Die Sonntagsfrage

Wann ist eine Buchhandlung barrierefrei, Frau Lübbers?   

16. April 2023
Redaktion Börsenblatt

Die im März in Delbrück eröffnete Buchhandlung Magic Books von Sarah Lübbers ist konsequent barrierefrei eingerichtet, ausnahmslos jede und jeder soll sich in ihrem Laden wohlfühlen und zurechtfinden. Was schon jetzt zu ihrem inklusiven Konzept gehört, welche weiteren Maßnahmen geplant sind und warum die studierte Buchwissenschaftlerin sich für den Schwerpunkt Fantasie/Romance/Manga entschieden hat, erklärt sie in der Sonntagsfrage.

Sarah Lübbers

Warum haben Sie sich für eine inklusive Buchhandlung entschieden?

Barrierefreiheit war schon immer ein Thema in meiner Familie und auch für mich persönlich. Ich habe selbst eine erblich bedingte Augenerkrankung und weiß daher, was es bedeutet, auf Barrierefreiheit angewiesen zu sein. Deshalb wollte ich diesen Aspekt von Anfang an in meinem Berufsleben umsetzen.

Den Traum einer eigenen Buchhandlung hatte ich schon als Kind. Und während meines Studiums der Buchwissenschaft in Mainz habe ich angefangen, ein Konzept für meine Buchhandlung zu erstellen. Die Planung wurde immer konkreter und das inklusive Konzept entwickelte sich stetig weiter, sodass ich heute stolze Inhaberin einer Buchhandlung sein kann, in der ich mich sehr wohl fühle. Und meine Kundinnen und Kunden hoffentlich auch.

Was zeichnet eine barrierefreie Buchhandlung aus?

Die meisten denken, Barrierefreiheit bedeute einen ebenerdigen Eingang, ein Fahrstuhl bei mehreren Etagen und eventuell noch breitere Gänge.

Doch Barrierefreiheit bedeutet sehr viel mehr. Barrierefreiheit bedeutet Selbstständigkeit für alle Menschen: für Personen im Rollstuhl ebenso wie für kleinere Personen, für seh- und höreingeschränkte Menschen und auch für kognitiv eingeschränkte Personen. All diese Personengruppen müssen bei einem inklusiven Konzept bedacht werden.

Gehen wir also mal in Gedanken durch eine Buchhandlung: Beim Eingang ist es schon wichtig, dass er ebenerdig ist, sodass man mit Rollstühlen oder auch Kinderwagen ohne Probleme in den Laden kommen kann. Auch die Tür ist wichtig. Wenn die Tür geschlossen ist, sollte sie für alle einfach zu öffnen sein. Am besten wäre natürlich eine automatische Tür, was jedoch nicht bei jeder Tür machbar ist und auch ein Kostenfaktor ist, falls sie nachträglich eingebaut werden muss. Eine einfachere Alternative wäre eine Möglichkeit, dass sich der Kunde oder die Kundin vor der Tür bemerkbar machen kann. In meiner Buchhandlung habe ich beispielsweise eine Funkklingel installiert. Wenn die Tür im Weg ist, kann einfach geklingelt werden und ich mache die Tür dann auf.

Gehen wir gedanklich weiter. Die Gänge sollten breit genug sein, damit sich eine Person mit Rollstuhl oder einem Kinderwagen oder Rollator bequem bewegen kann und die Person keine Angst haben muss, anzustoßen.

Die Bücherregale sollten so aufgebaut sein, dass jeder, auch Rollstuhlfahrer oder -fahrerinnen und Kinder, immer selbstständig an jedes Buch gelangen kann und die Abteilungen klar erkennbar sind.

Die Genres kennzeichnet man idealerweise neben den Begriffen auch mit Piktogrammen.

Die letzte Station in der Buchhandlung ist die Kasse. Diese sollte tiefergelegt und unterfahrbar sein, damit sie von allen gut eingesehen werden kann.

