Im Hardrock-Himmel
Zum zweiten Mal feierte das Busy Hands Festival in Leipzig alles, was mit Gestaltung, Druckgrafik und Musik zu tun hat. Die Schnittmengen der DIY-Kunst zu Buchillustration und Comic sind mit Händen zu greifen.
Zum zweiten Mal feierte das Busy Hands Festival in Leipzig alles, was mit Gestaltung, Druckgrafik und Musik zu tun hat. Die Schnittmengen der DIY-Kunst zu Buchillustration und Comic sind mit Händen zu greifen.
In jüngeren Jahren hat der Grafiker, Plakatkünstler und Bühnenbildner Helmut Brade (*1937) stapelweise Fanpost junger Mädchen mit Kussmündern bekommen – nicht wegen seiner großartigen Kunst, sondern aufgrund der Namensgleichheit mit einem Fußball-Torwart, der zwischen 1970 und 1978 in der DDR-Oberliga zwischen den Pfosten stand. Dass es nun beim kleinen, feinen Busy Hands Festival im Neuen Schauspiel Leipzig zu einem Gipfeltreffen mit einer weiteren Koryphäe der grafischen Künste kam, der ebenfalls wie ein berühmter Fußballer ("spielt immer") heißt, Thomas Müller nämlich, war eine von zahlreichen Pointen des Tages. Das Panel, bei dem die beiden von Alexander Brade flankiert wurden, mit Helmut weder verwandt noch verschwägert, gehörte zu den Höhepunkten im Rahmenprogramm des dreitägigen Festivals rund um Druck, Kunst und Musik.
Im Mittelpunkt standen sogenannte Gigposter – von Hand gedruckte Konzertplakate in limitierter Auflage, deren Ursprünge im Punk und in den USA liegen. Thomas M. Müller (*1966), Professor für Illustration an der HGB und Schöpfer zahlloser prämierter Buchillustrationen, konnte immerhin ein Tourplakat für den Auftritt des wilden Gitarren-Professors Eugene Chadbourne in einem Leipziger Plattenladen vorweisen, landete dann aber rasch wieder im "Hardrock-Himmel", so der Titel eines als "Schönstes Buch" 2001 gekürten "Tollen Hefts" der Büchergilde Gutenberg. Der Hallenser Brade, gelernter Gebrauchsgrafiker, wurde für Regisseure wie Achim Freyer, Benno Besson oder Peter Konwitschny zu einem genialen Bühnenbildner; dafür gingen schon zu DDR-Zeiten die Schlagbäume auf. Brade durfte reisen, nach Tübingen, Stuttgart, Basel, Paris, Kopenhagen oder Tokyo. Berühmt wurde er durch seine Plakate, auf denen der Freigeist sich selbst schon mal mit Jakobiner-Mütze darstellte. Lohengrins Schwan per Tipp-Ex auf schwarzem Grund oder ein echter 1000-DM-Schein mit dem Konterfei des Johannes Scheyring ("Der sah so geizig aus!") für ein Brecht-Plakat – nichts, was es bei Brade, der seine Plakate akribisch durchnummeriert und inzwischen bei 754 ist, nicht gibt.
Etwas in Moll gestimmt ist der Altmeister, wenn es um die Zukunft des Plakats geht. Im urbanen Raum spielen sie nur noch eine Nebenrolle. Zählten die Auflagenhöhen früher nach Tausenden, hört Brade jetzt schon mal, dass "fünf Exemplare genügen" würden. Wenn die Hälfte der Auflage ein Nachleben als "mit Bedeutung aufgeladene Ersatz-Tapete", als "persönliche Kulisse des Lebens" in Privatwohnungen spielt, wie Kollege Müller hofft, scheint noch nicht alles verloren. Plakate sind für die Stadt gemacht; sieht man sie im Innenraum, wirken sie groß, in freier Wildbahn sind sie eine Briefmarke.
Für Henning Wagenbreth (*1962), der in seinem Wandertheater alle nur möglichen Formate bespielt – vom elektronischen Comic-Strip für den Taschencomputer, den Urgroßvater des Smartphones, bis zum Plakat – kann es nicht groß genug sein: Der Grafiker, Professor an der Berliner Universität der Künste im Studiengang Visuelle Kommunikation, schwört auf Lézard Grphique in Brumath bei Straßburg: "Die können noch doppelt A 0 drucken. Da werden die Farben nicht im Joghurtbecher, sondern in Eimern gemischt." Wagenbreths erste Plakate nach dem Studium entstanden fürs Theaterhaus Jena, wo er alle Freiheiten hatte: "Wir machen unsere Inszenierungen auf der Bühne, du auf Papier", hieß es damals. Längst ist das Buch für Wagenbreth eine Bühne mit der U 1 als Vorhang und den einzelnen Akten, die dann folgen – zuletzt mustergültig umgesetzt bei "Rückwärtsland" (Peter Hammer), eines der schönsten deutschen Bücher 2022.
Das Busy Hands, dessen Premiere 2021, mitten in Pandemie-Zeiten, stattfand, und von einem Kollektiv um Anna Jäger, Philip Janta, Carlo Vivary, Markus Färber, Sascha Knorr, Hannes Hirche und Falk Schwabe getragen wird, will Künstlerinnen und Künstler vernetzen, die Überschneidungen zu Buchillustration und Comic sind nicht nur bei Brade, Müller oder Wagenbreth mit Händen zu greifen. So ist der Schweizer Grafikdesigner und Letterpress-Drucker Dafi Kühne gerade auch in einer Ausstellung im Museum für Druckkunst zu sehen. Und der italienische Indie-Verlag Strane Dizioni, der sich bei Busy Hands präsentierte, hat tolle Bücher etwa von Henning Wagenbreth, BlexBolex, Igor Hofbauer, Sophia Martinek oder Nora Krug im Programm. Da schließen sich Kreise.