Deutscher Jugendliteraturpreis 2022

Sechs wunderbare Gewinner:innen und ein Lebenswerk

21. Oktober 2022
von Börsenblatt

Mit mehr als 1200 Gästen war der Saal Harmonie brechend voll und die gesamte Kinder- und Jugendbuchszene vertreten. Die Spannung wuchs  in jeder Sparte ins Unermessliche: Hier sind die Siegertitel des Deutschen Jugendliteraturpreises.

"Wäre unsere Welt eine Mietwohnung, würden wir niemals eine Nachmieter:in finden", umriss Ralf Schweikart, Vorsitzender des Arbeitskreise für Jugendliteratur, die aktuelle Situation, in der KJinder unverändert Bücher brauchen.  Sein Plädoyer für ein friedliches Zusammenleben der Völker, für Dialog, Austausch und Toleranz fand mit großem Applaus hörbar Zustimmung. Er dankte zudem den Verlagen, die sich für Bücher für ukrainische Kinder eingesetzthatten - und Roswitha Budeus-Budde von der "Süddeutschen Zeitung", die sich jahrzehntelang für die Vermittlung von Jugendliteratur eingesetzt hat und nun den Staffelstab in der Redaktion weitergibt.

Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs bekannte, dass sie schon früh den Lesen verfallen ist undheimlich bis in die Nacht las: "Wer braucht schon Schlaf, wenn es Bücher gibt ..." Sie warb für das Lesen, weil es die Empathie fördert und dankte all denen, die Literatur vermitteln und der Jury des Deutschen Jugendliteraturpreises, die die Empfehlungen engagiert ermittelten. Buchmessedirektor Juergen Boos verriet, dass seine Mutter immer die Birne herausgedreht hatte, damit er nicht heimleich weiterlas: "So musste ich viel Geld in Batterien für die Taschenlampen investieren ..." Er wies darauf hin, wie wichtig die internationalen Texte und ihre Übersetzungen seien.

"Die Bücher fächern die Welt in ihrer ganzen Vielfalt auf", sagte Bundesjugendministerin Lisa Paus als Stifterin des Preises. " Sprache ist der Schlüssel zur Verständigung oder, um mit Victor Hugo zu sprechen: 'Die Zukunft gehört dem Buch und nicht den Bomben und dem Krieg':"  Die Ministerin sicherte dem Preis weiter ihre Unterstützung zu - "er ist der wichtigste Preis in der Kinder- und Jugendliteratur und leistet entscheidende Lobbyarbeit".

Sparte Bilderbuch: Unsere Grube"

Die Kritikerjury entschied sich für Emma Adbages "Unsere Grube". Die illustratorin ist in Corona-Quarantäne, für sie nahm Barbara Gelberg von Beltz & Gelberg die Momo entgegen. Das Buch setzt sich hartnäckig dem Niedlichkeitstrend entgegen, urteilte die Juryvorsitzende Karin Fach. Moderatorin Vivian Perkovic begeisterte sich für die "Trotznasen" und fragte Gelberg nach den Figuren. "Kinder spielen ohne Geländer, weil sie Experten im Spielen sind", befand Gelberg. Gar nicht so einfach, sich heute Freiräume fürs Spielen zu erobern, weswegen imer mehr Eltern verkehrsberuhigte Zonen fordern, erläuterte Paus.

Sparte Kinderbuch: "Die Suche nach Paulie Fink"

Im Kinderbuch konnte sich Ali Benjamins "Die Suche nach Paulie Fink" (Hanser), eine Geschichte über Ausgrenzung für Leserinnen ab 11 Jahren durchsetzen. "Es waren so viele unterschiedliche Textformen, die man nachbauen musste, Chats, die Shakespeare-Challenge mit Sätzen wie im 16. Jahrhundert", sagten die Übersetzerinnen Jessica Komina und Sandra Knuffinke.

Sparte Jugendbuch: "Dunkelnacht"

"Ich hab vor genau 15 Jahren hier schon mal auf der Bühne gestanden und den Preis für mein Gesamtwerk erhalten ... Könnte man eigentlich aufhören. Aber ich hab mich nicht dran gehalten", meinte Kirsten Boie, die mit "Dunkelnacht" (Oetinger) über Verbrechen in den allerletzten Tagen des Zweiten Weltkriegs im bayerischen Penzberg schrieb. "Es ist mein erstes Buch, für das ich einen Deutschen Jugendliteraturpreis bekommen habe - jetzt fühlt es sich richtig an." Boie beschrieb eindringlich die Arbeit in den Archiven mit den Dokumenten und ihre Erkenntnissse.. "Ein sprachliches Meisterwerk in der Verdichtung und Verknappung - Kirsten Boie hat sich neu erfunden", urteilte die Juryvorsitzende Karin Fach.

Sparte Sachbuch: "Der Duft der Kiefern"

In der Sparte Sachbuch entschied sich die Jury für Bianca Schaalburgs Graphic Novel "Der Duft der Kiefern" (Avant). Schaalburgs Sohn recherchierte mit, ihr 86-jähriger. Onkel diente als Zeitzeuge. "Ich war im Persönlichen sehr gefangen", war ihre Erfahrung von Schaalburg, die wie Boie auch in Archiven recherchierte, "wo alles bis zum vierten Durchschlag aufgehoben war". Das Buch geht der Frage nach, wie sich die Familie im Zweiten Weltkrieg verhalten hat und setzt Oma Elses Satz "Wir wussten ja nichts" über die Vertreibung und Enteignung von Juden die Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen entgegen. "Wo Zeitzeugen nicht mehr da sind, muss die nachfolgende Generation die Recherche übernehmen.  Die Graphic Novel sei ein innovatives Sachbuch, "das zeigt, wie man visuell Wissen vermitteln kann", so Karin Fach.

Die Jugendjury: "Hard Land"

Die Jugendjury, die sich aus sechs Jugendleseclubs von Königstein bis München zusamensetzt, stellte die sechs von ihnen nominierten Titel in kurzen Theaterszenen vor, bevor sie ihren Siegertitel bekanntgab. Sie votierte für Benedict Wells "Hard Land" (Diogenes). Der sichtlich bewegte Schriftsteller antwortete auf Vivian Perkovics Frage, ob es denn überhaupt als Jugendbuch angelegt gewesen sei, er ziehe da keine Grenzen zwischen Erwachsenen- und Jugendliteratur. "Das schöne ist, als Erwachsener zurückkehren und die Worte zu haben, die man als Jugendlicher nicht hat." Und warum die 1980er Jahre und nicht die 90er? "Die 80er gehörten mir - weil ich sie ja nicht betreten habe."

Sonderpreis Illustration Neue Talente: Mia Oberländer

Ihr Comic "Anna" (Edition Moderne) zeichne sich durch eine unverwechselbare Zeichensprache aus, so die Vorsitzende der Sonderpreisjury, Prof. Kirsten Winderlich. Besonders brührt habe die Juror:innen, wie es Oberländer gelungen sei, schwer greifbare Diskriminierungsprozesse herauszuarbeiten, ohne die individuelle Erfahrung zu schmälern.

Sonderpreis Lebenswerk Illustration: Hans Ticha

"Tichas Illustrationen strotzen vor Vitalität, sowohl bei Menschen wie bei Flora und und Fauna", so die Vorsitzende der Sonderpreisjury.  Bild- und Textebenen interagieren, die Figuren werden in Beziehungen gesetzt, Bilderbuchkunst vom Feinsten. "Noch viele Generationen mögen sich an Tichas Illustrationen reiben", so der Wunsch der Jury.