Bedeutender Typograph und Buchgestalter

Juergen Seuss ist tot

24. April 2023
Redaktion Börsenblatt

Der Typograph und Hersteller Juergen Seuss ist am 21. April mit 87 Jahren in Assenheim gestorben. Diese traurige Nachricht teilte seine Frau Nanna Seuss mit. Seuss hat die Buchgestaltung der Büchergilde Gutenberg jahrzehntelang geprägt. 

Juergen Seuss in seinem Arbeitsraum (2001) 

Juergen Seuss, geboren am 21. Dezember 1935 in Leipzig, hat die Buchgestaltung der Büchergilde Gutenberg jahrzehntelang geprägt und wurde mit zahlreichen (über 100 nationale und internationale) Auszeichnungen und Preisen gewürdigt. Er hat zudem Bücher für andere Verlage, wie etwa C.H. Beck, Faber & Faber, Aufbau,  gestaltet. Im Laufe vieler Arbeitsprojekte vor allem für illustrierte Bücher hatte er intensive Kontakte mit Buchillustratoren und Künstlern wie Georg Eisler, Christoph Meckel, Sascha Juritz, Hans Ticha, Klaus Waschk, Gunter Böhmer, Gertrude Degenhardt, Kurt Löb oder A. Paul Weber.

 

Cover

"Begeisterungsfähigkeit für das Buch und seine gestalterische Kraft"

Juergen Seuss führte selbst einen eigenen, kleinen Verlag, den BrennGlas Verlag: Dort verlegte er unter anderem "Das Tagebuch eines Laien" (von Wieland Herzfelde) oder "Vom Ornament zur Linie, ein Buch über den frühen Insel-Verlag". Er hat Gedichte geschrieben, Texte über Buchästhetik verfasst, er hat fotografiert ("London Scene", 1969, "Beat in Liverpool", 1965). Es gab Kontakte und gibt Briefwechsel unter anderem mit Hans Joachim Schädlich, Peter Rühmkorf (einige Briefe bei Kalliope), Peter Härtling, Jochen Gelberg, Werner Mittenzwei.

Von 1985 bis 2000 war Juergen Seuss Professur für Buchkunst an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, dort lernte er seine spätere Frau Nanna kennen. Das Buch "Eine Milchstraße von Einfällen. Juergen Seuss und die Deutsche Buchkunst der zweiten Jahrhunderthälfte" (Faber & Faber) erzählt über seine gestalterischen Arbeiten und sein Leben. Darin äußert er sich über seine Arbeit und auch über die gesellschaftlichen Zustände. Zudem kommen Schriftsteller und Künstler über ihn zu Wort. 

"Seine Begeisterungsfähigkeit für das Buch und seine gestalterische Kraft, mit der er das ganze Buch von innen nach außen durchgestaltet hat, zeichnen ihn aus sowie sein Engagement, bezahlbare Literatur von guter Qualität – und dies schloss seine Arbeit als Hersteller in der Auswahl der Materialen unbedingt mit ein – zu produzieren", würdigt Nanna Seuss ihren verstorbenen Mann.

