Sichtbarkeit für queere Literatur und Menschen (1)

Donat Blum: "Wir alle tragen schwer am Patriarchat"

19. Juli 2021
Charline Vorherr

Im Hinblick auf queere Institutionen im Literaturbetrieb ist noch viel nachzuholen, findet Autor Donat Blum. Deshalb hat er die erste deutsche queere Literaturzeitschrift, Glitter, gegründet. Im Interview berichtet er, warum es essenziell ist, dass queere Literatur nicht mehr als Nischen-Lektüre betrachtet wird.

Wer und was erscheint bei Glitter und was ist das Konzept dahinter?
Es ist die erste und einzige queere Literaturzeitschrift im deutschsprachigen Raum. Queer definieren wir als sehr weiten Begriff und verstehen darunter alles, was mit heteronormativen, patriarchalen und gender-binären Strukturen umgeht, sie hinterfragt und damit spielt. Die Texte oder die Autor*innen können queer sind. Wir veröffentlichen aber nur literarische Texte, also keine Literaturbesprechungen uä.

Glitter widmet sich also ausschließlich queerer Literatur. Wie kam es zur Gründung von Glitter?
Donat Blum: Das war eine spontane Idee in einer Nacht in Wien 2016. Es gab bisher keine Publikationsmöglichkeiten für queere Texte und Autor*innen. Der Plan war, dass eine Freundin und ebenfalls Autorin, Ivona Brđanović, einen Text schreibt, ich einen Text schreibe, wir noch zwei, drei weitere Autor*innen dazuholen und der Freund, bei dem ich in Wien übernachtete, der Grafikdesigner und ebenfalls queer ist, das Magazin gestaltet. Ich stellte mir vor, dass das alles super einfach sein würde.

Und war das Vorhaben denn so einfach?
Donat Blum (lacht): Es hat dann doch noch ein Jahr gedauert. Der Name „Glitter – die Gala der Literaturzeitschriften“ kam mir zwar auch schon in jener Nacht, wir wollten das ganze aber auch finanziert haben, weil wir die Autor*innen und das Grafikdesign entlohnen wollten. Das ist oft ein Problem in queeren Kontexten: die Erwartung, dass man Kunst aus Idealismus macht. Aber mit Glitter wollten wir professionelles Kultur- und Literaturschaffen stärken. Deshalb haben wir uns auf die Suche nach Geldern gemacht und das dauerte dann noch ein Jahr.

Seither erscheint Glitter jährlich. Was erwartet die Leser*innen mit der neuen Ausgabe?
Genau, im Dezember erscheint die fünfte Ausgabe. Mehr als 30 Autor*innen werden darin vertreten sein. Erstmals werden wir vier Texte zweisprachig, deutsch und französisch, abdrucken. Es werden 10 längere Prosa-Texte und 20 kürzere, sogenannte Mikrotexte, die gerne auch mal experimenteller sind, erscheinen. Zudem wird mit Natyada zum ersten Mal ein*e Illustrator*in die ganze Zeitschrift bebildern.

Das ist oft ein Problem in queeren Kontexten: die Erwartung, dass man Kunst aus Idealismus macht.

Wie sind die Rückmeldungen?
Wir, die Autor*innen und Grafikdesigner*innen, sind ziemlich gut vernetzt . So gelingt es uns, die Zeitschrift im Literaturbetrieb gut zu positionieren. Im Prinzip sind es die weit über hundert Autor*innen, von Ronya Othman bis Kristof Magnusson, die Teil von Glitter sind und waren, die Glitter relevant machen.. Das funktioniert eigentlich ganz gut – auch weil es ja ein totales Vakuum bezüglich queeren Institutionen im Literaturbetrieb gibt. Wenn sich jemand auf das Thema einlässt und damit beschäftigen will, kommt sie_er an uns nicht vorbei. Die Rezensionen sind auch immer gut.

Was ist das Ziel der Glitter?
Wir wollen Autor*innen bestärken, an queeren Texten zu arbeiten und dranzubleiben. Es ist zentral, dass es Zwischenformen bis zum Buch gibt, damit man weiß, dass diese Texte gelesen und verlegt werden. Alle Texte, eine Mischung aus Einsendungen und Akquirierungen, werden deshalb auch eingehend lektoriert.

Wo kann man die Zeitschrift kaufen?
Vor allem online, mittlerweile in fünf Online-Shops. Die Links finden sich bei uns auf der Website. Stationär haben wir mit zwei Buchhandlungen angefangen – Eisenherz in Berlin und Queerbooks in Bern. Mittlerweile kommen zudem immer mehr Buchhändler*innen auf uns zu.

Interessierte Buchhandlungen können sich bei Interesse bei Ihnen melden. Gibt es Kooperationen mit Verlagen?
Bei den Mikrotexten sind Auszüge aus Romanen möglich. Das sind dann ganz schöne, kleine Teaser, die gleichzeitig auch einen Einblick geben, was derzeit an queeren Büchern publiziert wird.. Da gibt es also noch weiteres Potenzial für Kooperationen.

Das nächste Thema der Woche im Börsenblatt beschäftigt sich mit der Sichtbarkeit von queerer Literatur und queeren Akteur*innen im Literaturbetrieb. Was wünschen Sie von der Branche in dieser Hinsicht?
Zuallererst wünsche ich mir, dass das Thema ernstgenommen wird, dass gesehen wird, dass queere Themen nicht nur Queers angehen sondern alle angeht. Dass man wegkommt von diesem Nischendenken, das schädlich und im Endeffekt queerfeindlich ist.

Was kann man denn tun, um den Stempel „Nische“ von queerer Literatur auszulöschen?
Ich glaube, dass sich alle weiterbilden müssen: Verlage, Autor*innen, Journalist*innen und Veranstalter*innen. Sich weiterbilden, was es bedeutet, queer zu sein, warum das für die Literatur und die Gesellschaft relevant ist und warum alle Menschen Teil davon sind: Geschlechter- und Beziehungsnormen gehen uns alle etwas an. Wir alle tragen schwer am Patriarchat. Sogar die heterosexuellen Männer. Die Akteur*innen des Literaturbetriebes müssen realisieren, dass sie in der Verantwortung stehen, da Gegensteuer zu geben, um alle Leute, die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt an der Literatur teilhaben zu lassen.

Donat Blum

Donat Blum ist 1986 in der Schweiz geboren und hat am Schweizerischen und Deutschen Literaturinstitut und in Bern Religionen studiert. Er war Leiter des Filmfestivals Queersicht. 2018 ist sein Debüt "OPOE" bei Ullstein Fünf erschienen, das unter anderem mit Stipendien des Literarischen Colloquiums Berlin ausgezeichnet wurde. Blum ist unter anderem Gründer der Literaturzeitschrift "Glitter - die Gala der Literaturzeitschriften", Veranstalter der Reihe Skriptor und jhat 2020 das online Literaturfestival "Viral" kuratiert. Gerade arbeitet er an seinem zweiten Roman und einem Kino-Dokumentarfilm.

Mehr Stoff zu den Themen queere Literatur und Sichtbarkeit von queeren Akteur*innen im Literaturbetrieb folgt im Thema der Woche in der Börsenblatt Ausgabe 29. Sie erscheint am 22. Juli.

Weitere Interviews folgen:

- Jim Baker, Querverlag: "Zu häufig höre ich: Nischenliteratur!"

- Lina Muzur, Hanser Berlin: "Diversität ist kein Modethema"

- Lann Hornscheidt, w_orten & meer: "Kein Nischenprogramm"

- Kristine Listau und Jörg Sundermeier, Verbrecher Verlag