„Zeitgemäßer geht es nicht!“

Arbeiten im Kollektiv: Der Gutenberg-Preis der Stadt Leipzig 2023 geht an Spector Books

21. Juni 2023
Nils Kahlefendt

In einer Festveranstaltung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek ist gestern Abend der Gutenberg-Preis der Stadt Leipzig 2023 an den Leipziger Verlag Spector Books verliehen worden. Nils Kahlefendt berichtet. 

Gruppenfoto Spektor Books in den Verlagsräumen in der Harkortstraße

Mit Spector Books, heißt es in der Jurybegründung, werde „ein junger, doch bereits international renommierter und vielfach prämierter“ Verlag ausgezeichnet, der „das Buch mit seinem haptischen, visuellen und inhaltlichen Material als Erkenntniswerkzeug versteht und mit diesem wie kein anderer die Phänomene und Phantome unserer Gegenwart zu fassen vermag. Zeitgemäßer geht es nicht.“

Ein Vibraphonist hat einen wirklich anspruchsvollen Job, meinte Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, „er ist Schlagzeuger und Pianist in Personalunion“. Ein schönes Sinnbild für den Job des Verlegers gab der preisgekrönte Vibraphonist Christopher Dell ab, der den Abend musikalisch umrahmte. Allerdings jongliert der Verleger noch mit 20 Projekten gleichzeitig, stets auf der Klinge des Konkurses.

„Die Stellung des Verlegers ist eine eigenartige“, schrieb einst einer, der es wissen musste, Siegfried Unseld, in „Der Autor und sein Verleger“ (1985) – vor allem hafte er schlussendlich allein für sein Unternehmen, „mit Haut und Haaren, materiell“.

Respekt, wer’s selber macht, möchte man mit dem Claim einer Baumarktkette entgegnen – und auch Burkhard Jung zog in seinem Grußwort den Hut vor dem Gutenberg-Preisträger der Stadt Leipzig: „Spector Books ist ein Glücksfall für unsere Stadt!“ Der OBM hatte, schwer beeindruckt, in der aktuellen Herbstvorschau des Verlags geblättert, in der alle zwischen 2003 und 2023 bei verschiedenen nationalen und internationalen Wettbewerben prämierten Titel aufgelistet sind – und ist auf die ehrfurchtheischende Zahl von 47 gekommen. Das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro dürfte nach Jungs Überzeugung gut angelegt werden – „in ein neues Projekt, das der Buchstadt zur Ehre gereicht“.

Nach der Preisverleihung: Janz Wenzel, Burkhard Jung, Markus Dreßen, die Laudatoren Florian Ebner und Maike Aden, Anne König und der Vibrafonist Christopher Dell

Der Pluralität verpflichtet

Der Umstand, dass mit der Kunst- und Musikwissenschaftlerin Maike Aden und dem Kunsthistoriker Florian Ebner, Leiter der Fotografie-Abteilung im Pariser Centre Pompidou, eine zweistimmige Laudatio gehalten wurde, war Programm: So wie die Würdigung nicht nur eine Sicht der Dinge festschreiben wollte, werden bei Spector Bücher gemacht – der Pluralität, dem Dialog verpflichtet. Aden und Ebner gingen in ihrer Laudatio vom Buch-Raum aus, und das zunächst ganz buchstäblich: Es war die „Kommunalka“, die aus der Sowjetunion bekannte Wohnform, bei der sich mehrere Parteien eine Gemeinschaftswohnung teilen, die der kürzlich verstorbene Konzeptkünstler Ilya Kabakov in den 1990ern in seinem Projekt „Stimmen hinter der Tür“ im Kutscherhaus der Galerie für Zeitgenössische Kunst hat nachbauen lassen. Mit dabei: Studierende der Uni Leipzig und der HGB – darunter die späteren Spector-Gründer Jan Wenzel und Markus Dreßen. Kabakovs Anspruch wird zum Vorbild des künftigen Verlags; der Küchentisch der Kommunalka Sinnbild für das Arbeiten im Kollektiv.

Blickt man auf die rund 800 Titel, die seit 2001 bei Spector Books erschienen sind, zeigt sich, dass das Kabakov-Projekt nicht nur hinsichtlich der Arbeitsmethode prägend war: Stets, so formuliert es Florian Ebner, gehe es „um neue künstlerische und gestalterische Formen, mit denen man die Hinterlassenschaften der Geschichte und die Verwerfungen der Gegenwart“ zu fassen bekomme. Auch wenn das Gründer-Kleeblatt Markus Dreßen, Anne König und Jan Wenzel im Fokus standen - oft wurde an diesem Abend die Kraft des Teams beschworen: Ohne all die Lektorinnen und Lektoren, Gestalterinnen und Gestalter, Hersteller oder Übersetzer wäre Spector Books nicht Spector Books.

„Erbe eines ostdeutschen intellektuellen Diskurses“

Wer die Anfänge kennt, wird sich mit Florian Ebner die Augen reiben, was da in nicht mehr als 20 Jahren passiert ist: „Wenn man von französischen oder japanischen Fotografen nach der Weise gefragt wird, wie man am besten ein Buch bei Spector platzieren kann, dann ist es klar, dass dieser Verlag aus Leipzig längst in der weiten Welt angekommen ist.“ Und noch etwas war dem Laudator wichtig, was in Zeiten, da genuin ostdeutsche Stimmen mit Strahlkraft in der Verlags- und Medienbranche mit der Lupe zu suchen sind, unbedingt festgehalten werden sollte: Spector Books habe das „Erbe eines ostdeutschen intellektuellen Diskurses“ in der Nachfolge Brechts oder Heiner Müllers angetreten, und stehe gleichwohl in der Tradition einer „osteuropäischen Solidarität“. Ohne von den Gespenstern der Vergangenheit verfolgt zu sein, frei von ideologischen Lasten und parteipolitischen Bindungen.   

Anlässlich der Ehrung mit dem Gutenberg-Preis der Stadt Leipzig widmet das Deutsche Buch- und Schriftmuseum dem Preisträger unter dem Titel „Spector Books: Handapparat“ vom 21. Juni 2023 bis 28. Januar 2024 eine Kabinettausstellung, die im Foyer zu sehen sein wird. Flankierend zur Ausstellung sind zahlreiche Gespräche mit den Akteuren von Spector Books und den Autorinnen und Autoren des Verlags geplant. Den Auftakt bildet am heutigen Mittwoch, 21. Juni, ein Gespräch von Anne König und Jan Wenzel mit Autor und Filmemacher Alexander Kluge.

Mit dem Gutenberg-Preis der Stadt Leipzig werden seit 1959 im Gedenken an Johannes Gutenberg Persönlichkeiten und Einrichtungen geehrt, die sich laut Satzung „durch hervorragende, beispielgebende Leistungen um die Förderung der Buchkunst verdient machen“. Seit 1993 wird er im jährlichen Wechsel mit dem gleichnamigen Preis der Stadt Mainz verliehen. Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum ist Mitglied der Jury. Gewürdigt werden besondere künstlerische, technische oder wissenschaftliche Leistungen der Bereiche Typografie, Buchillustration, Buchkunstedition, Buchherstellung sowie Verdienste bei der Verbreitung des freien Wortes.