Interview mit Vertriebsexpertin Stephanie Lange

Kundenansprache verbessern

8. Oktober 2020
Christina Schulte

In der Buchhandlung am Point of Sale mit den Lesemotiven zu arbeiten, macht den Kunden ihre Kaufentscheidungen leichter. Wie der Handel die Lesemotive einsetzen kann, erläutert Vertriebsexpertin Stephanie Lange im Interview.

Worin liegt der generelle Nutzen der neuen Systematik?
Die Erkenntnisse der Studie „Bewusst unbewusst – vom verborgenen Lesemotiv zum Kaufimpuls“, die dem neuen Standard zugrunde liegt, sind revolutionär. Denn zum ersten Mal haben wir eine Antwort auf die entscheidende Frage erhalten, die uns die Buchkäufer bei bisherigen Marktforschungen nicht beantworten konnten: Welche unbewussten Bedürfnisse treiben das Kauf- und Leseverhalten unserer Kunden an? Bei den differenzierten Viellesern, die regelmäßig Bücher kaufen, hat sich unser „Bauchgefühl“ bei der Einschätzung des Kaufverhaltens ganz gut bestätigt. Bei der großen Zahl der Buchkäufer, die sich in den letzten Jahren von uns abgewandt haben, müssen wir hingegen definitiv nachlegen. Die aktuelle Studie erklärt, warum der Trend anhält und was wir dagegen tun können.

Das ist leichter gesagt als getan, da wir als Branche hier einen gemeinsamen Auftrag haben – Verlage bei der klaren Titelpositionierung und Händler bei der stimmigen Komposition des Angebots im Laden und im Webshop. Darüber hinaus bietet die Studie Implikationen für eine erfolgreiche Zielgruppenerschließung und eine verbesserte Vermarktung, die sich an den Lesemotiven orientiert. Es gibt also sehr viele Potentiale, die wir gemeinsam nutzen können. Hinzu kommt die technische Herausforderung, der sich MVB stellt. Wir wollen zügig alle lieferbaren VLB-Titel mit Lesemotiven ausstatten, um die größtmögliche Nutzung des Standards zu ermöglichen.

Warum sollte speziell der Handel mit den Lesemotiven arbeiten?
Viele Menschen haben sich in den letzten Jahren vom Lesen verabschiedet, da ihnen schlicht die Orientierung in der Unüberschaubarkeit des Angebots und am POS verloren ging. Genau hier setzen die Lesemotive an: Mit ihrer Hilfe können wir Kunden ein attraktives Angebot machen, welches ihr unbewusstes Bedürfnis bedient und ihnen so helfen, Kaufentscheidungen zu treffen. Für den Händler besteht der Auftrag also darin, aus den Lesemotiven ein verbessertes Sortimentskonzept zu entwickeln, das kundenlogisch strukturiert ist. Die bisherigen Ansätze sind aus der Perspektive der Bücher gestaltet.

Welche Schritte sind zu gehen, wenn das Sortiment die Systematik verwenden möchte?
Die Basis sind Leitsysteme beziehungsweise Online-Suchbäume, die Kunden aktivieren. Meine Empfehlung ist, hiermit zu starten. Im Projekt haben wir dazu konkrete Handlungsempfehlungen für den POS entwickelt – online wie offline. So haben wir z. B. herausgefunden, dass sich insbesondere die Leserinnen und Leser leichter Unterhaltung zunehmend schwertun, in der Fülle des Angebots und der Vermischung mit anderen Lesemotiven, die passende Lektüre zu finden. Das führt zu Kaufzurückhaltung oder zu Enttäuschung nach dem Kauf. Beides sind Treiber für Abwanderer. Mit Hilfe der hinterlegten Lesemotive im VLB gelingt Händlern eine konsistente Sortimentszusammenstellung und -präsentation. Nutzer der Studie finden bereits darin eine Fülle von Informationen, wie sie ihr Angebot erfolgreich anpassen können.

Je nach individuellem Händlerprofil können in Anlehnung an die Lesemotive dann die jeweiligen Zielgruppen präzisiert und die Kundenansprache insgesamt verbessert werden – gegebenenfalls differenziert nach Kanälen. Hinzu kommen Potentiale für eine veränderte Bespielung der gesamten Customer Journey, also des Weges des Kunden hin zum Kaufort und eine adäquate Ansprache nach dem Kauf. Die Studie bietet auch für die Vermarktung eine Fülle von Anregungen für die verschiedenen Lesemotive.

Wir dürfen bei diesem Thema keine der gewohnten Henne-Ei-Diskussionen beginnen. Die Erkenntnisse betreffen Verlage und Händler gleichermaßen und beide Seiten haben Veränderungsbedarf

Welcher Zeithorizont muss für einen erfolgreichen Einsatz der Lesemotive veranschlagt werden?
Das kann man pauschal nicht sagen. Es hängt davon ab, wie der heutige POS sich darstellt und in welchem Maße individuell eingegriffen werden muss. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass man mit einem Bereich, z. B. dem Webshop oder einer Themenwelt im Laden, startet und schaut, welche Ergebnisse sich einstellen. Auch die technischen und baulichen Bedingungen bei den Händlern sind sehr unterschiedlich, eine Prognose ist daher schwierig. Als Optimistin würde ich sagen, dass man für Konzeptionierung und Umbau wenige Wochen braucht und die ersten Erfolge schon nach kurzer Zeit sehen kann.

Was müssen Verlage tun, damit das Sortiment erfolgreich mit dem Konzept arbeiten kann?
Wir dürfen bei diesem Thema keine der gewohnten Henne-Ei-Diskussionen beginnen. Die Erkenntnisse betreffen Verlage und Händler gleichermaßen und beide Seiten haben Veränderungsbedarf. Daher ist es mir ein so großes Anliegen, dass die Lesemotive möglichst breit genutzt werden, damit sie ihr enormes Umsatzpotential entfalten können. Realistisch gesehen, wird das aber kein Sprint sein, sondern ein mittel- bis langfristiger Veränderungsprozess.

Wird es Pilot-Buchhandlungen geben, die ihre Erfahrungen teilen?
Es haben sich schon einige Händler gemeldet, die großes Interesse daran haben, die Lesemotive in ihrem Laden zu nutzen. Dabei sind die Studienergebnisse noch nicht einmal vorgestellt worden. Ein konkretes Umsetzungsprojekt gibt es noch nicht, aber unsere Beratungsangebote zielen auch darauf ab, dass wir der Branche die Schlagkraft an Best-Practice-Beispielen präsentieren können.

Wo können sich Buchhändler Unterstützung holen?
Die konsequente Ausrichtung auf die Lesemotive ist ein komplexes Unterfangen, so dass es sich unbedingt empfiehlt, Unterstützung von den Handelsprofis zu holen. Unser Angebot für alle Händler: Melden Sie sich gern mit Ihrer Anfrage bei mir. Ihre Anforderungen prüfen wir im Detail und erstellen darauf aufbauend ein individuelles Angebot – bei Bedarf gemeinsam mit den Experten der Gruppe Nymphenburg.

Veranstaltungshinweis Börsenblatt-Webinar:

Donnerstag, 15.10.2020 | 14:00 bis 15:00 Uhr
Lesemotive für den Handel: Der neue Standard für Bücher (3/4)