Ich weiß, wenn man die Anforderungen so hört (oder liest), klingt das nach viel, aber es müssen nicht gleich alle Punkte umgesetzt werden. Auch kleine inklusive Anpassungen können meistens schon sehr hilfreich sein.

Ihre Buchhandlung hat eine "induktive Hörschleife". Was ist das?

Ja, meine Buchhandlung wurde während der Renovierungsarbeiten auch mit einer induktiven Hörschleife ausgestattet. Mit dieser können Personen, die ein Hörgerät tragen, Gespräche besser verstehen. Die sprechende Person trägt hierfür ein Mikrofon und die Hörschleife filtert die Umgebungsgeräusche raus und überträgt das Gesagte direkt an das Hörgerät. Jedoch funktioniert die Schleife hauptsächlich bei moderneren Hörgeräten. Für ältere Hörgeräte stelle ich einen Kopfhörer zur Verfügung, mit dem die betroffene Person dann ebenfalls alle Vorteile der Hörschleife nutzen kann.

Für die induktive Hörschleife wurde ein Kabel in der Decke des Raumes verlegt und mit einer Box verbunden, die die Geräusche filtert und wieder abgibt.

Im Grunde genommen ist das System ganz einfach. Es hört sich nur kompliziert an.

Zum Konzept gehören – wegen der Erreichbarkeit – auch halbhohe Regale. Schmälert das nicht das Angebot zu sehr?

Natürlich. Mit halbhohen Regalen kann ich nicht die gleiche umfangreiche Auswahl an Büchern anbieten, wie eine „normale“ Buchhandlung. Aber meiner Erfahrung nach fühlen sich viele Kundinnen und Kunden von der riesigen Menge an Büchern erschlagen und wissen trotz der Auswahl nicht, was sie kaufen sollen.

Durch die halbhohen Regale in meiner Buchhandlung ist die Atmosphäre offen, übersichtlich und einladend. Und falls trotz der Auswahl an Büchern mal nicht das Richtige vor Ort sein sollte, besteht auch bei mir die Möglichkeit, in der Regel jeden Kundenwunsch zum nächsten Werktag zu bestellen.

Was hat es mit dem Vorlesegerät auf sich, dass noch in Planung ist?

Das Vorlesegerät soll ein weiteres inklusives Angebot in meiner Buchhandlung werden. Mit dem Gerät können sich Kundinnen und Kunden, die beispielsweise Probleme mit den Augen haben, einzelne Seiten aus Büchern vorlesen lassen.

Die meistgestellte Frage, die an dieser Stelle kommt, ist: Was ist der Unterschied zu Hörbüchern?

Hörbücher muss man genauso kaufen, wie gedruckte Bücher. Aber was ist, wenn jemand ein gedrucktes Buch für eine andere Person kaufen möchte? Beispielweise Großeltern für ihre Enkel? Die Beratung ist natürlich der erste wichtige Schritt, aber darüber hinaus besteht mit dem Vorlesegerät die Möglichkeit, auch nochmal selbst ins Buch reinzuschauen. Wie ist der Erzählstil? Lässt es sich leicht oder schwer lesen? Jeder hat da ein individuelles Empfinden.

Das Vorlesegerät ist ein kleines transportables Gerät, das man sich auf die Beine stellen kann, mit einer Kamera, die den Text erfasst und über Kopfhörer wiedergibt.

So kann sich wirklich jede Person auch mit gedruckten Büchern beschäftigen.

Wie haben Sie die Finanzierung gestemmt?

Die Finanzierung war das kniffligste von allem in der Vorbereitung. Ich hatte zuerst überlegt, die Gründung über Förderungen zu finanzieren. Jedoch war es schwer eine passende Förderung zu finden, die genügend Kapital zur Verfügung stellt oder bei welcher die Bürokratie kein großes Hindernis ist.

