„Schlemm“ ist ein ungewöhnliches Wort. Im Englischen ist es vertrauter, nämlich im Tennis. Dort wird von Grand-Slam-Turnieren gesprochen. Slam oder Schlemm meint Knall oder Schlag und im Bridge ein gewonnenes Spiel. Ein Protagonist im Roman spielt Bridge und überträgt den Begriff Schlemm auf sein Leben. Manche Buchhändler:innen dachten damals, es handle sich um ein Kochbuch, in etwa „Der große Schlemm für Schlemmer“. Im Vertrieb bei A1 war man sich deutlichere Titel gewöhnt, beispielsweise „Die weiße Massai“ und musste für Schlemm viel Aufklärungsarbeit leisten.
In „Schlemm“ wird Sterbehilfe, insbesondere der assistierte Suizid thematisiert. Vor zwanzig Jahren war es in Deutschland undenkbar, dass ein Ehepaar mit Hilfe von Ärzten gemeinsam stirbt. In der Schweiz ist es mit Hilfe der Organisation Exit geschehen. Meine Eltern hatten sich schon früh für diesen Weg entschieden. Darüber habe ich den Tatsachen-Roman „Schlemm“ geschrieben. Die Resonanz war groß. Es fanden Podiumsdiskussionen statt mit Ärzten, Geistlichen oder Hospizmitarbeitern. Und es gab den sogenannten „Sterbetourismus“ in die Schweiz. Lektor:innen hielten das Buch über die Jahre hinweg nicht nur das Thema betreffend wichtig, sondern auch literarisch gelungen. Sie fragten nach einer Fortsetzung. Ich hatte den Eindruck, Schlemm niemals übertreffen zu können.
Inzwischen hat sich die Sterbehilfe-Situation in Deutschland radikal verändert: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020, wodurch das frühere Verbot geschäftsmäßiger Beihilfe zum Suizid aufgehoben wurde, lässt die Mitgliederzahlen deutscher Organisationen und die Zahl durchgeführter Sterbebegleitungen in Deutschland sprunghaft ansteigen. Niemand muss noch in die Schweiz fahren. Zudem hatte ich eine Fortsetzung geschrieben mit dem Titel „Schalm“, das meint ein mit der Axt an einen Baum geschlagenes Zeichen. Schlemm und Schalm verstehen aber die wenigsten Leser:innen. Deshalb haben wir uns bei Nagel & Kimche für einen anderen Titel entschieden, der schon damals bei A1 ein Favorit war: „Der größtmögliche Beweis für Liebe“. Das schreibt ein befreundetes Ehepaar in einem Kondolenzbrief an die Hinterbliebenen. Ich hoffe, dass das niemand mehr mit einem Kochbuch verwechselt. Das Thema Sterbehilfe ist aktueller denn je und einen lesenswerteren Roman werde ich nie schreiben.