Die Sonntagsfrage

Warum benennen Sie die Buchhandlung Kortes nach 102 Jahren um?

16. Juli 2023
Redaktion Börsenblatt

Im Oktober 2022 haben Pascal Mathéus und Florian Wernicke die Hamburger Buchhandlung Kortes übernommen – zwei Jahre später soll sie nun Wassermann heißen, nach dem Gründer der Buchhandlung. „Die älteste Buchhandlung in Hamburg bricht mit ihrer NS-Geschichte“, sagen die Inhaber. In der Sonntagsfrage erklären sie die Hintergründe. 

Pascal Mathéus (li.) und Florian Wernicke

Pascal Mathéus (li.) und Florian Wernicke 

Warum haben Sie überhaupt angefangen, die Geschichte des Hauses zu recherchieren?

Es nicht zu tun, käme uns abwegig vor. Wir haben ja nicht nur Bestände, Kunden und Mobiliar übernommen, sondern ein traditionsreiches Geschäft mit einer langen Geschichte. Damit die Buchhandlung zu unserer eigenen wurde, mussten wir uns auch mit ihrer Geschichte auseinandersetzen. Ein von Alfred Kortes hinterlassener Ordner mit Korrespondenz und Werbemitteln sowie ein wenig Instinkt gaben den Rest.

Was war die wichtigste Entdeckung?

Die weitreichende Verstrickung von Alfred Kortes und seiner Buchhandlung in die örtlichen nationalsozialistischen Machtstrukturen.

Kortes war von Mai 1933 bis 1945 Mitglied in der NSDAP, kurzzeitig auch Mitglied der SA.

Was haben Sie über den Namensgeber Alfred Kortes herausgefunden?

Kortes war von Mai 1933 bis 1945 Mitglied in der NSDAP, kurzzeitig auch Mitglied der SA. In Templin in Brandenburg, wo die Buchhandlung bis 1945 beheimatet war, verlegte er die Templiner Kreiszeitung, ein seit 1933 gleichgeschaltetes Medium, das NS-Propaganda verbreitete. Als Funktionär auf der Ebene des Landkreises arbeitete er direkt mit den lokalen Nazi-Anführern zusammen. Seine Buchhandlung hatte seit spätestens 1934 eine eigene Abteilung NS-Literatur, die er regelmäßig in seiner Zeitung bewarb. Zudem war die Buchhandlung Ausgabestelle für Karten zu Veranstaltungen der NSDAP und der SS.

Die Buchhandlung existiert bereits seit 1848 und nicht seit 1921, wie bisher angenommen.

Warum greifen Sie auf den ursprünglichen Namen Wassermann zurück, statt einen ganz neuen Namen zu wählen?

Wir haben zwei Entdeckungen gemacht: Erstens die Nazi-Vergangenheit des Geschäftes, aber zweites die sehr viel länger in die Vergangenheit zurückreichende Geschichte des Hauses. Die Buchhandlung existiert bereits seit 1848 und nicht seit 1921, wie bisher angenommen. Von 1848 bis 1889 wurde sie von der Familie Wassermann geführt. 1848 steht für eine Tradition von aufbrechender Demokratie und einer sich überhaupt erst konstituierenden Öffentlichkeit. Dieses Erbe nehmen wir gerne auf, das braune lehnen wir entschieden ab.

Kortes ist eine Marke in Hamburg – keine Angst vor Umsatzverlusten?

Blankenese ist ein Dorf. Unsere Stammkunden bekommen die Geschichte also alle unmittelbar mit und erkennen die Kontinuität des Geschäfts. Unsere Beweggründe für die Umbenennung können sie gut nachvollziehen und heißen sie gut. Kunden von außerhalb oder Kunden, die das erste Mal bei uns zu Besuch sind, werden demnächst von dem Schriftzug „Buchhandlung Wassermann. Seit 1848“ über dem Eingang begrüßt werden. Das ist ja auch nicht schlecht. 

Die Blankeneser und Blankeneserinnen sind sehr interessiert an der Geschichte ihres Stadtteils und lassen sich von historisch einschlägigen Argumenten überzeugen.

Gibt es schon Resonanz auf die Umbenennung?

98 Prozent der bisherigen Rückmeldungen waren positiv, mitunter sogar begeistert. Besonders treue und nette Kunden haben uns schon Blumen und Wein vorbeigebracht, um uns zu beglückwünschen. Die Blankeneser und Blankeneserinnen sind sehr interessiert an der Geschichte ihres Stadtteils und lassen sich von historisch einschlägigen Argumenten überzeugen. Außerdem passt der Name hervorragend an die Elbe, wie auch schon einige Kunden treffend bemerkt haben.

Fragen: Sabine van Endert