Open Bookstore Day & Bookfest City

Ein schöner Rückfall in die Normalität

18. Oktober 2020
Redaktion Börsenblatt

22 Frankfurter und zwei Offenbacher Buchhandlungen hatten zur Frankfurter Buchmesse am Samstag erstmals zum Open Bookstore Day eingeladen. Und Andreas Steinhöfel las im Frankfurter Hof: ganz real, echt, eine der wenigen Ausnahmen.

Philip Waechter signiert im Tatzelwurm

Ergänzend zum Lesefest Open Books sollte der Open Bookstore Day nach Vorstellung der Frankfurter Kulturdezernentin Ina Hartwig 24 kleine Buchmessen vor Ort sein, zum Stöbern und Entdecken. Und wurden es vielerorts auch, trotz einiger Coronabedingter Absagen. Beim Tatzelwurm in der Glauburgstraße etwa signiert Philip Waechter. "Eigentlich hatten wir überlegt, einen Tisch vor die Tür zu stellen und die Aktion draußen zu machen, um sichtbarer zu werden", sagt der Illustrator, "aber dann hat es zu regnen begonnen – bleibt also doch nur drinnen." Einige Bücher hat er schon signiert, "mal abwarten, wie viel Leute bei dem Regen Lust zum Bummeln haben." Kaum ausgesprochen, kommt auch schon ein Aspirant mit Buch, einer stöbert – und Moment, es dürfen schließlich nur drei Kunden gleichzeitig in den Laden ... Also nichts wie wieder raus: Tatsächlich stehen vor der Tür schon drei Waechter-Begeisterte und warten geduldig darauf, hineinkommen zu dürfen.

Kartografik bei Hugendubel

Die Buchhandlung Land in Sicht, Rotteckstraße Ecke Mercatorstraße, hat ein Schaufenster zum Buchmessen-Gastland Kanada dekoriert; überhaupt machen viele Buchläden auf die Buchmesse aufmerksam. In der Wendeltreppe in der Brückenstraße bekommen Kunden immer wieder ein Gedicht vorgetragen, die Buchhandlung Schutt hat Moritz-Verleger Markus Weber eingeladen, der unterhaltsam ein paar Neuerscheinungen vorstellt. Unterhaltsam, das kann auch Benjamin Fredrich ziemlich gut: Der junge Verleger des ebenso jungen Katapult Verlags in Greifswald, der mit seinem Magazin Kartografik und Sozialwissenschaft verbindet, spricht bei Hugendubel im Steinweg vor einem Dutzend Zuhörer in einem abgetrennten Raum im Erdgeschoss. 15 Uhr ist es, rund 100 maskierte Kundinnen sind in den vier Stockwerken unterwegs, viele Jüngere und nicht wenige Schüler, die aufmerksam die Titel in den Lernen-Regalen studieren; dazu noch 15 maskenbefreite Kundinnen im Café.

Andreas Steinhöfel im Frankfurter Hof

Zwei Ecken weiter wartet Andreas Steinhöfel im Frankfurter Hof im Rahmen des Bookfest City. Irgendwie traut man sich kaum zu glauben, dass hier nun doch real um 16 Uhr eine Lesung stattfinden soll und nicht nur ersatzweise im Livestream, aber es ist so: Alle 75 Plätze im riesigen Saal sind mit gebührendem Abstand besetzt, viele Familien, der Bestsellerautor hat seinen Platz auf der Bühne eingenommen und zeigt gut gelaunt "das hellste Gewitter, das auf einem Kinderbuchcover zu sehen ist". Erst sei das Gewitter viel geheimnisvoller gewesen und dunkler, verrät Steinhöfel, "aber der Verlag meinte: Nee, wenn das Cover so dunkel ist, kauft das doch keiner, da kriegt man vielleicht Angst. Also wurde das Gewitter immer heller und heller – ich fand als Kind ja ein dunkles Cover absolut gut, aber mich fragt ja keiner …"

Steinhöfel führt in die Geschichte des fünften Bands seiner "Rico und Oskar"-Reihe ein und erläutert die Zusammenarbeit mit Illustrator Peter Schössow: "Er ändert bei jedem Bild etwas oder fügt was hinzu, was ich gar nicht geschrieben habe, und dann sage ich: Moment mal … Und dann sagt er: Na, da musste jetzt eben den Text ändern, und ich sage: Wieso ich?, aber das interessiert ihn gar nicht und dann ändere ich – was am Ende aus ihm einen sehr guten Künstler macht und automatisch aus mir einen schlechteren, weil ich nachgebe. Naja, aber ich wäre doof, wenn ich ihn nicht machen ließe, weil er einfach gut ist und ein toller Typ." Die Zuhörer haben sichtlich ihren Spaß an den Steinhöfelschen Erläuterungen, Hinführungen, Erklärungen und Geschichten, immer wieder ist ein gelöstes Lachen zu hören, anderthalb Stunden "Rückfall in die Normalität, man hat völlig vergessen, dass Corona ist und alle Masken tragen", wie nach der Lesung eine Mutter treffend meint.

Aber Steinhöfel liest auch grandios, mit feinst nuancierten Stimm- und Gefühlslagen, mal schnoddderig, genervt, aufbrausend, mal staunend, schmallippig, langsam überlegend. Auch Fragen beantwortet er – etwa, ob nicht doch noch ein sechster "Rico und Oskar"-Band zu erwarten sei. "Tja, man weiß ja in diesen Zeiten nicht so, wie das mit der Rente wird, und Rico mutiert hier im Band ja so ein bisschen als Schriftsteller – vielleicht geht dann irgendwann mal was in dieser Richtung." Wie anstrengend ist Schreiben? Beim Schreiben selbst müsse er sich nicht anstrengen, sagt er, bei den fünf Bänden habe er zudem viel Humor reinpacken können, was ihm einfach liege – "das Anstrengende sind die Vorarbeiten." Warum er nicht bei der Verfilmung mitgespielt habe?, will ein Mädchen wissen. "Weil die Leinwand nicht breit genug war … Nee, mich hat es nicht gereizt; das Filmen dauert ewig – da wird einen ganzen Tag lang gedreht und dann kommen am Ende zwei, drei Minuten Film raus! Also da rat’ ich dir: Guck lieber Farbe an der Wand beim Trocknen zu, das ist spannender."

Nach dem langen Applaus erklärt Annegret Försterling von der Buchmesse, dass diejenigen, die nicht zum Signieren bleiben wollten, schon gehen könnten: Das verhindere zusätzliche Begegnungen im Flur. Allerdings: Kein einziger steht auf. Folglich werden die Zuhörerinnen Reihe für Reihe hinausgebeten. Draußen wartet schon Ulrike Boessneck-Voigt von der Buchhandlung Eselsohr mit dem Büchertisch, stilvoll in Marmor. Sie ist auf der Messe im Dauereinsatz, der letzte Büchertisch für heute, es hat sich gelohnt, resümiert die Buchhändlerin, morgen geht es dann weiter. "Welcher Band fehlt Dir noch?", fragt ein Papa und der Sohn zeigt auf den dritten, der dann als Taschenbuch erworben wird. Derweil signiert Steinhöfel unverdrossen hinter der Plexiglasscheibe: eine Szene, die unwillkürlich an einen Postschalter erinnert. Aber so ist das in Corona-Zeiten.