Veranstaltungsreihe von PEN Berlin

Was läuft schief?

20. September 2024
von Holger Heimann

Sechs Wochen lang hat der PEN Berlin in Städten und Gemeinden in Thüringen, Sachsen und Brandenburg unter der Überschrift "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" zu Diskussionen eingeladen. Am 19. September fand in Potsdam die Abschlussveranstaltung statt. Wie man mit der AfD umgehen soll, war nur eine von vielen strittigen Fragen.

Monika Maron und Eva Menasse (von links) mit Moderator Jan Feddersen sind gegen Brandmauern

Ein Abend also voller Uneinigkeit, mit mehr Fragen als Antworten, aber ein Abend auch, an dem kultiviert und ernsthaft miteinander geredet und gestritten, an dem einander zugehört wurde. 

Unter freiem Himmel in Potsdam ging es los mit einer an das Publikum gerichteten Fragerunde: Wer fühlt sich mit seiner politischen Meinung oft in der Minderheit? Wer findet, dass in der Migrationspolitik etwas schiefläuft? Wer sehnt sich nach Angela Merkel zurück? Auch bei der 37. und letzten Veranstaltung der vom PEN Berlin initiierten Reihe "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" wurde von Beginn an klar: Das Publikum soll hier nicht nur still zuhören, sondern sich beteiligen am Gespräch. Denn genau darum sollte es gehen, um die Diskussion miteinander, darum, die Spaltung der Öffentlichkeit zu überwinden, wie es Denis Yücel vom PEN Berlin formulierte.

Vorn auf dem Podium saßen die Schriftstellerinnen Monika Maron und Eva Menasse, letztere hat den PEN Berlin mitbegründet. "Kann man alles sagen?", wollte der Moderator Jan Feddersen, Redakteur bei der "taz", zum Einstieg wissen. Nach einer Allensbach-Umfrage glaubt eine knappe Mehrheit der Deutschen, dass es hierzulande keine Meinungsfreiheit gibt. Warum ist das so? "Wir leben in einem der freiheitlichsten Länder der Welt. Wir haben die Freiheit zu sagen, was wir wollen", meinte Eva Menasse. Da könne es auch einmal Gegenwind geben, den müsse man aushalten. Gerade Schriftsteller seien in der Pflicht, genau mit Argumenten umzugehen, vorsichtig zu formulieren. Solchen Gegenwind hat Monika Maron erfahren, sie sei zehn Jahre nicht mehr zu Veranstaltungen eingeladen worden. Und darüber wollte sie sprechen. "Man muss Widerstand aushalten, wird immer gesagt. Aber es ist etwas anderes, wenn es um Diffamierung, Unterstellungen und absichtliche Missverständnisse geht. Man ist dann sehr schnell rechts. Das hängt einem wie Kleister an."

Eva Menasse nannte das, den anderen "auf vergiftete Art aus dem Diskursraum drängen". Nicht einig war man sich, welchen Anteil die sozialen Medien an einer Verrohung der Diskurskultur haben. Bieten sie, frei nach Jürgen Habermas, einen herrschaftsfreien Diskursraum, wo debattiert wird, was früher am Kneipentisch ausgehandelt wurde? Oder wird im Netz lediglich Erregung ungebremst und ungefiltert immer weiter gesteigert? "Wann hat der unerbittliche Umgang angefangen? Woher kommt das Bedürfnis, den anderen zu vernichten", fragte Monika Maron.

Eva Menasse wollte über die Wut reden, die Menschen zur AfD treibt. Aber dann wurde erst einmal lange (zu lange!) über das Gendern gesprochen – bis zum lauten Einwand aus dem Publikum, dass es doch andere und drängendere Probleme gäbe. Monika Maron glaubt, wer AfD wähle, der würde damit die Möglichkeit ergreifen, vernehmlich "nein" zu sagen. Aber wozu genau? Was läuft schief? Maron zählte auf: Migration, Energiepolitik, Verlust von Arbeitsplätzen. Für Eva Menasse sind das nur "Ängste, die an die Wand gepinnt werden, um davon zu profitieren". Sie forderte dazu auf, "aus der Wut, Zuversicht zu machen" und der "dystopischen Erzählung" etwas entgegenzusetzen, die "Ärmel hochzurollen". Viele Menschen, die ihre Unzufriedenheit laut kundtäten, würden im selben Atemzug bekennen: "Aber mir geht es gut!" Wie ist das zu erklären, wollte Eva Menasse wissen und sprach von "einer Leerstelle, einer Erkenntnislücke, die ich nicht schließen kann".

Das Land sollte nur so viele Migranten aufnehmen, wie es integrieren könne, verlangte Monika Maron. Wie nötig Zuwanderung angesichts der demographischen Entwicklung ist, darauf wies der Publizist Gustav Seibt aus dem Publikum hin. Ihn ärgere, dass die Erzählungen von Migration überwiegend negativ grundiert seien. Seibt lenkte den Blick auf die anderen Geschichten: auf erfolgreich integrierte Menschen, ohne die in Thüringen Krankenhäuser ihren Betrieb kaum aufrechterhalten könnten, ohne die in brandenburgischen Dörfern Touristen auf dem Trockenen sitzen müssten, weil es dann keine Döner- und Hähnchengrillstände mehr gäbe.    

Und wie sollte man der AfD begegnen? Auch darüber wurde diskutiert. "Wenn eine Opposition nicht ernst genommen und in die Ecke gedrängt wird, sorgt man dafür, dass sie sich radikalisiert", skizzierte Maron den ihrer Ansicht nach von Beginn an falschen Umgang mit der AfD. Der dieser Tage gefragte Politikwissenschaftler Philip Manow hat diese verbreitete politische Haltung gegenüber der AfD ganz ähnlich beschrieben und kritisiert. Diese Politik werde weiter fortgesetzt, so Maron, wenn man einem Drittel der Wähler mitteile: "Eure Stimmen zählen nicht." Von Eva Menasse gab es Zustimmung, von Brandmauern halte sie nichts. Die AfD sollte in die Landtage, damit sie sich dort selbst entzaubere. In Österreich, so die in Wien geborene Schriftstellerin, sei genau dies den Rechtspopulisten widerfahren. Widerspruch aus dem Publikum: Das sei gefährlich, wie die deutsche Geschichte beweise, Rechte ließen sich nicht entzaubern.

Ein Abend also voller Uneinigkeit, mit mehr Fragen als Antworten, aber ein Abend auch, an dem kultiviert und ernsthaft miteinander geredet und gestritten, an dem einander zugehört wurde.