Als er 1964 einen denunzierenden Bericht über die englische Jugend in Liverpool im Deutschen Fernsehen angeschaut hatte, entwickelte er spontan die Idee, "man müsse mit einer auf Authentizität berufenden Buchveröffentlichung darauf reagieren und den Unsinn des Fernsehens klarstellen" – so entstand relativ schnell das Buch "Beat in Liverpool", das 1965 bei der Europäischen Verlagsanstalt in Frankfurt am Main erschien und parallel dazu, als Lizenzausgabe, in der Büchergilde Gutenberg. "Es war die erste deutsche Veröffentlichung in Buchform über das Phänomen einer neuen Jugendkultur, es wurde schnell populär und erlangte einen Grad von Berühmtheit, der uns überraschte, der aber auch die Erkenntnis vermittelte, dass das Phänomen nicht allein ein insulares war", erklärte Juergen Seuss später rückblickend. Der Mersey-Beat habe weltweit Kunde von unverträglichen sozialen Verhältnissen in den sich 'modern  und fortschrittlich' nennenden Gesellschaften gegeben. "Das Buch wurde 1965 auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt, die Protagonisten des Bandes, die Mitglieder der Gruppe der 'Claxton Squares' hatten wir nach Frankfurt eingeladen und ließen sie in der Messehalle spielen, in der Stadt, auf Plätzen und in städtischen Sälen: der Erfolg war sensationell, der Mersey-Sound der originalen Liverpooler Jungens verzauberte Frankfurt und darüberhinaus die Rundfunkanstalten." Zudem war das Buch in anderer Hinsicht für ihn bedeutsam: Er hätte wie bei keinem anderen Buch zuvor die feste Überzeugung gewonnen, "dass es mir gelungen war, dem Inhalt eine adäquate Form gegeben zu haben."Form war für Juergen Seuss nicht nur eine Hülse, sondern auch ein reizvolles Mittel, um Inhalt darzustellen, so Nanna Seuss. Sicherlich habe er Anteil an der Gestalt der bundesdeutschen Buchkultur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehabt.

Zudem sei er ein manischer Büchersammler gewesen. Ein wunderbares Interview von Deutschlandfunk Kultur aus dem Jahr 2014 mit Juergen Seuss, ist hier nachzulesen. Darin sagte Seuss unter anderem: "Ich bin einmal Leser, intensiv und ganz begierig, um zu erfahren, was andere zu bestimmten Dingen erzählen und mitteilen. Dahinter verbirgt sich aber die Sehnsucht nach Wahrheit, auf Deutsch gesagt, nach Erkenntnis. Das ist eine ganz andere Geschichte, als in der S-Bahn ein Buch zu lesen." Vor allem bewegte ihn die Frage, wie der "Scheiß-Faschismus" zustande gekommen ist.

Berufliche Stationen von Juergen Seuss

  • Lehre als Kunstbuchdrucker und als Setzer (Schweizer Degen)
  • Studium zum Ingenieur für Polygraphie
  • Hersteller im Wilhelm Knapp Verlag Halle a.d. Saale
  • April 1959 über Berlin-West nach Frankfurt a.M.
  • ab Juli 1959 Hersteller im S.Fischer Verlag
  • ab Oktober 1959 Hersteller in der Büchergilde Gutenberg
  • 1974 Herstellungsleiter und Künstlerischer Leiter für den Buchbereich
  • 1985–2000 Professur für Buchkunst an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
  • 1981 Gründung des BrennGlas Verlages, Assenheim
  • 1992 Gutenbergpreis der Stadt Leipzig

Eine kleine Auswahl von Seuss gestalteter Bücher

Büchergilde Gutenberg:

  • "Beat in Liverpool", Juergen Seuss, Gerold Dommermuth, Hans Maier, Frankfurt am Main, 1965
  • "Fußballweltmeisterschaft 1966", Wilfried Gerhardt, Frankfurt am Main
  • "Der zweite Weltkrieg", Raymond Cartier, Frankfurt am Main, 1968
  • "Das große Testament", François Villon, mit Zeichnungen von Gertrude Degenhardt, Frankfurt am Main, 1970
  • "Die neuen Leiden des jungen W.", Ulrich Plenzdorf, Frankfurt am Main, 1974
  • "An der Bucht, Das Gartenfest", Katherine Mansfield, Frankfurt am Main, 1988

Faber & Faber:

  • "Die Graphischen Bücher", Leipzig, ab 1993
  • "Die DDR-Bibliothek", Reihengestaltung, Leipzig, 1995

Juergen Seuss verfasste zudem mehrere Texte über Typographie, Ästhetik sowohl über Illustratoren und Künstler: Christian Egenolff, Walter Tiemann, Gunter Böhmer, Volker Sammet oder über den Verleger des Reclam Verlages Hans Marquardt.