Der schimpfend Liebende
Jörg Schröder, der Verleger des März-Verlages, ist am 13. Juni im Alter von 81 Jahren gestorben. 50 Jahre hat er die Branche geprägt. Ein Nachruf von Jörg Sundermeier.
Jörg Schröder, der Verleger des März-Verlages, ist am 13. Juni im Alter von 81 Jahren gestorben. 50 Jahre hat er die Branche geprägt. Ein Nachruf von Jörg Sundermeier.
Nur eine von unzähligen Anekdoten: Im April 1970 berichtete der Spiegel, die Bundespost mache „Jagd auf gefälschte Lenin-Gedenkmarken“. Auf die Fälschung von Briefmarken stand bis zu drei Monaten Freiheitsstrafe. Gedruckt und mit Angabe der Absenderadresse verschickt hatte diese Marken der März-Verleger Jörg Schröder – nicht, weil er Leninist war, sondern um darauf aufmerksam zu machen, dass eine solche Gedenkmarke fehle. Da „die doch sonst Briefmarken für jedes deutsche Rotkäppchen und den Tag des Baumes machen“ war genug Anlass für den Verleger – der am Ende mit Glück mit einer Geldstrafe davonkam.
Diese Aktion war eine der vielen, oft sehr medienwirksamen Scherze, die Schröder sich erlaubte, und zwar ganz gleich, ob er gerade vermögend war oder nicht.
Der 1938 in Berlin geborene Schröder war ausgebildeter Buchhändler, der bei der Schrobsdorff’schen Buchhandlung in Düsseldorf gelernt hatte, anschließend hatte er die Werbefachschule in Köln besucht, um sich danach als Werbeassistent im Westdeutschen Verlag und bei der Werbeagentur Lorenz und Bogo zu verdingen. In letzterer prägte er den berühmten Werbeslogan: „Doornkaat – heiß geliebt und kalt getrunken.“ 1962 wechselte Schröder in die Werbeabteilung zu Kiepenheuer & Witsch, dort entwarf er Anzeigen und Kataloge, auch arbeitete er als Pressechef. 1964 verließ er Köln, jobbte kurz in der Versandbuchhandlung Josef Rieck in Aulendorf, danach wurde er Verlagsleiter im Joseph Melzer Verlag in Darmstadt.
War er bis dahin ein eher durchschnittlicher Hallodri und Rebell, so entwickelte er sich im Melzer Verlag, der finanziell bei Schröders Arbeitsbeginn aus dem letzten Loch pfiff, zu der Legende, über die die Branche seit 50 Jahren staunt.
Mithilfe des Romans „Die Geschichte der O“ von Pauline Réage konnte Schröder den bis dato vor allem auf Judaica spezialisierten Verlag sanieren, zugleich verschob er damit in der deutschen Rechtsprechung die Wahrnehmung dessen, was Pornographie war. Er brachte weitere moderne Klassiker, etwa Charles Bukowski, bei Melzer unter, dessen Verlagsertrag sich sprunghaft entwickelte.
Doch Joseph Melzer überwarf sich mit Schröder, sodass dieser – mit fast der ganzen Melzer-Belegschaft – seinen eigenen Verlag gründete: März. Bereits mit dem im ersten Programm von 1969 enthaltenen Buch „ACID. Neue amerikanische Szene“, das Ralf-Rainer Rygulla und Rolf Dieter Brinkmann herausgaben und dessen aufwendige Gestaltung Schröder verantwortete, publizierte er einen Klassiker. Es folgten „Einer Flog über das Kuckucksnest“ von Ken Kesey, Bände von Leonhard Cohen, Valerie Solanas, Gunter Rambow oder Peter O. Chotjewitz oder „Sexfront“, das Aufklärungsbuch von Günter Amendt, das sich insgesamt über 400.000 mal verkaufte. Finanziell gestützt wurde das Unternehmen dadurch, dass Schröder zugleich die deutsche Olympia Press begründete, in der pornographische Werke erschienen.
