Auffällig ist, dass in ihr die Reinheit der Weltanschauung, in diesem Fall des Feminismus, so sehr dominiert, dass Kassandra, die Titelheldin, bereit ist, für sie in den Tod zu gehen. Warum? Weil der Mann, den sie liebt und mit dem sich vielleicht sogar ein glückliches Leben führen ließe, ein Held werden könnte. Könnte! Eine ziemlich prinzipienfeste, also deutsche Lösung, die sehr wenig mit der Antike und sehr viel mit dem Kalten Krieg, dem deutsch-deutschen Verhältnissen und dem Leben in der DDR zu tun hat.
Man hat Denis Scheck immer wieder vorgeworfen, er würde Figur und Autorin in eins werfen, aber das Interessante ist: Christa Wolf hält die Idee der Rollenprosa für ein patriarchalisch-ästhetisches Konzept. Sie selbst ist es, die in den Vorlesungen zu „Kassandra“ die Verschmelzung von Figur und Autorin vollzieht – um eines weiblichen Schreibens willen.
Das war sehr spannend zu lesen und für mich der persönliche Ertrag der Diskussion.