Das kam so: Wagenbach gründete 1964 in seiner Geburtsstadt, dem inzwischen geteilten, durch eine solide Mauer getrennten Berlin, zusammen mit seiner Frau Katja seinen Verlag. Er hatte, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, von seinen Eltern eine Wiese geerbt und verkauft, was er als Gründungskapital einbringen konnte. Trotzdem war das in jener Zeit außerordentlich riskant, denn es gab keine literarischen Verlage in Berlin, kein Verlagsmilieu. Kein Rowohlt mehr, kein Fischer, von den vielen interessanten Verlagen der 20er Jahre war nichts geblieben, die meisten Verleger waren vertrieben oder umgebracht worden.
Es gab einige interessante Zeitschriften, wie den "Monat", die "Neuen Deutschen Hefte" oder die "Neue Rundschau", deren Redaktionen in Berlin angesiedelt waren, es gab eine Handvoll guter Buchhandlungen – wie Marga Schoeller oder Kiepert –, es gab die Ford Foundation, die einige aufregende Künstler nach Berlin holte, aber es fehlten intellektuelle Zentren. Auf der anderen Seite, in Ost-Berlin, der Hauptstadt der DDR, war das anders.
Ich war schon mit einem Bein in München, als mich ein weiterer Brief Wagenbachs erreichte: Ob ich mit ihm ein Jahrbuch für Literatur herausgeben wolle, das auf den schönen Namen "Tintenfisch" hören sollte. Ja, ich wollte. Also haben wir 20 Jahre lang die gesamte deutsche Literatur inklusive aller Zeitschriften gelesen, und Klaus hat mithilfe eines Taschenrechners alles auf die Zeile genau ausgerechnet, damit kein Platz verschenkt wurde. Manchmal finde ich in meinen Papieren die langen Listen, die hin und her wechselten, mit Kommentaren versehen: grauenhaft, hihi, depri, bitte!!!, aber seltsamerweise entstand immer wieder ein neues Jahrbuch, das man heute noch mit Gewinn lesen kann.