Intensiv wurde über die Leseförderung diskutiert; die IGLU-Studie brachte keine besseren Ergebnisse als erwartet, das Gefühl von Stagnation sei überall greifbar, so die Runde. "Fest steht: Die Lesefähigkeit nimmt ab", sagte Barlet und berichtete von einer spontanen Diskussion zwischen Verlegerinnen auf der Internationalen Jugendbuchmesse in Bologna mit der Kernfrage: Sind die Lesefördermaßnahmen richtig adressiert? Viele gehen in Richtung von Haushalten, die bereits wissen, wie wichtig Lesen ist. Viel schwieriger jedoch sei, wie mit Lesefördermaßnahmen Kinder erreicht werden können, in deren Haushalten Bücher und Lesen überhaupt keine Rolle spielen. "An welchen Touchpoints können Kinder in Kontakt zu Büchern kommen?", so eine Überlegung, und: "Gibt es Beispiele aus anderen Ländern, die wir vielleicht übernehmen könnten?"
In der Analyse merkte Rowohlt Rotfuchs-Programmleiterin Christiane Steen an, dass leseferne Haushalte nur ein Teil des Lesekompetenz-Problems seien: "Wir müssen die gesamte Gruppe leseschwächerer Kinder betrachten, und da gibt es bei uns Kinder aus anderen Ländern, die die deutsche Sprache noch nicht so gut verstehen, aber sehr gerne Bücher lesen. Was ist mit denen? Da müssen wir uns fragen, welche Bücher wir ihnen anbieten können, was wir sprachlich und inhaltlich verändern müssen, um sie abzuholen."
Oft werde in der Leseförderung so weitergemacht wie immer – "aber wir merken ja längst, dass es in der Gesamtheit nicht funktioniert", konstatierte nicht nur Tessloff-Verlegerin Katja Meinecke-Meurer. Eine Erfahrung aus der Runde: Mit Podcasts lassen sich Kinder offenbar für Bücher interessieren. Die Belletristikverlage bei Projekten einzubeziehen sei wichtig, meinte Arena-Geschäftsführerin Alexandra Schönleben: "Denen fehlen in zehn, 15 Jahren dann die Leserinnen, die die sie dringend brauchen. Das Problem der zu geringen Lesekompetenz betrifft ja nicht nur uns Jugendbuchverlage, sondern ist ein gesamtgesellschaftliches Thema." In Italien seien Bibliotheken in Schulen gesetzlich verankert, "sie werden gefördert und mit pädagogischen Kräften ausgestattet", merkte Herzog an. Petra Albers, Verlagsleiterin Kinder- und Jugendbuch bei Beltz, setzte den Gedanken konstruktiv fort: "Wenn wir schauen, welche Länder in der IGLU-Studie gut abgeschnitten haben und uns die dortige Situation näher betrachten und welche Formen von Leseförderung es dort gibt – vielleicht lassen sich daraus Erkenntnisse für uns ableiten."
Kristy Koth griff Steens Gedanken des "passenden" Lesestoffs für Kinder auf und verknüpfte ihn mit dem aktuellen Boom im New Adult-Bereich: "Für diese Zielgruppe sind 400-seitige Bücher überhaupt kein Problem, aber sie haben in der Vergangenheit nicht gelesen. Jetzt sagen sie: In den NA-Titeln kann ich mich endlich wiederfinden!", ein Befund, der von vielen Verleger:innen bestätigt wurde. "Da müssen wir uns schon fragen: Haben wir sonst ein Angebot, das an den Interessen unserer Leser:innen vorbeigeht?" Dem schloss sich Albers an mit der Forderung, die Lesemotivation viel stärker in den Blick zu nehmen: "Neben den Kindern aus lesefernen Haushalten haben wir Kinder und Jugendliche, die die erforderliche Lesekompetenz haben, aber wenig motiviert sind. Bei NA kommt momentan auch eine Motivation von außen, durch BookTok, durch die Peergroup. Der Frage der Lesemotivation werden wir uns mehr widmen müssen."