Die Sonntagsfrage

"Ist es nicht klimaschädlich für 2021 einen Klimakalender zu verlegen, Frau Raabe?“

29. November 2020
Redaktion Börsenblatt

Elisabeth Raabe verlegt in ihrer Hamburger edition momente einen Klimakalender für 2021. Ist das kontraproduktiv oder ein Beitrag zur Rettung unseres blauen Planeten? Die Entstehungs- und Produktionsgeschichte, die sich teilweise wie ein Krimi liest, erzählt die Verlegerin in der Sonntagsfrage. 

Würden wir diese Frage konsequent zu Ende denken, dürften weder Kalender noch Bücher noch Zeitungen, kurz alles, was gedruckt wird, verlegt werden. Denn: Durch jedes Druckerzeugnis werden je nach Papierqualität und -menge, Farbmenge, zeitlichem Aufwand des Drucks und Transportwegen kleinere oder größere Emissionsmengen an CO2, also Treibhausgasen, freigesetzt. Und würden wir noch weiter zu denken wagen, dass das Abschmelzen der Polkappen nicht mehr gestoppt und durch den steigenden Meeresspiegel zum Beispiel Hamburg unter Wasser stehen würde – wie schon jetzt auf manchen Inseln der Marshall Islands in Mikronesien –, gäbe es einen Lockdown schlimmer als der jetzige, gäbe es weder ein Blatt Papier noch ein Buch und schon gar nicht einen Klima Kalender, der nur noch ein lächerliches Relikt aus ferner Vergangenheit wäre – ein Horrorszenario für uns Lesende und Schreibende, Verlegerinnen und Verleger.

Die Schönheit und Gefährdung unseres blauen Planeten

Die Idee zu einem Klima Kalender wurde mir von Manfred Hielscher am ersten Tag der Frankfurter Buchmesse 2019 sozusagen auf eines jener Tischchen vor dem inzwischen geschlossenen Hessischen Hof gelegt. Sie zündete allerdings erst, als ich auf der Rückreise die verheerenden Folgen des Hitzesommers an den vorbeiziehenden Wäldern so drastisch wie nie zuvor wahrnahm. In Hamburg gingen wir an die Arbeit: Ich gewann Hermann Vinke, Bremen, der schon während seiner Korrespondentenzeit in Japan über die Klimaschäden im Pazifik berichtet und in einem unserer ersten Arche-Programme ein Buch darüber herausgebracht hatte (Wir sind wie die Fische im Meer. Mikronesien – Verseucht, verplant, verdorben. 1984), als Herausgeber, seine Tochter Kira Vinke, Klimaforscherin am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, als wissenschaftliche Begleiterin, dazu unser bewährtes Team mit Max Bartholl, Frankfurt am Main, als Gestalter, Annelies Kroke als Reprografin und Birgit Schärfe, unserer Sachbearbeiterin in der Druckerei Ernst Kabel, beide in Hamburg, und auch unsere Vertreterinnen und Vertreter konnten wir auf der Konferenz von der Bedeutung des Kalenders überzeugen, ja begeistern und einigten uns auf diesen Titel: Der Klima Kalender 2021. Unser blauer Planet – Schönheit und Gefahren. Der geplante Erscheinungstermin Ende Juni und einige der Marketingmaßnahmen fielen allerdings der Corona-Krise zum Opfer.

Auf einem ersten gemeinsamen Treffen (es blieb durch die späteren coronabedingten Einschränkungen das einzige!) bei uns im Verlag in Hamburg wurde das inhaltliche Konzept des Kalenders festgelegt: erläuternde Texte und vierfarbige Fotos über die Schönheit und Gefährdung unseres blauen Planeten an globalen Beispielen. Zitate von KlimaforscherInnen über die Ursachen des Klimawandels (Entfremdung von der Natur, grenzenloses Wachstum, Ausbeutung aller Ressourcen). Infoblocks mit Hinweisen auf Webseiten zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema des Kalenderblatts. Im Anhang eine Auswahl an Initiativen und Forschungsvorhaben für innovative Lösungen zur Bewältigung des Klimawandels. 

