Literaturbetrieb

Vorauseilender Gehorsam

19. Juni 2023
von Börsenblatt

Für Wirbel hatte vergangene Woche die Aufforderung des Basler Fachausschusses Literatur gesorgt, Schriftsteller Alain Claude Sulzer solle ein diskriminierendes Wort in seinem Roman-Manuskript erklären. Nun stellt sich heraus: Das Gremium wusste gar nichts von dem Brief. In Folge tritt eine Verlegerin zurück.

Schriftsteller Alain Claude Sulzer

Schriftsteller Alain Claude Sulzer

Der Fachausschuss Literatur ist die öffentliche Literaturförderstelle der Kantone Basel-Stadt und Basel-Land und vergibt u.a. auch Stipendien. Dafür hatte der renommierte Schriftsteller Alain Claude Sulzer einen Antrag samt Seiten seines Manuskripts eingereicht; der Roman spielt im Bochum der 1960er und 1970er Jahre, wo auch Sulzer einige Jahre gelebt hat. Romanfiguren lässt Sulzer auch das Wort "Zigeuner" verwenden, woraufhin die vom Kanton angestellte Vorsitzende des Gremiums Sulzer um eine Stellungnahme für die Wortwahl bat und um eine Begründung zur Relevanz der "stereotypen Beschreibung des Wohnumfelds". Sulzer zog daraufhin sein Gesuch zurück, viele Medien sprachen von Zensur.

Nun stellt sich heraus: Der Fachausschuss wusste gar nichts von dem Brief der Vorsitzenden. "Die Staatsangestellte handelte eigenmächtig und ohne Absprache", schreibt die "Neue Zürcher Zeitung" in Berufung auf mehrere Quellen; Schriftstellerin und Aussschussmitglied Dana Grigorcea hatte es zudem auf Facebook öffentlich gemacht. Woraufhin Verlegerin Bettina Spoerri ihren sofortigen Rücktritt aus dem Fachausschuss eingereicht hat.  Denn: "Das Gremium wollte dem Fördergesuch von Sulzer eigentlich stattgeben. Und zwar ohne Nachfragen", so die "NZZ". "Die Vorsitzende handelte offenbar in einer Art vorauseilendem Gehorsam die politische Korrektheit betreffend." Nun will die - sich in einem Statement zerknirscht gebende - Kulturverantwortliche der Stadt Basel, Katrin Grögel, alle Ausschussmitglieder an einen runden Tisch holen.

Die Schriftstellerinnen und Schriftsteller Thomas HürlimannErnest Wichner, Nora Gomringer, Isabella Huser und Eva Menasse schreiben anlässlich des Vorfalls über Eingriffe in die künstlerische Freiheit, nachzulesen in der "NZZ".