersetzt 700 Kundenservice-Mitarbeiter:innen

Die Tragweite der KI-Revolution ist jedoch viel größer als „nur“ alle denkbaren Prozesse drastisch zu beschleunigen, auch wenn das an sich schon dramatische Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben dürfte. So wurde vor Kurzem öffentlich, dass beim FinTech-Unternehmen Klarna ein von OpenAI entwickelter Chatbot die Arbeit von 700 (!) Kundenservice-Mitarbeiter:innen übernommen hat – und das bei deutlich größerer Kundenzufriedenheit.

Innovation dritter Ordnung

Die eigentliche Sprengkraft generativer KI liegt darin, dass sie als Kerntechnologie vielfältigste innovative Entwicklungen ermöglicht, die die Gesetze ganzer Branchen aushebeln und völlig neue Spielregeln aufstellen können. Wenn ich in meinem vorherigen Kolumnenbeitrag zwischen Innovationen erster und zweiter Ordnung unterschieden habe, so stellt KI aufgrund dieser breiten Wirkmacht im Grunde eine Innovation dritter Ordnung dar – wie das Feuer, das Rad, die Dampfmaschine, Elektrizität oder Computertechnologie. 
 

Hier ein paar Thesen, welch tiefgreifenden Umwälzungen uns in diesem Sinne im Buchmarkt erwarten könnten – neben der Flut an Fake News und Deep Fakes:

KI wird zu einer solch exponentiellen Vervielfachung an Veröffentlichungen führen, dass vor allem die großen Vertriebs- und Vermarktungsplattformen (Amazon, Google, Instagram, TikTok usw.) Gefahr laufen, durch KI-generierten Content völlig verstopft zu werden. Damit wird es für Verlage schier unmöglich, in dieser Titelflut noch sichtbar zu werden, wenn es den Plattform-Betreibern nicht gelingt, rein KI-generierte Inhalte gezielt herauszufiltern.

These 1

KI wird somit zugleich das einzige Mittel sein, womit angestammte Verlage und Buchhandlungen im gigantischen Marktrauschen doch noch durchdringen – und sich nebenbei gegen KI-gesteuerte Betrügereien in nie gekanntem Ausmaß wehren können.

These 2

KI wird Autor:innen und Leser:innen so punktgenau zusammenbringen, dass die traditionelle Vermittlungsrolle von Verlagen und Buchhandlungen radikal neu gedacht werden muss, um weiterhin einen Mehrwert zu schaffen. Menschliche Beziehungen werden vor diesem Hintergrund noch viel wichtiger und damit alles, was diese Beziehungen fördert.

These 3

KI wird die Rollen von Autor:in und Leser:in miteinander verschmelzen: Es wird buchstäblich kinderleicht, mit ein paar Prompts eine Grundidee in eine komplette Story zu verwandeln, die man dann selbst liest oder im Freundeskreis verteilt. Oder man vermarktet sie dank KI sogar kommerziell. Selfpublishing für alle.

These 4

KI wird all diejenigen Expert:innen, die bislang noch den Aufwand einer eigenen Buchveröffentlichung gescheut haben, in die Lage versetzen, den Traum vom eigenen Buch endlich doch zu verwirklichen. Damit wird zwar die Titelflut noch weiter vergrößert (s.o.), aber zugleich ergeben sich daraus auch zusätzliche Vermarktungschancen für Buchhandlungen und Verlage.

These 5

KI wird das Lizenzgeschäft revolutionieren: Wozu noch Lizenzen verkaufen, wenn ich als Originalverlag meine Titel mithilfe von KI selbst perfekt in alle möglichen Sprachen übersetzen und dann noch in aller Damen Länder vermarkten kann?

These 6

KI wird die Produktion von Buchcovern, Illustrationen und ganzer Bilderbücher und Graphic Novels übernehmen. Denn KI-generierte Bilder sind bald nicht mehr von menschlich produziertem Bildmaterial zu unterscheiden.

These 7

KI wird damit ein großes Fragezeichen hinter ganze Berufsstände und Job-Profile setzen: Wird der Bedarf für Grafiker:innen, Lektor:innen oder Programmierer:innen genauso sinken, wie es für professionelle Fotograf:innen durch die Digitalisierung geschehen ist? Zugleich wird es neue Job-Profile geben, von denen wir jetzt noch gar keine Vorstellung haben.

These 8

KI wird Verlage – und Individuen – zu Film- und Online-Game-Produzenten machen. Denn dank Video-Generatoren wie OpenAIs „Sora“ wird aus dem Bestseller im Handumdrehen eine erfolgreiche Online-Serie.

These 9

Probieren Sie’s selbst aus

Die Formulierung „KI wird …“ ist natürlich Quatsch. Niemand kann die Zukunft vorhersagen, auch ich nicht. Und persönlich glaube ich auch nicht, dass alles genau so und in dieser Radikalität kommen wird. Machen Sie aber nicht den Fehler zu denken: „Na, dann können wir uns ja beruhigt zurücklehnen, so krass werden die Veränderungen schon nicht werden.“ Überlegen Sie lieber im Sinne einer Szenario-basierten Planung, welche Chancen und Risiken die weitere KI-Entwicklung für Ihr Unternehmen und Ihr Geschäftsmodell bereithalten könnte (!) und wie Sie sich dafür wappnen können.

Fragen Sie ruhig mal ChatGPT nach den Konsequenzen von KI-Entwicklungen für Ihr Unternehmen und lassen Sie sich verschiedene Zukunftsszenarien entwerfen. Ich habe das mal für Schulbuchverlage getan. Und was ich da unter den Stichworten „Personalisierte Lernmaterialien“, „Kollaborative Inhaltsentwicklung“, „Virtuelle Lehrassistenten“ und „Integration von Immersivtechnologien“ zu lesen bekam, hätte man in einem Design-Thinking-Workshop mit Fachleuten kaum besser herausarbeiten können. Probieren Sie’s selbst aus und nutzen Sie KI zuallererst für Ihre eigene Innovations- und Geschäftsmodellentwicklung!


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UNSER KOLUMNIST

Foto Herrmann Eckel

Nach dem Lehramtsstudium der Germanistik und Geschichte durchlief Hermann Eckel verschiedene Vertriebs­stationen beim Bärenreiter-Verlag und bei Oxford University Press und war von 2010 bis 2016 Managing Director beim Musikverlag Peters. Im Dezember 2017 übernahm er die Geschäfts­leitung bei tolino media und war dort v.a. für den Ausbau der Selfpublishing-Plattform verantwortlich. Seit November 2022 ist Hermann Eckel als selbständiger Berater, Trainer, Speaker, Moderator und Dozent tätig. Als Partner des Beraternetzwerks Heinold & Friends und als Inhaber seiner eigenen Firma connect2act begleitet er Unternehmen der Buch- und Druckbranche bei den vielfältigen Aspekten der digitalen, organisatorischen und kulturellen Transformation. Daneben engagiert er sich seit 2019 als Sprecher der IG Digital im Börsenverein.