14. Literaturfest München

"Kuratieren ist ein Flohzirkus"

29. September 2023
Nicola Bardola

Der Georg-Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss kuratiert unter dem Titel "Was wir erben, was wir hinterlassen" das "Forum" des 14. Literaturfests München. Im Interview erklärt er, wie er auf das Thema gekommen ist.

Lukas Bärfuss (fünfter von rechts) bei der Programmvorstellung des Literaturfests München

Wie haben Sie das Thema Erben entdeckt?

Lukas Bärfuss: Schon bei der Arbeit an meinem Buch "Vaters Kiste" war mir klar, dass das ein weitreichendes Thema ist, das ich auch auf tausend Seiten nicht erschöpfend behandeln könnte. Bei den Recherchen habe ich viele Aspekte entdeckt, die im Buch nicht Platz fanden. Zudem habe ich gesehen, dass das Erben eine der zentralen Fragen unserer Zeit ist. Vieles kommt gegenwärtig ins Rutschen, besonders auch was unsere geschichtliche Herkunft betrifft.

Was beabsichtigen Sie mit dem von Ihnen kuratierten "Forum"?

Erinnerungspolitik nimmt nie ein Ende. Zugleich sehen wir mit dem Verschwinden der letzten Zeitzeugen des Holocaust, dass die Orientierung fehlt. Ich glaube, dass viele der heutigen Probleme ursächlich begründet sind im Verlust der Orientierung. Und erben hat etwas zu tun mit Orientierung. Zu wem gehört man? In welche Traditionslinie stellt man sich? Was will man von den Eltern behalten? Das ist nicht nur materiell, sondern betrifft auch das eigene Verhalten und die Sitten. Eines der Ziele dieses Forums ist es deshalb, Orientierung zu bieten innerhalb dieser zerbrochenen Wirklichkeiten, in denen wir leben.

Wie verbinden Sie das Thema Erben als ein öffentliches und als ein privates?

Nachhaltigkeit ist eine Verpflichtung für die jetzige Generation. Es stellt sich die Frage: Wie können wir die Interessen der nachfolgenden Generationen in unserer Gesetzgebung darstellen? Es geht um die Rechte der Nachgeborenen. Ich habe dazu vor der Veröffentlichung des Buches Vorträge gehalten, die auch unter dem Einfluss des Urteils des BGH's zur Nachhaltigkeit standen. Fest steht: Nachfolgende Generationen haben ein Recht auf Ressourcen. Nach diesen ersten Recherchen musste ich aber für das Buch alles neu denken, zumal ich mich in einer neuen Lebensphase befinde. Die Kinder sind groß und man steht plötzlich vor einer Wohnung, die man neu gestalten muss. Das ganze Leben muss neu gestaltet werden. Und da fallen einem Sachen in die Hände, die man jahrelang nicht angefasst hat. Das Buch ist deshalb eine ganz eigene und persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Was wir über unsere Eltern und Großeltern wissen, ist erstens fragmentarisch und zweitens stark vom Interesse der Eltern gefärbt. Wir hören immer nur diese eine Seite. Als Schriftsteller hat man die Möglichkeit, noch ganz andere Quellen zu erforschen.

Wie gestaltete sich die Programmarbeit für das "Forum"?

Kuratieren ist ein Flohzirkus. Man muss Menschen an einem bestimmen Tag, an einen bestimmten Ort zusammenbringen und es muss dann auch zum selbstgewählten Thema passen. Das sind Gleichungen mit mindestens drei Unbekannten. Man lernt dabei weiterzudenken. Wenn jemand nicht kommt, den man unbedingt wollte, muss man ausdauernd weiterforschen. Und ich war sehr froh, dass ich hier in München professionelle Hilfe bekam.

Am 28. September wurde das Programm des 14. Literaturfests München (15. November bis 3. Dezember), das im Haus der Kunst, dem Literaturhaus München, der Monacensia, den Kammerspielen, dem Gasteig HP8 und an weiteren Orten stattfindet, im Literaturhaus München vorgestellt. Zum Festival 2023 gehören die 64. Münchner Bücherschau, die von der Monacensia konzipierte "Münchner Schiene" und das Festprogramm des Literaturhauses München mit dem Markt der unabhängigen Verlage "Andere Bücher". Auch die Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises findet im Rahmen des Literaturfests statt.

Das von Lukas Bärfuss unter dem Titel "Was wir erben, was wir hinterlassen" kuratierte "Forum" befasst sich mit dem Thema Erbe in rechtlicher, historisch-politischer, künstlerisch-literarischer und biologisch-naturwissenschaftlicher Sicht. Es wird konkret um Themen wie (Vermögens-)Verteilung gehen, aber auch um unsere Verortung in der Geschichte und politischen Gegenwart und um moralisch-ethische Themen. Welche Verantwortung übernehmen wir für unsere Hinterlassenschaften? Und wie erzählen wir davon?

Mit Arundhati Roy und Astrid H. RoemerMenachem Kaiser und Barbara Yelin, Mirjam Zadoff und Ronen Steinke, Maja Haderlap, Luigi Spina, Dinçer Güçyeter, James Poskett und Andreas Weber, Alice Hasters, Mohamed Amjahid, Max Czollek, Tanja Maljartschuk u.v.a. sind nationale und internationale Autor:innen, Wissenschaftler:innen und Medienschaffende eingeladen, sich im "Forum"-Programm mit dem Thema "Erbe" in moralischer, wirtschaftlicher, literarischer und historischer Hinsicht auseinanderzusetzen. Außerdem: ein Abend mit Bundespräsident a.D. Joachim Gauck und ein internationales Symposion über den Umgang mit Klassikern ("Giftiges Erbe – brauchen wir einen Kanon?").

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