Presseschau

Leipziger Buchmesse: "konzentrierter, intensiver, begegnungsreicher denn je"

21. März 2022
Redaktion Börsenblatt

Irgendwie fand die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr trotzdem statt. Die Medien finden überragend positive Worte für das alternative Messeprogramm der Popup-Buchmesse. Die Rede ist von Selbstbehauptung und Erfindungsgeist. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine band sich in den letzten Tagen wie ein roter Faden in alle Formate ein. 

„Die Leipziger Messe findet dieses Jahr statt. Nur eben nicht in den Hallen der Leipziger Messe“, so beschreibt es Tobias Rüther in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. In jenen Messehallen finden sich dieser Tage ukrainische Geflüchtete untergebracht. Nur ein Hinweis darauf, dass der schreckliche Angriffskrieg gegen die Ukraine über allen Veranstaltungen und Formaten schweben würde. Eine Podiumsdiskussion im Connewitzer Werk 2 der zum Krieg wurde vielseits als Höhepunkt der Veranstaltungen in diesem Jahr wahrgenommen. Richard Kämmerlings von der Welt merkt an: Es hätte kaum einen geeigneteren Ort gegeben, um diese tektonische Verschiebung zu reflektieren oder zu debattieren, als die Leipziger Messe: Denn sie habe sich stets als geistiger Brückenkopf Osteuropas verstanden.

Tobias Rüther beginnt seinen Messebericht mit dem Empfangsabend des nächsten Gastlands Österreich, das deutlich gemacht habe, wie Buchmessen stets ein Podium für aktuelle politische Ereignisse sind. „Die Messe hat noch nicht einmal richtig begonnen, da zeigt sie schon, was Worte ausrichten können“, so Rüther, der vom Vortrag der in Wien lebenden ukrainischen Schriftstellerin Tanja Maljartschuk unter dem Titel „Anno belli“, Kriegsjahr, berichtet. Sie erzähle davon, wie sie und die Ukrainer:innen diese Kriegstage erleben. „Je länger sie liest, in die Stille und in die Dunkelheit des Saals hinein, desto leiser wird es.“

Kritik übt Rüther dagegen am Auftritt von Karl-Markus Gauß, dessen Erkenntnisgewinne, unter anderem 26 Einwände gegen Identitätspolitik, nach der Lesung von Tanja Maljartschuk „borniert, selbstgenüsslich und radikal egal“ gewesen seien. Auch Dirk Knipphals von der taz berichtet von häufigem Kopfschütteln angesichts dieses Auftritts. Gauß habe „in diesen emotional und intellektuell herausfordernden Kriegszeiten offenbar ziemlich breitbeinig einen vor allem auf sich selbst bezogenen Auftritt hingelegt“.

Alles erscheint konzentrierter, intensiver, begegnungsreicher denn je.

Stuttgarter Zeitung

Sehr viel positivere Worte fanden sich in allen Medienberichten für Gunnar Cynybulk und Leif Greinus, Veranstalter der alternativen Pop-up-Buchmesse im Werk 2 des Stadtteils Connewitz. Um die Wette hätten die beiden angesichts ihres „kommunikativen und kommerziellen Erfolgs" gestrahlt. Der herrschende Geist in der hohen Halle sei einer von gegenseitiger Hilfe gewesen – auch sichtbar in den prall gefüllten Büchertüten der Besucher am Ausgang“, so beschreibt es Andreas Platthaus in der FAZ. 

Alles, wofür Leipzig stünde, Gespräche, Lockerheit und Nähe, sei einmal mehr gestärkt worden. Platthaus fühlte sich an die traditionellen Buchmessen direkt am Marktpatz vor dem Umzug 1997 erinnert, weil alles so innenstadtnah stattfand.

Einfallsreichtum, Mut, Trotz und Erfindungskraft waren nur ein paar der Stichworte, mit denen Medien die Ersatzveranstaltung und ihre Organisatoren beschrieben.

„Alles, was man auf dem Messegelände schmerzlich vermisst hat, findet sich in der eindrucksvollen Fabrikhalle. Liegt es an dem soziokulturellen Charme, der liebevollen Selfmade-Geschäftigkeit, der fröhlichen Flohmarkt-Atmosphäre, den guten Büchern oder den leckeren äthiopischen Speisen, die in einem Hinterhof improvisiert werden – alles erscheint konzentrierter, intensiver, begegnungsreicher denn je“, schreibt die Stuttgarter Zeitung.

Teil der Buchmessen-Luft: „Gossip, Begegnungen und kleine Sticheleien“, so Dirk Knipphals von der taz, oder wie es Richard Kämmerlings von der Welt beschreibt: „Man sitzt bis tief in die Nacht irgendwo beisammen und geht alles durch, was gerade zwei Jahre eingefroren wurde: wer jetzt mit wem fusioniert oder gestritten oder geschlafen hat.“

Mit etwas Abstand betrachtet, erzählte die Veranstaltung auch von dem Selbstbehauptungswillen einer Branche, in der sich viele Menschen stark mit dem, was sie machen, identifizieren.

Dirk Knipphals, taz

Knipphals berichtet ebenfalls von einer „ziemlichen Buchmessen-Atmosphäre, die man sich in der vergangenen Woche in Leipzig abholen konnte“. Etwas von einem Flohmarkt oder einem Markplatz habe das Ganze gehabt. „Mit etwas Abstand betrachtet, erzählte die Veranstaltung auch von dem Selbstbehauptungswillen einer Branche, in der sich viele Menschen stark mit dem, was sie machen, identifizieren.“

Dies sei nicht nur eine sympathische, sondern auch chaotische Indie-Veranstaltung, eine mit viel Knowhow durchgezogene Bücherschau gewesen.

Für Richard Kämmerlings ist die Veranstaltung auch als  „Trotzreaktion und auch als Tritt vors Schienbein der Konzernverlage zu verstehen“.