Erst als die Buchhändlerinnen und Buchhändler in bewundernswerter und aufopfernder Weise dafür sorgten, dass der Buchmarkt nicht zum Erliegen kam, gaben wir grünes Licht für die Fortsetzung. 

Klimaneutrales Papier und Biofolientüte

Von Beginn an war das erklärte Ziel, ein klimaneutrales Produkt herzustellen. So wurden bei Kabel mehrere vorab von Max Bartholl entworfene Kalenderblätter auf verschiedenen klimaneutralen Papieren bei Kabel angedruckt. Wir entschieden uns für ein FSC®-zertifiziertes und mit dem Blauen Umweltengel und EU Ecolabel ausgezeichnetes Papier, das CircleOffset Premium White 160 g/m2 von Igepa, auf dem die Fotos hervorragend stehen. Für die Verpackung schlug Birgit Schärfe nach ausführlichen Recherchen statt der bisherigen PE-Folie eine Biofolientüte aus nachwachsenden Rohstoffen vor. Das Format wurde dem bisherigen unserer Literatur- und Musik Kalender angeglichen.

Zurück in Bremen begann Hermann Vinke zu schreiben, Max Bartholl suchte in Frankfurt Bilder und gestaltete die ersten Seiten – da kam Corona. Der Klimawandel als Thema verschwand von einem Tag auf den anderen aus den Medien, obwohl Klimawandel und Pandemie Synonyme für die Bedrohung der Menschheit sind und ein und dieselbe Ursache haben.

Papier und Biofolien waren bestellt, dennoch stoppten wir das Projekt, da nicht absehbar war, wie sich die Situation auf dem Buchmarkt entwickeln würde. Erst als die Buchhändlerinnen und Buchhändler in bewundernswerter und aufopfernder Weise dafür sorgten, dass der Buchmarkt nicht zum Erliegen kam, gaben wir grünes Licht für die Fortsetzung: Sämtliche Arbeiten wurden digital abgewickelt wie Auswahl und Redaktion der Texte zwischen Bremen, Berlin und Hamburg ebenso die Auswahl der Fotos sowie deren definitive Reihenfolge zwischen Frankfurt und Norddeutschland. Max Bartholl gibt mit seiner eindrucksvollen ästhetischen Bildsprache Raum zum Nachdenken, ohne Katastrophenstimmung, sondern die Chancen auf ein Umdenken auslotend und für ein mutiges Handeln einer, eines jeden Einzelnen. Die geplante gemeinsame Sitzung fand nicht statt, also kein CO2-Verbrauch durch Reisen.

Auch die übliche Farbabnahme durch Max Bartholl und uns an der Druckmaschine bei Ernst Kabel entfiel, was wir bedauerten, aber durch das große Engagement von Birgit Schärfe wie den Druckern ausgeglichen wurde. Die letzte Schicht am Abend fuhr sogar Thomas Haase, der Druckereileiter, selbst, den wir als hervorragenden Drucker unserer früheren Kalender kannten. Alle hatten sich das Produkt zu eigen gemacht. Die Treibhausgasemission in Höhe von 8 575 kg CO2 (inkl. kurzem Transportweg) wurde mit dem von ClimatePartner vorgeschlagenen Klimaschutzprojekt für sauberes Trinkwasser in Odisha, Indien, kompensiert. Der Preis wurde von ClimatePartner aufgrund der technischen Angaben von Kabel errechnet.

Anfang Oktober konnten wir – wenn auch verspätet, dennoch zufrieden – den Klima Kalender 2021 zusammen mit einem zusätzlichen Gratisexemplar für die Kundinnen und Kunden zum Durchblättern ausliefern. Die ersten Reaktionen beweisen uns, dass es richtig war und wichtig ist, diesen Kalender zu verlegen: »Jede Woche neu nachdenken: das schafft der Klima Kalender«, schrieb Professor Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Ehrenpräsident des Club of Rome, an den Herausgeber Hermann Vinke. »Ich wünsche mir Tausende nachdenkender Menschen und Millionen, die so handeln, dass unsere zauberhafte Erde erhalten bleibt.«