Letztendlich habe ich mich dann doch für einen Kredit entschieden und es hat viel Geduld erfordert, eine Bank zu finden, für die das Risiko einer Neugründung nicht zu groß war.

Jetzt habe ich eine Bank, und auch einen Bankberater, gefunden, die mir mit Rat und Tat zur Seite stehen und ich bin auch sehr froh darüber.

Und die Eckdaten: Wie groß ist Ihre Buchhandlung (Verkaufsfläche)? Wie viele Mitarbeiter:innen haben Sie? Welche Umsatzerwartung?

Meine Buchhandlung hat eine Verkaufsfläche von etwa 118 qm. 

Zurzeit bin ich noch allein im Laden, bis ich eine Routine entwickelt und genügend Gewinn erwirtschaftet habe, um weitere Buchhändler:innen anzustellen. In zwei bis drei Monaten werde ich vermutlich nach Unterstützung auf Nebenjobbasis suchen.

Natürlich muss sich die Buchhandlung erstmal etablieren, aber ich plane am Ende mit einem Umsatz von 300.000 Euro im Jahr.

Ihr Schwerpunkt liegt auf Fantasie/Romance/Manga. Haben Sie in dem Bereich Kenntnisse? Gibt es dafür Nachfrage in Delbrück?

Fantasy ist persönlich mein favorisiertes Genre. Seit etwa 10 Jahren lese ich überwiegend Fantasy-Romane, aber natürlich auch Bücher aus den anderen Genres.

Romance und Manga sind besondere Phänomene. Manga sind nicht unbedingt mein Spezialgebiet, aber ich habe gemerkt, dass bei Manga eher wenig Beratung gefordert wird. Die Kundinnen und Kunden, die Manga lesen, wissen oft schon im Vorfeld genau, was sie haben wollen. Und genauso verhält es sich auch bei der Romance-Abteilung.

Die Nachfrage nach diesen Büchern ist wie erwartet groß. Kurz nach der Eröffnung, als die jungen Mädels gesehen haben, dass ich Romance-Bücher anbiete, kamen sie begeistert in den Laden und meinten es sei ein Traum. Zwei Mädels kamen sogar am nächsten Tag mit ihrem Vater wieder, um Bücher zu kaufen. Und eine Kundin freute sich darüber, für die Bücher nicht mehr bis in die nächste Stadt fahren zu müssen.

Ich bin überzeugt, ich habe mit meinem Schwerpunkt einen Nerv getroffen und freue mich die Kundinnen und Kunden in den nächsten Monaten kennenzulernen.

Ist Delbrück ein gutes Buchhandlungspflaster?

Das wird sich jetzt herausstellen, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass es gut werden wird. Es gibt bereits zwei Buchhandlungen in Delbrück, von der Laufkundschaft her kommen wir uns aber nicht in die Quere.

Ich möchte auch viel mit Schulen und Kitas in der Umgebung zusammenarbeiten, da ich gerade der jüngeren Generation das Lesen wieder näherbringen möchte. Kontakte habe ich bereits geknüpft, damit die Kooperationen sobald wie möglich beginnen können.

Wie ist die Resonanz auf Ihre Buchhandlung?

Bisher ist die Resonanz durchweg positiv. Die meisten, die meine Buchhandlung besucht haben, finden den Laden sehr schön und waren positiv überrascht, was für eine Wirkung es hat, wenn der Laden nicht mit Tischen vollgestellt ist. Auch Personen mit Rollstuhl haben sich die Buchhandlung bereits angeschaut und waren sehr erfreut über das inklusive Konzept.

Tatsächlich habe ich schon einige Stammkundinnen und -kunden gewonnen (die nicht aus familiärem oder freundschaftlichem Umfeld stammen).

Ich freue mich auch darauf, weiterhin neue Kundinnen und Kunden mit meiner Buchhandlung zu begeistern und in die magische Welt der Bücher zu führen.