Proust Wörter + Töne in Essen schließt

"Wir schließen mit einem Knaller"

4. Januar 2024
Charline Vorherr

Ein Jahr haben sie intensiv passende Nachfolger gesucht und Gespräche mit rund 30 Interessenten geführt – alles ohne Erfolg:  Die Kultbuchhandlung Proust Wörter + Töne in Essen steht vor der Schließung. Wir haben mit Beate Scherzer darüber gesprochen, was die Übergabe des Buchladens schwierig macht.

Blick in die Buchhandlung "Proust Wörter + Töne" in Essen

Proust Wörter + Töne in Essen gehört mit fünf Buchhandlungspreisen und einem Ehrenpreis vom Literaturpreis Ruhr zu den renommiertesten Buchhandlungen Deutschlands. Einen Namen hat sie sich vor allem mit ihrem Sortiment und ihr starkes Veranstaltungsprogramm gemacht. Im Jahr 2019 hatte das Börsenblatt die Buchhandlung im Video porträtiert. 

Nach 18 Jahren wollen sich Peter Kolling und Beate Scherzer nun in den Ruhestand verabschieden. Einen ersten Versuch, einen geeigneten Nachfolger zu finden, hatten sie bereits vor vier Jahren gewagt. Aber die Suche mussten sie schließlich wegen der schweren Bedingungen durch die Corona-Pandemie pausieren. Vor einem Jahr starteten Kolling und Scherzer mit neuem Elan in die Nachfolgesuche. Eine Idealvorstellung von einem geeigneten Nachfolger hatten sie nicht, "aber wir wünschen uns Menschen, die mit der gleichen Fantasie und Sympathie für die Sache Buch ans Werk gehen", hatte Beate Scherzer im Interview mit Börsenblatt Online gesagt.

Vor allem Branchenfremde bewerben sich

Doch die Suche nach einem geeigneten Nachfolger gestaltet sich schwieriger als gedacht. Von ungefähr 30 Interessenten waren nur vier vom Fach. Die meisten Quereinsteiger hatten wenig Ahnung davon, was es wirklich bedeutet, heute eine Buchhandlung zu führen. "Ich wollte schon immer mal eine Buchhandlung führen. Das wäre so schön", hieß es häufig. Nach wirtschaftlichen Kennzahlen oder Lieferanten wurde im Gespräch meist nicht gefragt. Scherzer beschreibt viele Gespräche als eher unfruchtbar. 

Auch die Stadt Essen als Standort, vor allem bei Interessierten von außerhalb des Ruhrgebiets, war ein häufig genannter Absagegrund. 

Beate Scherzer und Peter Kolling haben Proust Wörter + Töne in Essen zu einer ganz besonderen Buchhandlung gemacht.

Zermürbende Nachfolgesuche

"Für die Stadt ist die Schließung eine Katastrophe", sagt Scherzer. "Essen ist eine Großstadt, aber im Zentrum gibt es neben Thalia und der Mayerschen nur noch uns und eine konfessionelle Buchhandlung." Im vergangenen Jahr schloss mit der Heinrich Heine Buchhandlung die einzige weitere Buchhandlung im Zentrum Essens. Weitere Buchhandlungen gibt es nur in den Stadtteilen. "Aber die haben einen anderen Zweck als wir", so die Buchhändlerin weiter. "Unser Sortiment fokussiert sich auf Kulturwissenschaften und Philosophie. Die Titel von C.H. Beck sind bei uns gefragter als die großer Publikumsverlage. In der Belletristik legen wir viele Titel von kleinen, unabhängigen Verlagen wie Kanon, Liebeskind oder Unionsverlag abseits des Mainstreams aus. Diese Buchhandlung kann nur in einer größeren Stadt funktionieren."

Erschwerend hinzu kommt auch die generelle Situation des Einzelhandels: Links und rechts des Ladens herrscht Leerstand. Viele treue Stammkund:innen erklären, dass sie fast nur noch wegen Proust in die Stadt fahren. All diese Faktoren im Zusammenhang mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage machen die Suche nach geeigneten Nachfolger:innen für die Buchhandlung sehr schwierig – und vor allem zermürbend.

Für die Stadt ist die Schließung eine Katastrophe

Beate Scherzer

Verabschieden mit einem Knall

Die Suche nach einer Nachfolge erklärten Kolling, Scherzer und Team nach internen Gesprächen deshalb für beendet. "Die letzten 18 Jahre waren die schönsten Jahre in unserem Berufsleben. Das wollen wir uns nicht kaputt machen. Dann hat die Stadt eben Pech gehabt", erklärt Scherzer mit Rückblick auf ein intensives Jahr 2023 mit vielen Gesprächen, Telefonaten und Besichtigungen. Ende 2024 läuft der Mietvertrag aus. "Als die Entscheidung zur Schließung gefallen ist, war ich auch ein Stück weit erleichtert", so Scherzer. Sollte sich für die Nachfolge allerdings doch noch eine handfeste Lösung ergeben, wären Scherzer und Kolling durchaus offen für eine Übernahme. "Wir wollen ja eigentlich, dass es weiter geht."

Die Buchhändlerin blickt also durchaus mit Freude auf das kommende Jahr: "Wir machen noch viele tolle Veranstaltungen und schließen mit einem Kracher. Das kann ich aber jetzt noch nicht verraten."

Erwartet werden in den nächsten Monaten unter anderem Michael Krüger, Hinrich Schmidt-Henkel, Anne Weber und eine Lesung mit der Proust-Buchhändlerin Sarah Jäger, die ihre Buchpremiere von "Und die Welt, sie fliegt hoch" (Rotfuchs) feiern wird.

Aus dem Team verabschiedet sich Vina Skiebe, die zehn Jahre bei Proust arbeitete und in eine neue Buchhandlung gewechselt ist. Dafür kommt im Januar Susanne Engling, die gerade ihre Abschlussarbeit schreibt. Sarah Jäger bleibt bis Ende 2024 bei Proust.

Die Kund:innen wurden über die Schließung bereits per Newsletter informiert. "Wir haben unter uns besprochen und bekräftigt, dass wir dieses letzte Jahr mit bester Laune so spannend, ereignisreich und schön wie die bisherigen 18 Jahre mit Ihnen teilen wollen – erst danach ist Proust für uns Geschichte. Genießen Sie also die restliche Zeit mit uns. Mit zwei lachenden Augen."