"Schröder war Tausendsassa, der frühe Macker, der spätere Feminist, der Antifaschist, der Linke, der Unorthodoxe, der Kunstmensch, der Feuilletonverächter, der Genussmensch, der Schimpfende und schimpfend Liebende"
Jörg Sundermeier
Für beide Verlage prägte Schröder das Erscheinungsbild, besonders aber die Cover des März-Verlages prägten sich ein: gelber Einband, dazu eine fette schwarze oder rote Schrift, oft kein Bild, immer aber außerordentlich groß in Rot der Verlagsname: März. Dieses Design kann bis heute locker neben den klassischen Reihendesigns von Willy Fleckhaus und Celestino Piatti bestehen.
Der März Verlag geriet immer wieder in finanzielle Schwierigkeiten, hier wurde eine Auflage eines Buches beschlagnahmt, da war Schröder – der den Pop und die Postmoderne in die deutschsprachige Literatur brachte – seiner Zeit zu sehr voraus. Seit 1982 arbeitete er gemeinsam mit seiner Ehefrau Barbara Kalender, die schließlich 1987 den endgültigen Konkurs des Verlages anmelden musste. Legendär auch hier die vorausgehenden Rettungsaktionen, etwa, als Schröder 1986 auf der Frankfurter Buchmesse jenen, die für mindestens 200 DM Bücher kauften, professionell die Schuhe putzte.
Schröder war nicht nur ein überraschender und gewiefter Verleger, er war auch grandioser Erzähler. 1972 veröffentlichte er „Siegfried“ (mit Ernst Herhaus), unverblümte Memoiren, die der Schöffling Verlag mit großem Anhang erst 2018 wieder hausgegeben hat, 1982 erschien „Cosmic“ (mit Uwe Nettelbeck), in welchem Schröder erzählte, wie er die deutsche Friedensbewegung befeuerte, da er durch Zufall – und dank seine nimmermüden Neugierde – auf geheime Atomwaffenanlagen in der BRD stieß. In diesem Jahrtausend erschienen die Bände „Immer radikal, niemals konsequent. Der März Verlag – erweitertes Verlegertum, postmoderne Literatur und Business Art“ (2011, zusammen mit Barbara Kalender und Jan Frederik Bandel) und „Kriemhilds Lache. Neue Erzählungen aus dem Leben“ (2013, mit Barbara Kalender, illustriert von F.W. Bernstein).
Über 28 Jahre jedoch, von 1990 bis 2018, erschien das gemeinsame Hauptwerk von Barbara Kalender und Jörg Schröder, die Folgen von „Schröder erzählt“, die zunächst aufs Tonband gesprochen, dann gemeinsam redigiert und schließlich im Desktop-Verfahren hergestellt wurden. Das Werk wurde ausschließlich an Subskribenten vertreiben. Diese Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik, in der beide „Ross und Reiter“ nennen, steht inzwischen in 32 Bibliotheken, darunter ist die Library of Congress und die der Harvard University.
Und was fehlt hier noch alles: Jörg Schröder als Herausgeber von Bernward Vespers „Die Reise“ (1977) und Peter Kupers „Hamlet“ (1980), das „MÄRZ-Mammut“ (1984), der Fernsehfilm von und mit Schröder, „Die-März-Akte“, der 1986 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, das März-Archiv in Marbach, das Archiv der 2013 gegründeten März Gesellschaft in Leipzig, die Ausstellungen, die späte Anerkennung in bürgerlichen Kreisen, die Schröder stets suspekt waren.
Vor allem aber kann hier gar nicht richtig beschrieben werden, wer Schröder war: der Tausendsassa, der frühe Macker, der spätere Feminist, der Antifaschist, der Linke, der Unorthodoxe, der Kunstmensch, der Feuilletonverächter, der Genussmensch, der Schimpfende und schimpfend Liebende, der, der die eine Hälfte des gleichberechtigten Duos Kalender und Schröder war, das Vorbild, der Ratgeber, der Freund…
Dieser wunderbare Mensch ist Samstag, den 13. Juni 2020, im Berliner Virchow-Klinikum gestorben, dort, wo er 81 Jahre zuvor geboren wurde.
Ach, Jörg! Du fehlst.
Jörg Sundermeier ist Verleger des Verbrecher Verlags in Berlin