In diesem Artikel möchte ich einmal die These formulieren, dass die deutsche Literaturlandschaft zu weiß ist. Toni Morrison hat in mühevoller, jahrzehntelanger Arbeit hochwertige Bücher Schwarzer Autorinnen und Autoren in den Katalog eines großen Verlagshauses gehievt. Ist das hierzulande schon erreicht? Sie können sich das selber fragen. Einmal in die Vertriebszahlen schauen, in die Listen. Wie sieht es in Ihrem Verlag aus? Allerdings muss ich zugeben, dass ich den Titel über meinem Gastbeitrag auch deshalb gewählt habe, damit Sie den Text lesen. Seien wir doch ehrlich: Wen interessiert im Hochsommer das Thema der Privilegien?
Ich gebe gern ein Beispiel. Am Montag war ich Privilegierte auf der Fachkonferenz für die Literatur- und Medienbranche im Rahmen der Lit:potsdam. Das Thema war “Schreiben und Publizieren im digitalen Zeitalter” und es ging unter anderem darum, wie Künstliche Intelligenz die Literaturbranche auf den Kopf stellen könnte. Zum Beispiel wurde erzählt, dass KI inzwischen Bücher auf ihre Bestseller-Fähigkeit hin analysieren kann.
Es war wunderbar, wir saßen im Garten, tranken Tee und aßen eine leichte Suppe und es war sehr friedlich. Nicht ohne Grund habe ich das Bedürfnis, im Nachhinein noch einmal etwas Salz in die Suppe zu geben, die ja auch meine eigene Suppe ist. Die Suppe der deutschen Literaturszene, die ich so sehr liebe, dass ich ihr gegenüber kritisch eingestellt bin. Ich meine die Suppe der in Deutschland rezipierten Literatur. Meist deutsch, meist weiß und meist geschrieben von Autorinnen und Autoren der großen Schreibschulen, wie Leipzig und Hildesheim.
Die Veranstaltung fand ich herrlich. Wir saßen unter Bäumen, hörten auf den Kopfhörern digital übertragen die Vortragenden, während wir durch den Garten schlenderten. Besser könnte eine Veranstaltung kaum organisiert sein. Worüber ich mich, wenn Sie so wollen, echauffiere, ist ein Thema, das uns alle, die wir da saßen oder nicht saßen, angeht. Behaupte ich. Denn ich fühlte mich wohl. Wir fühlten uns wohl.
Allerdings bin ich weiß, habe einen gewissen Bildungsstand, ein gewisses Alter, bin weder ganz jung noch ganz alt. Dankenswerterweise kamen auch keine größeren Konflikte auf, das Wetter war zu drückend, die Sonne ließ jede widerständige Energie ohnehin im Keim ersticken. Mit einer Ausnahme. Ein Lektor aus dem Publikum meldete sich zu Wort. Warum man denn die Frau von BoD (Books on Demand) an den Schluss der Veranstaltung gesetzt habe. Er warf ihr vor, Werbung betrieben zu haben. Für ihn gäbe es eine Frage der literarischen “Qualität” bei den im Selfpublishing herausgegebenen Bücher (warum ich denke, dass auch seine Wortmeldung eine Form von Eigenwerbung war - dazu später).
Frau Tams wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, ohne Hinweise auf mögliche Antworten zu geben. Das ist bedauerlich, weil es teils wirklich wichtige Fragen sind.
Dass wir grundsätzlich gründlicher und häufiger Stimmen aus Afrika, Asien und Lateinamerika hören und lesen sollten, ist keine Neuigkeit: Schon seit 1980 besteht eben deshalb, seinerzeit auf Betreiben der Frankfurter Buchmesse gegründet, die "Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika", die sich seit einiger Zeit unter dem Kürzel "Litprom" positioniert. Dieser "Gesellschaft mit dem langen Namen" ist die Übersetzung von hunderten literarischen Texten ins Deutsche zu verdanken, lange bevor z.B. afrikanischstämmige Autorinnen und Autoren durch die Schreibschulen in den USA, Großbritannien und Frankreich gingen und dadurch gelernt haben, Texte zu schreiben, die europäische und nordamerikanische Lesegewohnheiten bedienen.
Dass unsere Branche, nicht nur in Deutschland, diverser werden muss, ist ebenfalls hinlänglich bekannt. Da geht es um die Inhalte ebenso wie um die Leute, die diese Inhalte in Bücher "packen".
Penguin Random House hat sich für seinen britischen Ableger schon vor einiger Zeit konkrete Ziele gesetzt, sowohl was das Programm als auch das Personal im Haus angeht, andere Verlagskonzerne sind nachgezogen. PRH unterstützt Schreibwettbewerbe für ethnische und soziale Minderheiten, nicht nur mit Preisgeldern sondern auch mit intensiver editorischer Betreuung.
Um unsere Branche diverser werden zu lassen, sind aber nicht nur die Verlage gefordert. Es muss gesamtgesellschaftlich ein sehr viel stärkeres Bewusstsein dafür entstehen, dass wir massiv in Bildung investieren müssen, um Zugangsschranken für gewisse Berufszweige zu überwinden. Die wenigen TV-Köpfe mit "Migrationshintergrund" (schreckliches Wort) sind jedenfalls kein Anlass, Integration als "erledigt" zu betrachten, und Sharon Dodua Otoo und Mithu Sanyal (die ich beide bewundere) sind es auch nicht.
Unsere Gesellschaft und unsere Branche benötigt zwar solche einzelnen Blüten und kann und darf sich an ihnen erfreuen. Das Ziel sollte es aber sein, solche außergewöhnlichen Blüten einzubetten in eine saftige Wiese, in der die unterschiedlichsten Kräutlein und Blümchen fröhlich blühen können. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Zum Einen finde ich, dass die Forderung nach mehr Diversität der ethnischen Herkunft eine Scheindebatte ist. Letztendlich geht es darum, interessante Bücher zu schreiben und zu verlegen. Welcher Kunde achtet denn auf die ethnische Herkunft oder die Hautfarbe des Autoren? Warum spricht Frau Tams der Moderatorin des Panels ab, ihren Job gut zu machen, weil sie weiß ist (Dies ist im Übrigen auch Racial Profiling)? Aus Frau Tams Text geht nicht hervor, dass die Moderation nicht gelungen war.
Zum Anderen: Dass die Buchbranche in erster Linie aus Akademikern besteht, wird viel zu selten moniert und nimmt in dem Artikel nach meinem Geschmack einen viel zu kleinen Teil ein. Ich habe bei den Branchentreffen immer wieder beobachten dürfen, wie über "leichte" Belletristik wie Liebesromane oder Krimis immer wieder die Nase gerümpft wird, dafür aber der Lyrikband mit einer zweistelligen Auflage hoch gelobt wird. Dieses Denken ist es, das die Buchbranche immer noch in ihrem Elfenbeinturm weilen lässt. Auch die Debatte, wie weiß die Verlagslandschaft ist, ist vermutlich in sozial schwachen Kreisen eine Frage, die dermaßen unrelevant ist. Es ist zu hoffen, dass durch den Generationenwechsel, der nun langsam in den Verlagshäusern einzieht, auch dieses elitäre Denken zurückgefahren wird.