Black History Month 2022

"Wir wollen die komplette Bandbreite Schwarzen Lebens in Deutschland zeigen"

14. Februar 2022
Charline Vorherr

“Es gibt so viele Geschichten, die aus einer Schwarzen Perspektive erzählt werden können, die noch fehlen", so die Autorin Sharon Dodua Otoo. Der Black History Month im Februar weist auf genau jene Schwarze Geschichte in Deutschland hin. Buchhandlungen nehmen den Monat ebenso zum Anlass, um durch Veranstaltungen, Schaufenster und Büchertische auf Schwarze Literatur aufmerksam zu machen. Wir haben Buchhändler:innen nach ihren Lieblingen gefragt.

Im Jahr 1926 machte der Historiker Carter G. Woodson die breite Öffentlichkeit auf den Beitrag von Afroamerikanern zur Geschichte ihres Landes aufmerksam. Er gilt als der „Vater der Schwarzen Geschichte“, war er schließlich einer der ersten, der das Studium der Afroamerikanischen Geschichte zur Fachdisziplin der Geschichtswissenschaft machte. Seitdem wird im Februar, dem Geburtsmonat von Abraham Lincoln, Frederick Douglass und Langston Hughes, der Black History Month gefeiert.

Auch in Deutschland gewinnt die Aktion zunehmend an Bedeutung. Zahlreiche Institutionen nutzen den Februar, um auf die Schwarze Präsenz in der deutschen Geschichte hinzuweisen und über bedeutende Schwarze Persönlichkeiten zu sprechen. 

Sarah Lutzemann, Inhaberin der Diversitybuchhandlung Kohsie in Halle/Saale, setzt ihren Fokus im Februar bewusst auf die Geschichte(n) Schwarzer Autor:innen in Deutschland. Hier denke man beim Black History Month meist an die USA und vergesse dabei, dass Schwarze Menschen schon seit vielen Generationen die Geschichte dieses Landes mitgeprägt haben. Bei Kohsie gibt es einen Büchertisch und ein Schaufenster. Auf Instagram begleitet Sarah Lutzemann den Monat, indem sie Bücher von Schwarzen Autor:innen, die in Deutschland leben oder gelebt haben, vorstellt. 

„Wir wollen die komplette intersektionale Bandbreite Schwarzen Lebens in Deutschland zeigen“, so Sarah Lutzemann. Ihre Buchhandlung konzentriert sich im Allgemeinen auf die Literatur von Frauen und queeren Menschen, insbesondere jener mit BIPoC-Hintergrund. Ein großartiges Buch zu diesem Thema sei der Essayband „Schwarz wird großgeschrieben“, im Herbst 2021 von Evein Obulor und dem RosaMag bei &Töchter herausgegeben. „In diesem Buch kommen viele unterschiedliche Stimmen Schwarzer Menschen in Deutschland zu Wort, auch queerer oder trans Menschen.“  

„Schwarz wird großgeschrieben“ ist auch eine viel Empfehlung der Buchhandlung Brencher in Kassel-Wilhelmshöhe - insbesondere wegen der Vielfalt Schwarzer Perspektiven, die das Buch aufzeigt. Ende Januar fand eine Lesung gemeinsam mit Herausgeberin Evein Obulor und Autorin Emilene Wopana Mudimu im ruruHaus statt, einer alten umgebauten Sportarena. Insgesamt 45 Menschen nahmen live vor Ort teil, weitere 200 Zuschauer:innen schalteten sich per Stream dazu. Die Aufzeichnung der Veranstaltung zählt Anfang Februar bereits über 400 Klicks und kann auf YouTube nachgeschaut werden. Eine Auswahl des sorgfältig kuratierten Büchertischs bildet nun die Grundlage des Schaufensters im Februar.

„Wir haben unglaublich positive Rückmeldungen von unseren Kundinnen auf die Veranstaltung und das Schaufenster bekommen“, erklärt Brencher-Inhaber Jörg Robbert im Gespräch mit Börsenblatt online. Allerdings – und das ist wichtig zu betonen – engagiert sich die Buchhandlung seit vielen Jahren für Schwarze Literatur, nicht nur zum Black History Month. „Das ist unser Verständnis als Buchhandlung – wir begleiten und bringen uns in gesellschaftliche Prozesse ein. Das funktioniert gut, obwohl Wilhelmshöhe ein konservativer Stadtteil ist.“

Und welche Titel dürfen auf den Büchertischen von Kohsie und Brencher nicht fehlen?

Sarah Lutzemann, kohsie

Sarah Lutzemann, Kohsie

"Um mehr über die Geschichte Schwarzer Menschen, vor allem Schwarzer Frauen, in Deutschland zu erfahren, empfehlen wir das Buch „Farbe bekennen - Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“ (Orlanda), herausgegeben von Katharina Oguntoye, May Ayim und Dagmar Schultz. An Romanen haben wir das Buch „Schwarzes Herz“ von Jasmina Kuhnke (Rowohlt) herausgestellt. Es verarbeitet viele Themen wie etwa Rassismus und häusliche Gewalt in einer fiktiven Erzählung und gibt damit sowohl der Protagonistin, aber nicht zuletzt der Autorin, eine Stimme um über diese Traumata zu sprechen."

