Sonntagsfrage am 16. August 2020

„Muss man sich der Macht der Cancel Culture beugen, Herr Moritz?“

16. August 2020
Redaktion Börsenblatt

Die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart wurde vom Hamburger Lesefest Harbour Front ausgeladen – aus Sorge vor Protesten. Am 3. September liest Eckhart im Hamburger Literaturhaus. Wie geht es dem Literaturhaus-Chef Rainer Moritz damit?

"Wir freuen uns"

Wir freuen uns auf Lisa Eckharts Auftritt. Sie kommt zu uns, um ihren Debütroman „Omama“ vorzustellen. Dazu eingeladen wurde sie vor etlichen Monaten, lange bevor das unwürdige Spektakel um ihre Lesung beim Harbour Front Literaturfestival begann.

Was ist geschehen?

Mit dem schwammigen Begriff „Cancel Culture“ fange ich in diesem Zusammenhang wenig an. Was ist geschehen? Ein Veranstalter reagierte darauf, dass der für Eckharts Lesung vorgesehene Veranstaltungsort verlauten ließ, für die Sicherheit des Abends nicht garantieren zu können. Ob mit stichhaltigen oder fadenscheinigen Gründen, ist unklar. Der Veranstalter sah sich außerstande, die Lokalität zu wechseln, und kam auf die merkwürdige Idee, der Autorin einen Verzicht nahezulegen. Als diese das verständlicherweise ablehnte, sah sich der Veranstalter plötzlich imstande, die Lokalität zu wechseln, und kam auf die merkwürdige Idee, die Autorin digital zuzuschalten – was diese verständlicherweise ablehnte. So wird Eckhart bei diesem Festival nun nicht zu sehen sein.

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Vorhersehbare Reaktionen

Die Reaktionen waren wie bei allen Debatten dieser Art vorhersehbar. Die einen sahen den „Mob der Straße“ reagieren, der ihm unliebsame Kulturveranstaltungen verhindern wolle – eine Einschätzung, die durch die Faktenlage kaum gerechtfertigt ist. Die anderen, die wie fast alle von Eckharts Roman keine Zeile kennen, sahen es als gerechtfertigt an, ihre Auftritte als Kabarettistin mit den üblichen Vorwürfen des Rassismus zu belegen und deren Kunstform zu ignorieren.

Verzerrte Optik

Musterbeispiel dafür ist die „Spiegel“-Kolumnistin Margarete Stokowski, der Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Meinung ohnehin fremd sind. Diese dreht kurzerhand den Spieß um und schreibt: „Wer Personen für rassistische oder antisemitische Äußerungen zu kritisieren wagt, wird als Teil eines militanten Mobs gebrandmarkt.“ In dieser verzerrten Optik weiß Stokowski dann zu berichten, dass Eckharts Bühnenprogramm „antisemitische, homo- und transfeindliche, rassistische Witze“ enthalte und die Kritik an ihr – natürlich – „berechtigt“ sei.

"Mir geht es sehr gut damit"

Es ist mir egal, ob jemand aus der rechten oder aus der linken Ecke versucht, Künstlerinnen und Künstler aufgrund ihrer (vermeintlichen) Meinungen zu diskreditieren oder, wie Stokowski es tut, mit schnell hingeworfenen Halbsätzen zu denunzieren. Kunst braucht den freien, kontroversen Austausch – und nicht die Selbstgewissheit derer, die schon vor jedem Gespräch wissen, was richtig und falsch ist. Insofern geht es mir sehr gut damit, dass Lisa Eckhart Anfang September bei uns auftreten wird. Es wird dann allerdings nicht vorrangig um „Cancel Culture“ gehen, sondern ganz altmodisch um ihren Roman. Und ja, auch für Margarete Stokowski wäre die Bühne des Hamburger Literaturhauses offen. Wie für Uwe Tellkamp. Vorausgesetzt, dass deren Bücher etwas taugen.

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