Zum 65. Geburtstag von Margit Ketterle

"Sie hat das Entdecker-Gen"

7. März 2023
Redaktion Börsenblatt

Margit Ketterle, lange Verlagsleiterin fürs Sachbuch bei Droemer Knaur, hat ein feines Gespür für gesellschaftlich relevante Themen. Buchhändlerin Rachel Salamander gratuliert zum 65. Geburtstag am 7. März – mit einem Rückblick in Büchern.

Margit Ketterle: Heute ist sie Editor-at-large für das gesamte Droemer Knaur Sachbuch – und  Sprecherin der IG Meinungsfreiheit im Börsenverein. Am 7. März feiert sie ihren 65. Geburtstag.

War ein Buch spruchreif, kam sie auf ihre unaufdringliche Art auf einen zu. Nicht im Marketingstil, sondern voll inhaltlich. Natürlich wollte auch sie das von ihr verlegte Buch gut vermarkten, ins Gespräch bringen, aber zuallererst verkaufte sie Qualität. Wenn Margit Ketterle eine Zusammenarbeit anregte, musste man aufhorchen. Als Verlagsleiterin im Sachbuch brachte sie eine besonders signifikante Spürnase für gesellschaftliche und (bildungs-)politisch relevante Themen mit. Heute würde man sagen: Sie hat schon immer nachhaltig gearbeitet. Vieles von dem, was sie vor langer Zeit für wichtig erachtete, ist auch heute, im schnelllebigen Tagesgeschäft, nach wie vor von größter Bedeutung.

Bereits im Frühjahr 2004 verlegte sie als Verantwortliche im Propyläen Verlag den bis heute nicht übertroffenen Bildband des englischen Historikers Martin Gilbert, der Auskunft über die Entstehung und den Verlauf des Holocaust gibt. Hinter dem hervorragend gestalteten, aber leider vergriffenen Buch steht die Frage, wie das Menschheitsverbrechen Holocaust Jugendlichen begreifbar gemacht werden kann. Eine Frage, die uns heute mit Abstand zum Geschehen mehr denn je beschäftigt, in einer Zeit, in der erlebte in entpersönlichte Geschichte übergeht. 

Aus diesem Buch haben Margit Ketterle und ich eine Wanderausstellung konzipiert, die durch Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung und Schulreferat in über 30 bayerischen Schulen gezeigt werden konnte. Die Schüler erweiterten sie jeweils mit eigenen Beiträgen. Ein abschließendes Podium mit Ruth Klüger, der Autorin von »Weiterleben«, dem Jugendbuchautor Hermann Vinke, dem Kulturwissenschaftler Harald Welzer, den Schülern und vielen mehr, versuchte damals schon zu klären, wie historisches Wissen an den Schulen vermittelt werden kann – besonders dann, wenn Internet und Computergames die Erfahrungswelten Jugendlicher prägen. Überflüssig zu sagen: Mit einer Antwort tun wir uns heute schwerer denn je.

Eine wie Margit Ketterle brauchen wir mehr denn je.

Rachel Salamander

Rachel Salamander

Plädoyer für Zivilcourage

2003 erschien das Gespräch von Hildegard Hamm-Brücher mit Sandra Maischberger bei Econ. Margit Ketterle hatte die beiden Damen zusammengeführt. »Ich bin so frei« ist ein Plädoyer für Zivilcourage und ein beeindruckendes Beispiel für gelebte Demokratie. In einer damals durchweg von Männern dominierten Politikwelt stand Hildegard Hamm-­Brücher ihre Frau, eine Frau, die sich durch Aufrichtigkeit und Unbeugsamkeit auszeichnete. 

Bei der Buchpremiere im Staatstheater am Gärtnerplatz konnten wir im Gespräch Hamm-Brücher/Maischberger erleben, wie Politik auch geht – mit Leidenschaft und Wehrhaftigkeit für unseren freiheitlichen Rechtsstaat einzustehen, auch wenn das unbequeme Konsequenzen zeitigt wie im Fall der überzeugten Liberalen Hamm-Brücher mit einem Austritt aus ihrer Partei, der FDP.

Ein weiteres Beispiel: Bereits 2017, der Überfall Russlands war noch in weiter Ferne, verlegte Margit Ketterle, längst Verlagsleiterin Sachbuch bei Droe­mer Knaur, die damals eher unbekannte Mitbegründerin von »Memorial«, Irina Scherbakowa. Für ihre unerschrockene Aufarbeitung der Verbrechen der sowjetischen Gewaltherrschaft erhielt die Menschenrechtsorganisation 2022 den Friedensnobelpreis. Mittlerweile ist »Memorial« verboten und Irina Scherbakowa hat Russland verlassen. Ihr Buch »Die Hände meines Vaters. Eine russische Familiengeschichte« ist nicht nur das Porträt einer Familie, der es gelang, düstere Zeiten zu überstehen, sondern auch die Geschichte eines von allen Schrecknissen gezeichneten vorigen Jahrhunderts. Was Irina Scherbakowa bei der Buchvorstellung uns Zuhörern zu sagen hatte, ist heute wieder bittere Wahrheit.

Auch als Editor-at-large für das gesamte Droemer Knaur Sachbuch wird sie sich nun weiter in den öffentlichen Diskurs einmischen, als frische Sprecherin bei der IG Meinungsfreiheit im Börsenverein allemal.

Rachel Salamander

Existenzielle Fragen

Ich muss noch wenigstens einen Titel nennen, um zu zeigen, wie Margit Ketterle mit ihrem Entdecker-Gen dafür arbeitet, existenzielle Themen ins öffentliche Bewusstsein zu heben. 2018 brachte sie Yascha Mounks »Der Zerfall der Demokratie« heraus. Hier zeigt der Journalist und Harvard-Dozent für Politische Theorie, wie der Populismus den Rechtsstaat in westlichen Demokratien bedroht. Seine Diagnose, dass die Zahl der Protestwähler steigt, die Populisten erstarken und traditionelle Parteiensysteme kollabieren, erleben wir tagtäglich. 

Klar und deutlich erklärt Mounk, der kürzlich ins Herausgebergremium der »Zeit« berufen wurde, die tiefe Krise der Demokratie und geht den Gründen und Mechanismen des politischen Zerfalls nach. Im Februar 2018 stellten wir das Buch vor. Das Thema brennt uns aktuell ziemlich unter den Nägeln.

Als stellvertretende Vorsteherin des Börsenvereins – eines ihrer vielen Ehrenämter und Beweis für ihr Engagement fürs Gemeinwohl – beschrieb sich Margit Ketterle selbst als politischen Kopf, der unbedingt gegen die »selbst ernannten ›Volksvertreter‹, die völkische und ausgrenzende Stimmungsmache betreiben«, die repräsentative Demokratie verteidigen will. Jahrzehnte hat sie diese Einstellung in ihrer Arbeit umgesetzt und konnte beweisen, dass Qualität zu Bucherfolgen führt. Auch als Editor-at-large für das gesamte Droemer Knaur Sachbuch wird sie sich nun weiter in den öffentlichen Diskurs einmischen, als frische Sprecherin bei der IG Meinungsfreiheit im Börsenverein allemal. Eine wie sie brauchen wir mehr denn je – und ich ihre Freundschaft. Liebe Margit: Lebe hoch!