Die Sonntagsfrage

Warum der arabische Buchmarkt interessant für deutsche Verlage ist

29. Mai 2022
Jo Lendle

Auf der Abu Dhabi International Book Fair, die heute zu Ende geht, ist Deutschland Ehrengast, 36 deutsche Verlage waren an einem 400 Quadratmeter großen Gemeinschaftsstand dabei. Warum sich das gelohnt hat, erklärt Hanser-Verleger Jo Lendle in der Sonntagsfrage. 

Wer (wie ich) zum ersten Mal die Buchmesse Abu Dhabi besucht, ist überwältigt vom Eindruck, ein potemkinsches Dorf zu betreten. Was in den weiten, tiefgekühlten Hallen an Fachbesuchern fehlt, an internationalem Publikum und summendem Lizenzgeschäft, das machen die Grundschulkinder wett, die in langen Reihen durch die Gänge ziehen und an fast vergessene Leipziger Buchmessen erinnern.

Gleich am Eingang öffnet sich der eindrucksvolle deutsche Gastlandauftritt mit einem schönen Stand, der sogar zu Gimmicks einlädt: Tischkicker und Paillettentürme dürften Buchmessenpremieren sein. Vor dem ersten Podiumsgespräch kommt der „Minister für Toleranz“ zum Händeschütteln. Das erfreulich aufklärerische Motto der Messe lautet „Reading is Seeing“ – ein legendärer Satz des blinden Denkers Taha Hussein, dem eine eigene Ausstellung gewidmet ist. Von ihm ließe sich lernen, was Toleranz bedeutet.

"Bereichert, verwirrt, beflügelt"

Was an großer weiter Welt fehlt, wird aufgewogen durch die arabischsprachigen Kolleginnen und Kollegen. Alyazia Khalifa berichtet mit Begeisterung von ihrem Kinderbuchverlag AlFulk. Mazen Okasha von den Red Sea Bookshops vermittelt seit Jahren zwischen Deutschland und der arabischen Welt. Sherif Bakr läuft im Superman-T-Shirt über die Messe – sein Verlagsprogramm gibt ihm alles Recht dazu.

Allgemeiner Tenor: Seit Beginn der Pandemie wird mehr gelesen, dafür belasten auch hier die Sorgen vor Papierpreissteigerungen. Und die Zensur zieht weiter an – neben Alkohol, Sex und Schweinen findet sie immer neue Themen, etwa in der Genderpolitik. Die Verlage nehmen es mit Humor. Lachend erinnert sich ein Kollege an einen aufgeregten Anruf: Im Lizenzmanuskript sei von „Pigs“ die Rede. Zum Glück erwiesen sich die Tiere bei genauerem Hinsehen als „Guinea Pigs“. Meerschweinchen werden toleriert.

Beim Warten auf Khalid Al Maaly vom Al-Kamel Verlag praktiziere ich meine schütteren Arabischgrundlagen (ein Lockdown-Kollateralnutzen) und entziffere die Namen auf seinen Büchern. Band für Band öffnet sich die Welt: Ganz vorn auf dem Tresen liegen gleich sechs Titel von A-g-u-t-a K-r-i-s-t-u-f, daneben erhebt sich ein mannshoher Stapel M-a-r-s-i-l P-r-u-s-t. Arabische Messen dienen in Ermangelung eines umfassenden Buchhandelsnetzes ganz wesentlich dem Verkauf, da gibt es Bücher im Überfluss. Friedrich Nietzsches Werk steht fast vollständig am Stand, zuletzt hat Khalid noch Mithu Sanyal ins Programm aufgenommen. Sorge vor der Zensur hat er nicht – auch wenn inzwischen selbst Klassiker der arabischen Literatur und Philosophie strenger beurteilt werden. Fürchtet man die Toleranz der Überlieferung?

Bereichert, verwirrt, beflügelt trete ich die Heimreise an. Und bemerke in der Rückschau, wie auf einmal sogar das Kulissenhafte der Buchmesse ganz passend erscheint: Ist nicht das allergrößte, allerherrlichste potemkinsche Dorf die Literatur?

Deutscher Auftritt

Der deutsche Auftritt auf der ADIBF (23.-29.5.) wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz in Zusammenarbeit mit dem Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V. (AUMA) und der Leipziger Messe International (LMI) organisiert und von der Frankfurter Buchmesse unterstützt. Das Kulturprogramm wurde vom Auswärtigen Amt gefördert und gemeinsam von der Frankfurter Buchmesse, dem Goethe-Institut in der Golfregion und der Deutschen Botschaft in Abu Dhabi umgesetzt.