Jörg Robbert, Buchhandlung Brencher

"Wir haben, auch für die Veranstaltung, eine ganze Liste voller Buchempfehlungen zusammengestellt und gegliedert in Belletristik, Sachbuch, Biografien und Kinderbücher, die jetzt in unserem Schaufenster ausliegen. Wenn man mehr in Biografien und Geschichten von Schwarzen Menschen in Deutschland reinlesen will, empfehlen wir Olivia Wenzels „1000 Serpentinen Angst“ (S. Fischer) und „Mist, die verstehen ich ja“ von Florence Brokowski-Shekete (Orlanda). In der Belletristik dürfen „Wut und Böse“ von Ciani-Sophia Hoeder (Hanser), die Krimis von Attica Locke (Polar) und Brit Bennett (Rowohlt) nicht fehlen. Im Kinderbuchbereich verkaufen sich die Bilderbücher von Eymard Toledo (baobab) sehr viel, ebenso wie die „Little People“-Bände Martin Luther King und Angela Davis (Insel).“

Der Black History Month bei Dussmann

“Es gibt so viele Geschichten, die aus einer Schwarzen Perspektive erzählt werden können, die noch fehlen." So lässt sich die Autorin Sharon Dodua Otoo (Adas Raum) für die Black History Month-Kampagne des Kulturkaufhauses Dussmann zitieren. "Deshalb steht bei uns der Februar ganz im Zeichen des Black History Month", so Stefanie Gladisch, Projektleitung Marketing & Verlagskooperation. "In Kooperation mit Each One Teach One (EOTO) e.V. - ein Schwarzes Community-basiertes Bildungs- und Empowerment-Projekt in Berlin - haben wir passende Titel kuratiert und präsentieren sie auf Büchertischen; auch in einem Schaufenster haben wir das Thema aufgegriffen."

Auf einer Aktionsseite hat Dussmann wichtige Begriffe zu Schwarzer Geschichte und Antirassismus erklärt und Buch- und Filmempfehlungen und Wissenswertes rund um den Black History Month gesammelt. Daneben wird der Monat auf dem Blog, im eigenen Kulturmagazin und auf den Social Media Kanälen thematisiert, Nadja Ofuatey-Alazard, Geschäftsführerin von EOTO, wird im Dussmann-Podcast "KulturGut" über die Geschichte Schwarzer Präsenz in Deutschland berichten.

Und welche Titel dürfen auf den Büchertischen von Dussmann in diesem Monat nicht fehlen? "Flyboy 2: The Greg Tate Reader" (Duke University Press): Der Sammelband bietet einen Panoramablick auf die letzten dreißig Jahre von Greg Tates Arbeit, eine der wichtigen kritischen Stimmen zu zeitgenössischer Schwarzer Kunst. Außerdem Sharon Dodua Otoos Buch "Adas Raum" (S. Fischer), das die Lebensgeschichte vieler Frauen zu einer Reise durch die Jahrhunderte und über Kontinente verwebt. Für Eltern, die ihre Kinder rassismussensibel erziehen wollen, empfiehlt das Dussmann-Team "Wie erkläre ich Kindern Rassismus?" von Josephine Apraku (familiar faces). 

Ein Kinderbuch, das auf keinem Büchertisch fehlen dürfe: "Sulwe" von Lupita Nyong’o (mentor Verlag, Ü: Maisha Auma)Basierend auf ihrer persönlichen Geschichte hat die oscarprämierte Autorin Lupita Nyong’o eine neue Heldin geschaffen. Sulwe ist dunkler als alle in ihrer Familie und ihrer Schule – und versucht alles, um anders auszusehen. Doch dann begibt sie sich auf eine magische Reise und lernt, ihre Schönheit zu schätzen. Das Buch kritisiert kindgerecht Colorism, die gesellschaftliche Präferenz für Menschen mit helleren Hauttönen, und zeigt, wie wertvoll Selbstakzeptanz ist.

Schwarze Autor:innen sind nicht nur Expert:innen zum Thema Antirassismus, sondern auch Verfasser:innen unterhaltsamer Romane. 

Sarah Lutzemann

Und wie ist die Resonanz der Kund:innen?

Sarah Lutzemann von Kohsie in Halle erzählt, dass Kund:innen durchaus neugierig und offen seien, allerdings beobachtet sie, dass die meisten, vor allem die weißen Kund:innen, noch am ehesten zu Büchern zum Thema Antirassismus griffen. "Das ist ein weiterer Grund, warum wir dieses Thema gewählt haben. Einfach damit Schwarze Autor:innen nicht mehr nur als Expert:innen zum Thema Antirassismus, sondern etwa auch als Verfasser:innen unterhaltsamer Romane wahrgenommen werden."